Mittwoch, Januar 29

2023 kam Jewgeni Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Der Söldnerführer von Putins Gnaden hatte sich gegen seinen Chef erhoben. Ein Buch zeigt, dass die Wagner-Gruppe noch immer aktiv ist.

Was bleibt von Wagner? Der von Mythen umwehten Söldnertruppe aus Russland? Bekannt wurde sie durch ihre Einsätze in Afrika, im Nahen Osten und nicht zuletzt in der Ukraine. Ihr Chef Jewgeni Prigoschin erhob sich im Sommer 2023 gegen den russischen Präsidenten und damit gegen seinen eigenen Förderer und Chef. Und überlebte es nicht. Am 23. August 2023 kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, nach dem gescheiterten Marsch auf Moskau, den er einige Monate vorher inszeniert hatte.

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Die Autoren Lou Osborn und Dimitri Zufferey schildern in ihrem Buch «Die Söldner des Kremls. Wagner und Russlands neue Geheimarmeen» nicht nur anschaulich Aufstieg und Absturz von «Wagner 1.0», sondern auch den Aufstieg von «Wagner 2.0», der mit dem Absturz von Prigoschins Flugzeug begann. Die freie Redaktorin für die britische NGO Centre for Information Resilience und der Redaktor beim Schweizer Radio und Fernsehen für das Magazin «Temps présent» müssen einräumen, dass die genaue Organisation dieser neuen «Wagner-Ära» undurchsichtig bleibe.

Aber zumindest haben es ihnen in offenen Quellen aufzufindende Teilinformationen ermöglicht, auch die weitere Entwicklung von Putins Schattenarmeen nachzuvollziehen. Für diese tauchen ab Herbst 2023 zunehmend neue Namen auf: Redut, Convoy, Fakel oder Africa Corps – namentlich angelehnt an Adolf Hitlers Afrikakorps unter seinem Panzergeneral Erwin Rommel im Zweiten Weltkrieg.

Russlands Einfluss sichern

Zwar wurden die Geschäfte von Wagner vom Kreml übernommen. Aber Wagner gilt laut Osborn und Zufferey bis heute als erfolgreiche und gewichtige «Marke». Deshalb sei im Kreml keine Absicht erkennbar, diese ganz zu zerschlagen. Die Wagner-Armeen seien nach wie vor stark und aktiv – in Mali, in der Zentralafrikanischen Republik und online auf Telegram-Kanälen und bei Rekrutierungskampagnen.

Für Osborn und Zufferey zeichnet sich inzwischen eine neue Devise des Kremls ab: die Fortführung der bisherigen Operationen und die Aufteilung der Aufgaben von Wagner auf mehrere Akteure. Ein Konzept, das zum einen den russischen Einfluss sichern und zum anderen vermeiden soll, dass sich erneut ein charismatischer Führer wie Prigoschin aufschwingt, der die Macht von Wladimir Putin gefährden könnte.

Bei der Fortsetzung der Operationen spielt Russlands Militärgeheimdienst GRU nach der Analyse von Osborn und Zufferey eine zentrale Rolle. Er mobilisiert paramilitärische Organisationen wie Redut und Convoy, die beim russischen Verteidigungsministerium unter Vertrag stehen, um Rekrutierungs- und Unterstützungsnetzwerke für internationale Operationen zu schaffen.

Drehkreuz Libyen

In der Ukraine wiederum werden ehemalige Wagner-Söldner, die sich weiterhin für Einsätze melden wollen, auf Einheiten der russischen Nationalgarde, aber auch auf Kampfeinheiten des Militärgeheimdienstes selbst oder dem Geheimdienst angegliederte Gruppen wie Medwedi verteilt.

Seit November 2023 tritt das Africa Corps offiziell auch online auf. Nach Aussage des ukrainischen Geheimdienstes ist diese neue Marke vom GRU ins Leben gerufen worden: Sie solle ehemalige Mitglieder der Gruppe Wagner und neu gewonnene Rekruten zusammenfassen. Osborn und Zufferey haben festgestellt, dass Russland unter dieser neuen Bezeichnung ab Dezember 2023 zunächst in Burkina Faso und dann ab April 2024 in Niger Fuss fassen konnte.

