Mittwoch, Oktober 9

Für Cyberkriminelle und Schurkenstaaten könnten goldene Zeiten beginnen, dank der Quantentechnologie. Heute erbeutete, aber noch verschlüsselte Daten sind in einigen Jahren ein offenes Buch. Darauf müssen sich Regierungen und Unternehmen schon jetzt einstellen.

Herr Summa, aufgrund der Leistungsfähigkeit von Quantencomputern warnen Sie vor einer möglichen weltweiten Quantenkrise. Was sind Quantencomputer eigentlich?

Ein Quantencomputer ist genaugenommen eher ein Quantenprozessor, der die Gesetze der Quantenmechanik nutzt, die Zustände von manipulierten Zuständen misst und auswertet. Wir befinden uns nicht mehr in der digitalen Welt von 0 und 1, sondern quasi wieder in einer analogen Welt. Ein Quantencomputer beruht auf der Wechselwirkung quantenmechanischer Zustände, die mehrfach gemessen und durch statistische Wahrscheinlichkeiten verifiziert werden. Statt von Bits und Bytes sprechen wir von Qbits, die neben ‹Ja oder Nein› auch den Zustand ‹Ja und Nein› einnehmen können.

Das klingt für den Laien kompliziert. Man kann aber sagen, dass Quantencomputer den herkömmlichen Computern überlegen sind?

Ja, denn aufgrund ihrer leistungsfähigeren Rechenkapazität können Quantencomputer nun Aufgaben bewältigen, an denen klassische Computer und Supercomputer mit ihren Prozessoren bisher gescheitert sind.

Wo sehen Sie die grössten Risiken?

Quantencomputer werden schon in wenigen Jahren in der Lage sein, alle derzeit geläufigen Verfahren zur Datenverschlüsselung zu knacken. Dadurch besteht die Gefahr, dass Cyberkriminelle und Schurkenstaaten zuvor verschlüsselte Informationen von Regierungsbehörden, Finanzinstitutionen, anderen Unternehmen und Betreibern kritischer Infrastrukturen wieder entschlüsseln können. Die heute am weitesten verbreiteten kryptografischen Standards, nämlich RSA oder Diffie-Hellman, werden systematischen Angriffen von Quantencomputern nicht standhalten können. Damit verlieren wir die Basis einer sicheren Datenspeicherung, wie wir sie heutzutage kennen. Erst letzte Woche wurden vom Nist, dem National Institute of Standards, die neuen Standards für die Post-Quantum-Kryptografie verabschiedet.

Wie viel Zeit bleibt noch?

Das ist schwierig zu sagen. Es kann fünf Jahre, zehn Jahre oder auch noch länger dauern, bis es so weit ist. Das Wettrennen zwischen Datenschützern und Cyberkriminellen wird sich jedenfalls durch die Quantentechnologie sehr stark beschleunigen. Ein Risiko ist auch, dass bereits heute die Zukunft vorweggenommen wird, denn Kriminelle können sich erbeutete Daten so lange zur Seite legen, bis sie diese mithilfe von Quantencomputern entschlüsseln können. Man spricht von «harvest now, decrypt later», also «heute ernten, morgen dechiffrieren».

Es ist aber nicht so leicht, an Quantencomputer heranzukommen?

Das ist für das Jahr 2024 noch richtig, kann sich aber ändern. Sie müssen zudem gar keinen Quantencomputer selbst besitzen, um die Technologie zu nutzen. Man kann entsprechende Rechenkapazitäten mieten. Das geht in einigen Fällen heute schon.

Was muss man tun?

Es wird Zeit für eine standardisierte Post-Quantum-Verschlüsselung, die gegen Quantenangriffe gewappnet ist. Die Entwicklung hat bereits begonnen. Man kann auf dem Handy mit einem neuen Chip solche Verschlüsselungen einführen. Apple hat seinen Kommunikationsdienst iMessage bereits entsprechend umgestellt. Doch viele Behörden, Finanzinstitute und wohl auch Zentralbanken sind noch nicht so weit.

Wie reagieren Behörden und Unternehmen auf die Bedrohung?

