Mit dem Krieg gegen die Ukraine strebt Russlands Präsident auch eine Neuordnung der Welt an. Sein eigener Gestaltungsspielraum ist dabei kleiner, als er denkt.

Einen Tag vor dem Beginn der Bürgenstock-Konferenz präsentierte der russische Präsident Wladimir Putin seinen Plan für die Beendigung des Ukraine-Krieges. Die für die Gegenseite inakzeptablen Vorbedingungen für Friedensverhandlungen liessen sofort an der Ernsthaftigkeit dieses Vorschlags zweifeln. Zusammen mit der Idee einer neuen «eurasischen Sicherheitsarchitektur» machte der Kriegsherr im Kreml vielmehr deutlich, worum es ihm eigentlich geht: Die Ukraine ist das Schlachtfeld, auf dem er seine Vorstellung von einer Neuordnung der Welt durchsetzen will.

Die fast utopisch klingende Befriedung des Doppelkontinents mithilfe Russlands und Chinas, die er in seiner Skizze beschrieb, ist listig. Sie hat vor allem ein Ziel: die Amerikaner aus Europa zu verdrängen und zusammen mit China zur dominierenden Kraft Europas zu werden.

Europa hat andere Interessen

Europäische Politiker der vergangenen dreissig Jahre liessen sich von der Idee eines gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitsraums «von Lissabon bis Wladiwostok» immer wieder einlullen. Putin wird nicht müde, die verpassten Chancen im Verhältnis des Westens zu Russland durch die Zurückweisung russischen guten Willens zu betonen. Auch manche westliche Stimmen sind bis heute unbeirrt der Überzeugung, ein Eingehen auf Russlands Wünsche hätte Putins Krieg gegen die Ukraine verhindert.

Doch das ist ein Trugschluss; gerade dieser Krieg und Russlands ideologische Verhärtung nach innen und aussen müssten ihnen der Beweis dafür sein. Russlands Interessen zwischen Lissabon und Wladiwostok unterscheiden sich kardinal von denen Europas. Russland besteht für seine Sicherheitsinteressen auf Dominanz und schreckt für deren Durchsetzung vor Gewalt nicht zurück. Eine solche «eurasische Sicherheitsarchitektur» kann deshalb nie im Interesse Europas sein.

Aus russischer Sicht haben der Krieg gegen die Ukraine und der Bruch mit dem Westen alle Fesseln gelöst. Putin hatte lange als Bewahrer und Garant für Stabilität gegolten. Revolutionen empfand er immer als Bedrohung – auch mit der Leninschen Oktoberrevolution tut er sich schwer.

Die Entscheidung zum Krieg machte ihn aber selbst zum Revolutionär: nicht im eigenen Land, sondern in der Welt. Er sah die Chance gekommen, die alte Weltordnung zu zerschlagen und mit den USA abzurechnen. Seine Apologeten frohlocken über die Zerstörung alter weltpolitischer Gewissheiten und über die Möglichkeiten, die sich daraus für Russland ergeben.

So versucht Russland sich mit der wiederentdeckten Losung vom Kampf gegen den westlichen Kolonialismus, welche die eigene kolonialistische Politik geflissentlich übergeht, in Afrika, Lateinamerika und Asien anzubiedern. Oft bleibt aber der Eindruck einer Verzweiflungstat zurück, wenn Putin Nordkoreas Diktator hofiert und mit zweitrangigen lateinamerikanischen oder afrikanischen Präsidenten auf einem Podium sitzt. Klar ist nur eines: Um Freiheitsrechte, Pluralismus und Demokratie geht es dabei nie.

Trügerischer Souveränitätsgewinn

Die plötzlich um ein Vielfaches angewachsene Gruppe der Brics-Staaten und die ebenfalls vergrösserte, stärker regional verankerte Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO) sind Ausdruck dieser gewandelten geopolitischen Verhältnisse. Putin sieht sie als Rückgrat seiner Vorstellung einer «multipolaren Welt», in der jeder seine eigenen Interessen verteidigt – notfalls mit Gewalt.

Der vermeintliche Souveränitätsgewinn, mit dem die Zerstörung der alten Ordnung begründet wird, entpuppt sich auf den zweiten Blick als trügerisch. Noch nie war Russland derart abhängig von China wie seit der Entscheidung zum Krieg mit dem Westen. Bei den Brics-Staaten und in der SCO ist nicht Putin derjenige, um den alle kreisen, sondern Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Er ist der eigentliche Profiteur von Putins disruptiver Politik. Weder eine Weltordnung von Putins noch eine von Xis Gnaden ist jedoch für Europa akzeptabel.

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