Samstag, September 28

Vier Banker der Gazprombank Schweiz haben laut Urteil bei einem engen Freund des russischen Präsidenten nicht genau hingeschaut. Die wichtigsten Antworten zum Prozess am Zürcher Obergericht.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft wirft vier Mitarbeitern der Gazprombank mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften vor. Der Hintergrund: Die Beschuldigten hätten es unterlassen, mit der gebotenen Sorgfalt festzustellen, ob der russische Cellist und Putin-Freund Sergei Roldugin tatsächlich an zwei Konten wirtschaftlich berechtigt gewesen sei.

Bei den Beschuldigten handelt es sich um vier teilweise hochrangige Mitarbeiter der Gazprombank Schweiz, drei Russen und einen Schweizer.

Die Anwälte der vier Gazprombank-Mitarbeiter hatten gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom März 2023 Berufung eingelegt. Die Männer waren damals wegen mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften zu bedingten Geldstrafen verurteilt worden. Am Dienstag hat das Zürcher Obergericht nun sein Urteil gefällt.

Wie lautet das Urteil des Zürcher Obergerichts?

Das Obergericht hat die vier Beschuldigten wegen mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften schuldig gesprochen. Es verhängte bedingte Geldstrafen in der Höhe von je 110 Tagessätzen gegen die Gazprombank-Mitarbeiter. Die Höhe der Tagessätze setzte das Obergericht zwischen 350 Franken und 3000 Franken an.

Für das Gericht stand fest, dass die vier Banker zu wenig genaue Abklärungen über die Herkunft der Gelder auf den Konten des russischen Cellisten und Dirigenten Sergei Roldugin getroffen hatten. Es gebe Hinweise darauf, dass es sich bei den Geldflüssen lediglich um Strohmann-Geschäfte handle.

Das Obergericht bestätigte damit die Schuldsprüche der Vorinstanz. Das Bezirksgericht Zürich hatte gegen die vier Männer ebenfalls bedingte Geldstrafen verhängt. Diese lagen zwischen 120 Tagessätzen à 400 Franken und 180 Tagessätzen à 3000 Franken.

Das Urteil des Zürcher Obergerichts ist noch nicht rechtskräftig. Es kann ans Bundesgericht weitergezogen werden.

Worum ging es beim Prozess?

Im Zentrum des Prozesses stehen zwei Konten, die 2014 bei der Gazprombank Schweiz eröffnet und bis 2016 geführt wurden – und die Frage, wem sie eigentlich gehören. Auf dem Papier war der russische Cellist und Dirigent Sergei Roldugin der wirtschaftlich Berechtigte für die Konten mit Vermögenswerten in der Höhe von rund 50 Millionen Franken. Die Konten, die die Bank für den Musiker einrichtete, sollten Dividenden empfangen, und zwar von einem der grössten Akteure im Medienwerbemarkt in Russland und Osteuropa.

Die Dividenden in Höhe von mehreren Millionen Franken blieben allerdings nur wenige Tage in der Schweiz, ehe sie an die Gazprombank in St. Petersburg weitergeleitet wurden. Es habe sich um reine Durchlaufkonten gehandelt, schreibt die Staatsanwaltschaft.

Die Vorwürfe der Zürcher Staatsanwaltschaft richten sich gegen vier Mitarbeiter der Gazprombank Schweiz. Drei von ihnen waren hochrangige Mitarbeiter der Bank, unter ihnen der CEO. Der vierte Mann war als Kundenberater für das Geldinstitut tätig.

Laut der Anklage hätten die Männer bereits bei der Kontoeröffnung merken müssen, dass Roldugin unmöglich der tatsächliche wirtschaftlich Berechtigte sein könne. Es sei in keiner Weise plausibel, dass ein Musiker über ein derart grosses Vermögen verfüge. Die Staatsanwaltschaft wirft den Bankern vor, dass sie kaum Abklärungen getroffen haben, wie Roldugin zu so viel Geld gekommen sein soll.

Sie schreibt, die angegebenen Vermögensverhältnisse seien in keiner Weise plausibel, sie stünden in keinem erkennbaren Zusammenhang zur einzig verbrieften Tätigkeit als Musiker. Die Staatsanwaltschaft hält den Bankern vor, sie hätten kaum Abklärungen vorgenommen, um zu prüfen, ob Roldugin tatsächlich über derart hohe Beträge habe verfügen können.