Man trifft dort auf offene Ohren. Viele haben die Problematik auf dem Radar, besonders die Entschlüsselung von Daten und die Verteilung von Passwörtern. Man kann Passwörter mit der Quantentechnologie nämlich so versenden, dass sie ihre Gültigkeit verlieren, wenn sie von Dritten gehackt oder eingesehen werden.

Welche Länder sind führend beim Quanten-Computing?

Gemessen an den Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind die Chinesen weltweit führend. Technologisch spielen auch die USA ganz vorne mit, und auch in Europa versucht man mitzuhalten. Gemäss Schätzungen werden derzeit mehr als 40 Milliarden Dollar weltweit in die Technologie investiert. Angemessen wären aus meiner Sicht eher 400 Milliarden Dollar.

Wo stehen Deutschland und die Schweiz?

Ich bin beeindruckt, wie gut Academia und Unternehmen in Deutschland auf dem Feld sind. Wir haben grob gesagt vier Zentren, in denen die Forschung stattfindet. Dabei handelt es sich um Berlin, München, den Grossraum Stuttgart rund um IBM und mehrere Universitäten in Nordrhein-Westfalen und Forschungseinrichtungen. Es gibt zudem eine interessante Startup-Szene. In Siegen baut eine Firma beispielsweise kleine Quantencomputer und hat von ihnen auch schon einige verkauft. Und ein Unternehmen aus Bochum hat in den USA einen Vorschlag für eine quantenresistente Verschlüsselung bei der amerikanischen Standardisierungsbehörde Nist, dem National Institute of Standards and Technology, eingereicht und wurde ausgewählt.

Es gibt natürlich auch in der Schweiz Aktivitäten rund um das Thema Quantentechnologie, besonders getragen von den Forschungen am Cern. Eine Vielzahl von Startups ist mit dem Thema unterwegs. In der Schweiz gibt es mit ID Quantique auch ein weltweit führendes Unternehmen, das quantenresistente Verschlüsselung bereits auf einem Chip anbietet. Durch die Nähe zur Finanzwelt ist die Schweiz interessant, vor allem für die praktische Anwendung.

Woran liegt die gute Entwicklung in Deutschland?

Vereinfacht gesagt: Wir haben die Quantentechnologie erfunden. Denken Sie an die Nobelpreise für deutsche Physiker, beginnend mit Werner Heisenberg im Jahr 1932 für die Begründung der Quantenmechanik. Diese Tradition hat sich fortgesetzt. Auch in den letzten Jahrzehnten kamen aus Deutschland viele Patente und Entwicklungen, die dann teilweise von anderen aufgegriffen wurden.

Gibt es Kooperationen zwischen Staat, Wissenschaft und Unternehmen?

Der Staat fördert Projekte primär im wissenschaftlichen Bereich. Dabei wird teilweise versucht, Unternehmen einzubinden. Derzeit ist die Branche aber noch ein Spielfeld für Investoren. Es müssen noch einige Grundlagen erarbeitet und Anwendungsfälle erschlossen werden. Interessant könnte beispielsweise sein, Quanten-Computing mit künstlicher Intelligenz zu verbinden. Das kann Sprachmodelle womöglich erheblich beschleunigen.

Womit kann man das Aufkommen der Quantentechnologie vergleichen, mit dem Aufkommen des Internets oder von künstlicher Intelligenz, der KI?

Eher mit dem Internet. Das Internet war eine Basistechnologie, durch die sich dann Anwendungen ergeben haben wie das World Wide Web. Chat-GPT erinnert mich eher an den allerersten Browser namens Mosaic, der erstmals HTML-Seiten sichtbar gemacht hat. Der Browser war somit eine Anwendung auf Basis des Internets.

Sie waren langjähriger Geschäftsführer von DE-CIX, dem Betreiber des grossen Internet-Knotenpunkts in Frankfurt, und sind dort jetzt noch im Aufsichtsrat. Hat die Quantentechnologie auch Einfluss auf solche Internet-Knotenpunkte?

