Freitag, Oktober 4

Vier Banker der Gazprombank Schweiz sollen bei einem engen Freund des russischen Präsidenten nicht genau hingeschaut haben. Die wichtigsten Antworten zum Prozess am Zürcher Obergericht.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft wirft vier Mitarbeitern der Gazprombank mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften vor. Der Hintergrund: Die Beschuldigten hätten es unterlassen, mit der gebotenen Sorgfalt festzustellen, ob der russische Cellist und Putin-Freund Sergei Roldugin tatsächlich an zwei Konten wirtschaftlich berechtigt gewesen sei.

Bei den Beschuldigten handelt es sich um vier teilweise hochrangige Mitarbeiter der Gazprombank Schweiz, drei Russen und einen Schweizer.

Die Anwälte der vier Gazprombank-Mitarbeiter hatten gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom März 2023 Berufung eingelegt. Die Männer waren damals wegen mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften zu bedingten Geldstrafen verurteilt worden. Nun befasst sich das Obergericht mit der Frage, ob die Banker im Umgang mit Roldugin zu wenig genau hingeschaut haben.

Worum geht es beim Prozess?

Im Zentrum des Prozesses stehen zwei Konten, die 2014 bei der Gazprombank Schweiz eröffnet und bis 2016 geführt wurden – und die Frage, wem sie eigentlich gehören. Auf dem Papier war der russische Cellist und Dirigent Sergei Roldugin der wirtschaftlich Berechtigte für die Konten mit Vermögenswerten in der Höhe von rund 50 Millionen Franken. Die Konten, die die Bank für den Musiker einrichtete, sollten Dividenden empfangen, und zwar von einem der grössten Akteure im Medienwerbemarkt in Russland und Osteuropa.

Die Dividenden in Höhe von mehreren Millionen Franken blieben allerdings nur wenige Tage in der Schweiz, ehe sie an die Gazprombank in St. Petersburg weitergeleitet wurden. Es habe sich um reine Durchlaufkonten gehandelt, schreibt die Staatsanwaltschaft.

Die Vorwürfe der Zürcher Staatsanwaltschaft richten sich gegen vier Mitarbeiter der Gazprombank Schweiz. Drei von ihnen waren hochrangige Mitarbeiter der Bank, unter ihnen der CEO. Der vierte Mann war als Kundenberater für das Geldinstitut tätig.

Laut der Anklage hätten die Männer bereits bei der Kontoeröffnung merken müssen, dass Roldugin unmöglich der tatsächliche wirtschaftlich Berechtigte sein könne. Es sei in keiner Weise plausibel, dass ein Musiker über ein derart grosses Vermögen verfüge. Die Staatsanwaltschaft wirft den Bankern vor, dass sie kaum Abklärungen getroffen haben, wie Roldugin zu so viel Geld gekommen sein soll.

Sie schreibt, die angegebenen Vermögensverhältnisse seien in keiner Weise plausibel, sie stünden in keinem erkennbaren Zusammenhang zur einzig verbrieften Tätigkeit als Musiker. Die Staatsanwaltschaft hält den Bankern vor, sie hätten kaum Abklärungen vorgenommen, um zu prüfen, ob Roldugin tatsächlich über derart hohe Beträge habe verfügen können.

Wer ist Sergei Roldugin?

Sergei Roldugin ist Musiker. Er lehrte am Konservatorium in St. Petersburg und spielte später im berühmten Mariinsky-Theater. Er trat als Dirigent und Cellist in vielen Ländern auf. Zu seiner geschäftlichen Tätigkeit ist jedoch praktisch nichts bekannt. In einem Interview mit der «New York Times» sagte er im September 2014, er sei sicherlich kein Geschäftsmann und er besitze auch keine Millionen.

Woher stammten also die Millionenbeträge auf den Konten in der Schweiz?

Der Verdacht: Der Cellist Roldugin war bloss ein Strohmann. Die grossen Geldsummen auf den Konten in Zürich wurden nicht von ihm verschoben, sondern von seinem Jugendfreund – dem Kremlchef Wladimir Putin. In der Anklageschrift hält die Staatsanwaltschaft fest, die beschuldigten Banker hätten bei der Kontoeröffnung davon ausgehen müssen, dass Drittpersonen in Wirklichkeit wirtschaftlich berechtigt gewesen seien.

Und: «Es ist notorisch, dass der russische Präsident Putin offiziell nur ein Einkommen von gut 100 000 Franken hat und nicht vermögend ist, tatsächlich jedoch über enorme Vermögenswerte verfügt, welche von ihm nahestehenden Personen verwaltet werden.»

Sicher ist, dass Roldugin zum engsten Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehört. Die beiden lernten sich in den 1970er Jahren in St. Petersburg kennen. Roldugin war auch Taufpate von Putins erster Tochter.

Wie die Zürcher Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage schreibt, soll dies auch der Gazprombank bekannt gewesen sein. Sie habe die Konten eröffnet, obwohl im Kundenprofil von Roldugin zu früheren Konten sogar explizit – mit Verweis auf die russische Zeitung «Kommersant» – festgehalten worden sei, dass er direkten Zugang zum innersten Kreis des russischen Präsidenten gehabt habe.