Wer ist Sergei Roldugin?

Sergei Roldugin ist Musiker. Er lehrte am Konservatorium in St. Petersburg und spielte später im berühmten Mariinsky-Theater. Er trat als Dirigent und Cellist in vielen Ländern auf. Zu seiner geschäftlichen Tätigkeit ist jedoch praktisch nichts bekannt. In einem Interview mit der «New York Times» sagte er im September 2014, er sei sicherlich kein Geschäftsmann und er besitze auch keine Millionen.

Woher stammten also die Millionenbeträge auf den Konten in der Schweiz?

Der Verdacht: Der Cellist Roldugin war bloss ein Strohmann. Die grossen Geldsummen auf den Konten in Zürich wurden nicht von ihm verschoben, sondern von seinem Jugendfreund – dem Kremlchef Wladimir Putin. In der Anklageschrift hält die Staatsanwaltschaft fest, die beschuldigten Banker hätten bei der Kontoeröffnung davon ausgehen müssen, dass Drittpersonen in Wirklichkeit wirtschaftlich berechtigt gewesen seien.

Und: «Es ist notorisch, dass der russische Präsident Putin offiziell nur ein Einkommen von gut 100 000 Franken hat und nicht vermögend ist, tatsächlich jedoch über enorme Vermögenswerte verfügt, welche von ihm nahestehenden Personen verwaltet werden.»

Sicher ist, dass Roldugin zum engsten Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehört. Die beiden lernten sich in den 1970er Jahren in St. Petersburg kennen. Roldugin war auch Taufpate von Putins erster Tochter.

Was ist über die Geldflüsse auf die beiden Konten bekannt?

Laut der Anklage soll in Wirklichkeit die russische Bank Rossija die Fäden gezogen haben. Das Geldhaus nimmt eine Schlüsselrolle im Finanzgeflecht rund um den Kreml ein. Rossija war das erste Unternehmen, das die USA ins Visier nahmen, als sie im Jahr 2014 wegen der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Verbündete von Präsident Putin verhängten. Mehrheitsaktionär ist Juri Kowaltschuk, der auch als «Putins Banker» bezeichnet wird.

Die Eröffnung der Bankkonten bei der Gazprombank wurde durch Rossija vermittelt. Als Kontakt für die Konten wurden laut Anklageschrift ausschliesslich E-Mail-Adressen der Bank Rossija angegeben.

Die Firmen, auf welche die Konten lauteten, waren Offshore-Gesellschaften. Laut der Anklage unterhielten sie mehrere hintereinander geschaltete Durchlaufkonten. Es sei offensichtlich darum gegangen, die Eigentumsverhältnisse und Geldflüsse zu verschleiern.

Wie wurden die Ermittlungen ausgelöst?

Auslöser für das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft waren die sogenannten Panama-Papers. Im Frühjahr 2016 hatte ein internationales Medien-Netzwerk, an dem in der Schweiz auch die Tamedia-Zeitungen beteiligt waren, mithilfe von Daten aus einer Anwaltskanzlei Finanzströme in der mittelamerikanischen Steueroase enthüllt.

Die Daten aus Panama zeigten, dass der Cellist Sergei Roldugin zwar auf dem Papier der Besitzer dieser Zürcher Konten war. Doch es kam auch der Verdacht auf, dass er nur als Strohmann fungierte. Nach den Enthüllungen eröffnete die Eidgenössische Finanzaufsicht (Finma) gegen den Schweizer Ableger der Gazprombank ein Verfahren.

2018 kam die Finma zum Schluss: Die Gazprombank habe im Zeitraum von 2006 bis 2016 schwer gegen die «Sorgfaltspflicht des Geldwäschereigesetzes» verstossen. Die wirtschaftlichen Hintergründe von Geschäftsbeziehungen und Transaktionen mit erhöhtem Risiko zur Geldwäsche seien nur ungenügend abgeklärt worden, lautete die Begründung. Die Finma verbot der Gazprombank Schweiz, neue Privatkunden aufzunehmen. Die Bank ist inzwischen nicht mehr in der Schweiz tätig. Sie zog sich Ende Oktober 2022 zurück.