Ja, DE-CIX arbeitet gerade an ionenbasierten Transportwegen, und in Aachen wird an einer Testumgebung für eine Quanten-Internet-Exchange geforscht. Dabei rüsten wir eine Teststrecke zwischen Bonn und Berlin mithilfe der Quantentechnologie so auf, dass man über sie Quanten, also Ionen, anstatt Lichtimpulse transportiert. Das ist über grosse Distanzen aber gar nicht so einfach, denn derzeit liegt die Kapazität nur bei rund 80 Kilometern. Dann braucht man einen Verstärker für das Signal, damit die Ionen ihre Reise fortsetzen können. Gemessen am weltumspannenden Internet müsste man für solche Verstärker sehr viel Geld ausgeben.

Sind sich die Bundesregierung und die Bundesbehörden der Gefahren der Quantentechnologie für die Datensicherheit bewusst?

Durchaus, das Bundesforschungsministerium ist da voll involviert, da es einen Grossteil der Forschung finanziert. Auch beim BSI, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, sieht man die Chancen und Risiken dieser Technologie. Derzeit ist die Standardisierung für eine quantenresistente Verschlüsselung aber noch nicht so weit, dass man daraus schon eine Vorschrift machen will. Nach meinem Eindruck ist die Behörde in einer Warteposition.

Es klingt doch vernünftig, sich nicht voreilig auf einen Standard festzulegen?

Das ist das alte Henne-Ei-Problem. Man muss aufpassen, dass nicht irgendwann die Kraft des Faktischen siegt, weil jemand mit einem Standard vorgeprescht ist und diesen dadurch gefestigt und verbreitet hat. In Frankreich sehe ich die Tendenz, die Vorfestlegung auf einen Standard voranzutreiben. Das ist darin begründet, wie Frankreich Industriepolitik betreibt, forsch und manchmal sehr frankophil.

Wir haben viel von den Risiken gesprochen, in welchen Bereichen hat Quanten-Computing einen grossen Nutzen?

Voraussichtlich in sehr vielen. Denken Sie vor allem an die Medizintechnik und die pharmazeutische Industrie. Quantentechnologie wird die Computertomografie vereinfachen und stark verbessern und auch bei komplexen molekularen Strukturen helfen, die man heute berechnen muss, um Medikamente zu entwickeln. Ein Anwendungsfall könnte auch die Deutsche Bahn sein. Wenn die Bahn etwa eine Strecke wegen eines Naturereignisses längere Zeit sperren muss, dauert es heute mehrere Tage, um die Fahrpläne anzupassen. Mithilfe der Quantentechnologie könnte das auf Knopfdruck geschehen, inklusive der neuen Dienstpläne für das Personal. Auch bei anderen komplexen Modellen mit hohen Rechenanforderungen kann die Quantentechnologie helfen, beispielsweise bei einer besseren Wettervorhersage.

Sind die Chancen der Technologie also grösser als die Risiken?

Ich denke schon. Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel. Heutzutage benötigen Computer immer mehr Energie. Ich glaube zwar nicht, dass man alle herkömmlichen Computer durch Quantencomputer ersetzen wird, doch Quantencomputer könnten ein Zusatz sein, quasi eine Art Turbolader, den man mit herkömmlichen digitalen Rechnern verbindet, um mehr Leistung mit weniger Energieeinsatz herauszuholen.

Zur Person

PD

Harald A. Summa – ein deutscher Internet-Pionier

Der 71-Jährige gilt als einer der bedeutenden deutschen Internet-Pioniere. Er war auch als Unternehmer und Autor tätig. Der gebürtige Oberfranke, der seit langem in Köln lebt, war von 1996 bis 2022 Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender von DE-CIX (gesprochen De-kicks), dem Betreiber des in Frankfurt domizilierten Internet-Knotenpunktes, der gemessen am Datendurchsatz zeitweise der grösste Knotenpunkt der Welt war. Heute ist er noch im Aufsichtsrat der DE-CIX Group. Zudem war er Gründer und ehemaliger Hauptgeschäftsführer von ECO, dem Verband der Internet-Wirtschaft. Summa kennt viele Beiräte und Gremien durch seine Mitgliedschaft von innen. Derzeit ist er unter anderem Chairman der Initiative Quantum Leap bei der Denkfabrik Diplomatic Council, die zum Beraterkreis der Vereinten Nationen gehört.

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