Was ist über die Geldflüsse auf die beiden Konten bekannt?

Laut der Anklage soll in Wirklichkeit die russische Bank Rossija die Fäden gezogen haben. Das Geldhaus nimmt eine Schlüsselrolle im Finanzgeflecht rund um den Kreml ein. Rossija war das erste Unternehmen, das die USA ins Visier nahmen, als sie im Jahr 2014 wegen der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Verbündete von Präsident Putin verhängten. Mehrheitsaktionär ist Juri Kowaltschuk, der auch als «Putins Banker» bezeichnet wird.

Die Eröffnung der Bankkonten bei der Gazprombank wurde durch Rossija vermittelt. Als Kontakt für die Konten wurden laut Anklageschrift ausschliesslich E-Mail-Adressen der Bank Rossija angegeben.

Die Firmen, auf welche die Konten lauteten, waren Offshore-Gesellschaften. Laut der Anklage unterhielten sie mehrere hintereinander geschaltete Durchlaufkonten. Es sei offensichtlich darum gegangen, die Eigentumsverhältnisse und Geldflüsse zu verschleiern.

Wie wurden die Ermittlungen ausgelöst?

Auslöser für das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft waren die sogenannten Panama-Papers. Im Frühjahr 2016 hatte ein internationales Medien-Netzwerk, an dem in der Schweiz auch die Tamedia-Zeitungen beteiligt waren, mithilfe von Daten aus einer Anwaltskanzlei Finanzströme in der mittelamerikanischen Steueroase enthüllt.

Die Daten aus Panama zeigten, dass der Cellist Sergei Roldugin zwar auf dem Papier der Besitzer dieser Zürcher Konten war. Doch es kam auch der Verdacht auf, dass er nur als Strohmann fungierte. Nach den Enthüllungen eröffnete die Eidgenössische Finanzaufsicht (Finma) gegen den Schweizer Ableger der Gazprombank ein Verfahren.

2018 kam die Finma zum Schluss: Die Gazprombank habe im Zeitraum von 2006 bis 2016 schwer gegen die «Sorgfaltspflicht des Geldwäschereigesetzes» verstossen. Die wirtschaftlichen Hintergründe von Geschäftsbeziehungen und Transaktionen mit erhöhtem Risiko zur Geldwäsche seien nur ungenügend abgeklärt worden, lautete die Begründung. Die Finma verbot der Gazprombank Schweiz, neue Privatkunden aufzunehmen. Die Bank ist inzwischen nicht mehr in der Schweiz tätig. Sie zog sich Ende Oktober 2022 zurück.

Wie lautete das Urteil der Vorinstanz?

Das Bezirksgericht hat die vier Mitarbeiter der Gazprombank Ende März 2023 schuldig gesprochen wegen mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften. Es verhängte dafür eine bedingte Geldstrafe für die vier Beschuldigten. Diese liegen zwischen 120 Tagessätzen à 400 Franken und 180 Tagessätzen à 3000 Franken.

Für das Gericht stand fest, dass der russische Cellist und Dirigent Sergei Roldugin nicht der wirtschaftlich Berechtigte für die Konten gewesen sein könne. Das ergebe sich schon aus dem Umstand, dass die Gazprombank Roldugin dazu aufgefordert habe, den wirtschaftlichen Hintergrund aufzuzeigen. «Obwohl er dies nicht tat, löste die Bank die Geschäftsbeziehung erst im Herbst 2016 auf – zu spät», sagte der Richter des Bezirksgerichts Zürich bei der Urteilseröffnung im März 2023.

Was sagen die Beschuldigten zu den Vorwürfen?

Wie bereits vor der Vorinstanz fordern die vier beschuldigten Banker einen Freispruch. Sie hätten sich keinerlei Sorgfaltspflichtverletzungen zuschulden kommen lassen. Sie hätten keinen Anlass gehabt, an der wirtschaftlichen Berechtigung Roldugins Zweifel zu hegen. In einer vor der Berufungsverhandlung abgegebenen Erklärung halten die vier Männer fest, die Anklage unterstelle, dass Roldugin nicht in der Lage gewesen sei, ein Vermögen in der Höhe von rund 20 Millionen US-Dollar zu erwirtschaften. Beweisen könne die Staatsanwaltschaft dies allerdings nicht.

Im Gegenteil: Sie stütze sich bloss auf Mutmassungen und auf Gerüchte. Es sei aber zweifelsfrei so, dass eine in höchsten gesellschaftlichen Kreisen und im innersten Machtzirkel Russlands verkehrende Persönlichkeit ein solches Vermögen aufbauen könne.

Was fordert die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage?

Die auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Zürcher Staatsanwaltschaft III fordert in ihrer Anklageschrift einen Schuldspruch wegen mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften. Die Beschuldigten hätten es unterlassen, mit der gebotenen Sorgfalt festzustellen, ob Sergei Roldugin tatsächlich an den beiden Konten wirtschaftlich berechtigt gewesen sei. Für dieses Vergehen verlangt die Anklage bedingte Freiheitsstrafen von sieben Monaten für die vier Gazprombank-Mitarbeiter.

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