Donnerstag, Oktober 3

Eine Distanzierung von Queers for Palestine kommt für die Pride-Verantwortlichen nicht infrage.

Rolf Stürm ist schwul und jüdisch. Der 74-jährige Alt-FDP-Grossrat aus dem Kanton Basel-Stadt reist seit Jahrzehnten stets nach Zürich, wenn die Pride ansteht, der grösste queere Anlass der Schweiz. An der Pride laufen jeweils bis zu 50 000 Leute mit. Es ist eine friedliche Demonstration für Toleranz, für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen.

Dieses Jahr jedoch ist Stürms Vorfreude getrübt. Eine Gruppe namens Queers for Palestine ruft auf Flyern und in sozialen Netzwerken dazu auf, am Umzug am kommenden Wochenende nicht nur Regenbogen-, sondern auch Palästina-Flaggen zu hissen. Die Botschaft: «Stoppt den Genozid! Wir queeren Menschen solidarisieren uns mit dem palästinensischen Befreiungskampf.»

«Niemand ist glücklich»

Die Pride steht unter dem Motto «Frei in jeder Beziehung – seit 30 Jahren». Es geht um rechtliche Hürden für Paare in unkonventionellen Beziehungen. Doch Schweizer Juden, vor allem queere Schweizer Juden, fürchten, dass der fröhliche Umzug dieses Jahr von Konflikten überschattet sein könnte. Stürm sagt, das Thema werde sowohl in seinem jüdischen wie in seinem schwulen Umfeld intensiv diskutiert. «Niemand ist glücklich.»

Wer hinter der Gruppierung steht, ist unklar. Medienanfragen werden nicht beantwortet. Aus einem einschlägigen Forum beim Nachrichtendienst Signal werden Journalisten kurzerhand entfernt. Klar ist, dass es sich um den Schweizer Ableger einer internationalen Bewegung gleichen Namens handelt.

Wie es aussieht, wenn propalästinensisch-queere Demonstranten einer Pride den Stempel aufdrücken, hat man vor wenigen Tagen in Philadelphia beobachten können.

Dort traten Queers-for-Palestine-Aktivisten demonstrativ auf. Zu Handgreiflichkeiten kam es nicht, aber auf Videos ist zu sehen, wie verschiedene Demonstrantengruppen, in Regenbogenfarben gekleidet, einander anschreien.

Philly Pride parade halted by Gay 'Free Gaza' group | Dan Abrams Live

Die Aktivisten traten auch schon in anderen Städten auf, in der Regel aber nicht an Pride-Veranstaltungen, sondern als Teil von Pro-Palästina-Demos. In Philadelphia forderten die Demonstranten eine «Queer-Intifada gegen Kolonisten und Kapitalisten». Und sie sprachen sich gegen jegliche Pride-Feier aus, sollte sich diese nicht dem Kampf, den «Genozid zu beenden», unterordnen.

In der Kurzform heisst das: «No pride in genocide». Es ist jener Slogan, der auch von den Aktivisten in Zürich verwendet wird.

Keine wahre Solidarität

Stürm sagt, er kenne persönlich trotz grossem schwulem Bekanntenkreis niemanden, der sich bei der Bewegung engagiere. Er vermutet, dass Dritte die Pride für ihre Anliegen zu kapern versuchen. «Wie viele Queers sind in dieser Gruppe? Wissen diese Leute, wie lange ein offen Schwuler in Palästina überleben würde?»

Es sei ein feiner, aber wichtiger Unterschied, sagt Stürm: Mit «Queers for Palestine» fordere man von queeren Leuten ultimativ Solidarität mit Palästina ein. Für queere Menschen in Palästina selbst setze man sich hingegen gerade nicht ein. Eine solche Forderung würde er «sofort unterstützen», sagt Stürm. Denn in Gaza litten queere Menschen enorm, nicht nur wegen der Bomben, sondern auch wegen der Schwulenfeindlichkeit der Hamas. «Aber für diese Menschen schreit niemand Slogans.»

Stürm befürchtet Unruhe am Umzug, vielleicht auch Sachbeschädigungen und Schmierereien. Er sagt: «Diese Gruppe droht die Pride kaputtzumachen.»

Und er würde sich wünschen, dass sich die Pride-Verantwortlichen mit einem Appell oder Ähnlichem klar positionierten.

Aber dies kommt derzeit nicht infrage. Alexander Wenger, Co-Präsident der Pride, sagt, der Verein sei politisch neutral. «Wir machen keine Bewertung.»

Man unterstütze zwar Rechte für Queere, habe aber keine Meinung zum Nahostkonflikt. «Ziel ist eine friedliche Demo, an der sich alle wohlfühlen.» Solange man sich friedlich verhalte, werde man an der Pride toleriert. Toleranz gelte, Stand heute, auch für Landesflaggen, wie beispielsweise die oft mitgeführte brasilianische oder letztes Jahr die ukrainische.

Natürlich sei diese Pride anders als andere und natürlich bewege man sich in einem Spannungsfeld, sagt Wenger. Es gebe in der queeren Bewegung schon immer zahlreiche Subkulturen mit zum Teil gegenteiligen politischen Ansichten, so wie in der Gesamtgesellschaft auch.

Die Pride sei manchmal «wie eine liebevolle Mutter, die versucht, ihre zerstrittenen Kinder zusammenzuhalten», sagt Wenger.

Mit diesem Argument kann Rolf Stürm wenig anfangen. Inhaltliche Differenzen aller Art seien nicht vergleichbar mit dem, was derzeit geschehe. Denn es handle sich um Gruppierungen, deren Auftreten nichts anderes als Wasser auf die Mühlen der Hamas sei.

Und deren Schwulenfeindlichkeit sei bekanntlich sehr gut belegt.

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