Was sagen die Beschuldigten zu den Vorwürfen?

Wie bereits vor der Vorinstanz forderten die beschuldigten Banker einen Freispruch. Sie selbst machten vor Gericht keine Aussagen. Ihre Anwälte verlangten zu Beginn der Verhandlung am Obergericht, die Anklage sei zurückzuweisen. Grund: Es sei nicht klar, welche konkreten Handlungen den Beschuldigten überhaupt vorgeworfen werden. Das Gericht lehnte eine Rückweisung allerdings ab, allerdings nur knapp.

In ihren Plädoyers führten die Verteidiger sodann aus, die Bankmitarbeiter hätten sich keinerlei Sorgfaltspflichtverletzungen zuschulden kommen lassen. Sie hätten auch keinen Anlass gehabt, an der wirtschaftlichen Berechtigung Roldugins Zweifel zu hegen.

Denn der russische Musiker sei keineswegs bloss ein einfacher Musiker gewesen, sondern auch ein bedeutender Investor. Und dies bereits zu einer Zeit, als Putin noch gar nicht an der Macht gewesen sei. Einer der Anwälte sagte: «Die Frage ist nicht, ob ein Dirigent derartige Investments in der Höhe von rund 20 Millionen US-Dollar leisten kann, sondern ob es plausibel ist, dass eine Persönlichkeit aus dem inneren Machtzirkel über diese Möglichkeit verfügte.» Dies sei klar zu bejahen.

Kein gutes Haar liessen die Verteidiger an der Anklage. Der Staatsanwaltschaft gelinge es nicht, einen Beweis dafür zu erbringen, dass Roldugin nicht wirtschaftlich Berechtigter gewesen sei. Vielmehr basiere die Anklage auf blossen Unterstellungen, Mutmassungen und Gerüchten.

Entlastende Informationen seien einfach ignoriert worden. Das entlarve die Staatsanwaltschaft als voreingenommen und unfair. Für einen der Anwälte war klar: «Es geht in diesem Prozess nicht um den obersten Zirkel der russischen Elite. Wir haben es mit vier Bankmitarbeitern zu tun, die ihren Job nach bestem Wissen und Gewissen erledigt haben.»

Was fordert die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage?

Der Staatsanwalt forderte in seinem Plädoyer einen Schuldspruch wegen mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften. Die Beschuldigten hätten es unterlassen, mit der gebotenen Sorgfalt festzustellen, ob Sergei Roldugin tatsächlich an den beiden Konten wirtschaftlich berechtigt gewesen sei. Für dieses Vergehen verlangte der Staatsanwalt bedingte Geldstrafen für die vier Gazprombank-Mitarbeiter.

Der Staatsanwalt sagte, die Mitarbeiter der Bank hätten die Pflicht gehabt, weitere Abklärungen zu treffen, denn es habe eine Vielzahl von Zweifeln an Roldugins Rolle gegeben. Und es sei überhaupt nicht plausibel, dass der Russe neben seiner musikalischen Tätigkeit auch noch über eine Vielzahl von unternehmerischen Engagements verfügt habe. Der Cellist sei ein Strohmann gewesen, um die tatsächlich Verhältnisse zu verschleiern. «Die Beschuldigten hätten weitere Abklärungen tätigen oder aber die Geschäftsbeziehung beenden müssen.»

Wie lautete das Urteil der Vorinstanz?

Das Bezirksgericht sprach die vier Mitarbeiter der Gazprombank Ende März 2023 schuldig wegen mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften. Es verhängte dafür eine bedingte Geldstrafe für die vier Beschuldigten. Diese lagen zwischen 120 Tagessätzen à 400 Franken und 180 Tagessätzen à 3000 Franken.

Für das Gericht stand fest, dass der russische Cellist und Dirigent Sergei Roldugin nicht der wirtschaftlich Berechtigte für die Konten gewesen sein könne. Das ergebe sich schon aus dem Umstand, dass die Gazprombank Roldugin dazu aufgefordert habe, den wirtschaftlichen Hintergrund aufzuzeigen. «Obwohl er dies nicht tat, löste die Bank die Geschäftsbeziehung erst im Herbst 2016 auf – zu spät», sagte der Richter des Bezirksgerichts Zürich bei der Urteilseröffnung im März 2023.

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