Darüber hinaus seien ab 2024 zahlreiche GRU-Offiziere nach Libyen abkommandiert worden, um dort einen logistischen und strategischen Korridor zwischen dem Mittelmeer und der Sahelzone zu schaffen. Für die russischen Operationen in Nordafrika diene, wie schon unter Wagner, Libyen als Drehkreuz. Es seien russische Kämpfer vor Ort, und Moskau plane, an der libyschen Küste einen Marinestützpunkt einzurichten.

Die guten Kunden pflegen

Osborn und Zufferey fassen diese Entwicklung prägnant in die Formel: «Die Namen mögen sich ändern, das Produkt bleibt dasselbe.» Dazu gehört in ihren Augen auch das Erhalten des russischen Kundenstamms. Das Africa Corps werde stets von einer Abteilung für Einflussnahme und Kommunikation begleitet, die von einer neuen, im September 2023 gegründeten Organisation repräsentiert werde: der African Initiative.

Hinter dieser Nachrichtenagentur steht nach den Recherchen von Osborn und Zufferey eine Firma mit dem Namen Initiative 23 LLC. Sie solle sich offiziell «afrikanischen Themen» widmen, tatsächlich aber handle es sich um eine Einrichtung zur Einflussnahme, in der ein Grossteil von Prigoschins ehemaligem Afrika-Büro wiederzufinden sei: politische Berater, Kommunikatoren und Blogger.

In den Ländern, in denen das Africa Corps tätig ist, nimmt die African Initiative nach der Wahrnehmung von Osborn und Zufferey eine besonders offensive Rolle ein. So sei in Burkina Faso auf Betreiben des Bloggers Wiktor Lukowenko, Prigoschins ehemaligen Beraters bei den Wahlen in Madagaskar, der Verein African Initiative Burkina Faso gegründet worden.

Russlands grösster Erfolg

Diesen preise man als lokale, von den russischen Medien abgekoppelte Organisation an, in Wirklichkeit aber ermögliche er Moskau, die Zivilgesellschaft und Bevölkerung mit antiwestlichen Botschaften zu erreichen. Die Militärjuntas als Kunden der Russen machten lokale Journalisten mit der African Initiative bekannt, um sie dazu zu bringen, sich prorussisch zu äussern und ihnen gelegene Botschaften an die Bevölkerung weiterzugeben.

Im Mai 2024 machte Lukowenko in einem in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek aufgenommenen Youtube-Video auf die Central Asian Initiative aufmerksam – nach Einschätzung von Osborn und Zufferey eine «exakte Kopie» der African Initiative. Einige Wochen später habe der Kreml angekündigt, die Taliban als offizielle Regierung Afghanistans anzuerkennen.

Diese politische Entscheidung sei über Monate von zwei «Stars» der afrikanischen Wagner-Sphäre vorbereitet worden: Julia Afanasjewa und Maxim Schugalei. Damit werde mit zehn Jahren Abstand das mit Prigoschin und der Gruppe Wagner geschaffene und in Afrika, fernab der russischen Komfortzone, ausgekochte und verbesserte Konzept in die russische Nachbarschaft exportiert. Ziel ist es, an China abgetretene und seit dem Abzug der westlichen Streitkräfte aus Afghanistan unbesetzte Einflussgebiete zurückzugewinnen. Vor diesem Hintergrund zählen Osborn und Zufferey die Geheimarmeen Putins zu den grössten Erfolgen Russlands im letzten Jahrzehnt.

Lou Osborn und Dimitri Zufferey: Die Söldner des Kremls. Wagner und Russlands neue Geheimarmeen. Aus dem Französischen von Ulla Held und Elsbeth Ranke. C.-H.-Beck-Verlag, München 2024. 352 S., Fr. 37.90.

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