Sonntag, November 24

Das Geschäft mit dem Wasser gehörte lange zur Identität des Konzerns. Nun wird eine Abspaltung denkbar. Was ist passiert?

Vielleicht hätte Nestlé Perrier doch besser Gianni Agnelli überlassen. Der legendäre Fiat-Patron hatte sich 1991 für die französische Mineralwasserfirma interessiert. Doch der «Avvocato» unterlag in einem nervenzehrenden Übernahmekampf dem Konzern aus Vevey .

Zwei Jahre zuvor hatte die Nestlé-Führung unter Helmut Maucher Wasser als neuen Schwerpunkt der Firmenstrategie definiert. Mineralwasser war damals ein stark wachsendes Geschäft. Es passte auch zu den Bemühungen, ein gesünderes Produktesortiment zu schaffen.

Der Nahrungsmittelriese war bereits an der Marke Vittel beteiligt, hatte aber sonst keine bedeutenden Aktivitäten in dem Bereich – da durfte er sich die Perrier-Gruppe, das damals weltgrösste Mineralwasser-Unternehmen, nicht wegschnappen lassen.

Die Akquisition machte Nestlé auf einen Schlag zum Marktführer. Weitere Zukäufe folgten. Bald war der Name des Konzerns untrennbar mit dem Wassergeschäft verbunden.

Das hat sich geändert. Eine Trennung rückt in den Bereich des Möglichen. Am Investorentag diese Woche hat der neue Konzernchef Laurent Freixe eine Bündelung des Geschäfts in einer eigenen Einheit angekündigt. So sollen die Wasseraktivitäten attraktiv für eine mögliche Kooperation gemacht werden. Ein Verkauf ist nicht ausgeschlossen.

Verzerrte Wahrnehmung

Natürlich ist Wasser bei Nestlé nicht von einem Tag auf den anderen vom Hoffnungsträger zum Sorgenkind geworden. Dennoch ist die Entwicklung bemerkenswert. Auch darum, weil die Öffentlichkeit das Wassergeschäft stets als viel bedeutender eingeschätzt hat, als es für den Konzern tatsächlich ist.

Diese verzerrte Wahrnehmung gilt erst recht, seit das Unternehmen 2021 in einem ersten Schritt verschiedene Wassermarken in Nordamerika verkauft hat. Mit dieser Transaktion reduzierte die Firma ihre Abhängigkeit vom wenig rentablen Massengeschäft. Der Umsatz der Sparte halbierte sich. Heute verkauft Nestlé Wasser für rund drei Milliarden Franken. Das sind noch gerade einmal 3,5 Prozent des gesamten Konzernumsatzes.

Der besondere Stellenwert von Wasser in der Diskussion über Nestlé hat damit zu tun, dass es ein natürliches und emotional stark aufgeladenes Produkt ist. Maggi-Würfel oder Tiefkühlpizza bieten weniger Angriffsflächen.

Mit Vorwürfen, die Firma pumpe der Bevölkerung das Grundwasser ab, erneuerten Nestlé-Kritiker das alte Feindbild aus den Zeiten des Babymilch-Skandals. Der Dokumentarfilm «Bottled Life» von 2012 brachte die Wasserproblematik auf die Kinoleinwand und ins Bewusstsein eines breiteren Publikums – und negative Schlagzeilen für den Konzern.

Der Verweis des ehemaligen Nestlé-Chefs Peter Brabeck auf die weltweite Wasserverschwendung wegen defekter Leitungen beruhigte die Debatte ebenso wenig wie sein Hinweis, dass das Wassergeschäft von Nestlé 0,0009 Prozent der weltweiten Wasserversorgung ausmache.

Proteste gegen Abfüllanlagen gab es nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in den USA oder im französischen Dorf Vittel, wo die Quelle des gleichnamigen Wassers liegt.

Verbotene Filter

Zur Problematik mit dem Grundwasser kamen immer wieder Verunreinigungen. Als Nestlé Perrier übernahm, litt das Unternehmen noch immer unter den Folgen der Benzol-Affäre. Ein Labor hatte Spuren dieser potenziell krebserregenden Substanz in Mineralwasserflaschen nachgewiesen.

Das Thema der Verunreinigungen beschäftigt den Konzern bis heute. Erst kürzlich musste Nestlé in Frankreich eine Busse bezahlen, weil die Firma zur Reinigung ultraviolettes Licht und Aktivkohlefilter eingesetzt hatte, was bei Mineralwasser verboten ist, weil dieses von Natur aus rein sein muss. Auch bei der Schweizer Nestlé-Marke Henniez wurden nicht erlaubte Filter eingesetzt.

Aus Nestlé-Sicht sind diese Affären zwar eine Belastung für das Image und schrecken wie die Abfallproblematik mit den Plastikflaschen nachhaltig orientierte Anleger ab. Der Grund dafür, dass die Begeisterung der Nestlé-Führung für das Wassergeschäft verflogen ist, liegt aber vor allem in den Margen. Diese sind hier deutlich tiefer als etwa beim Tierfutter oder beim Kaffee. Im Supermarkt greifen Konsumenten zunehmend zu den Wassereigenmarken der Detailhändler.

Hahnenwasser im Restaurant

Wer meint, dass Mineralwasserfirmen viel verdienen, weil ein Liter Wasser im Restaurant schnell einmal 12 Franken oder mehr kostet, liegt falsch. Denn der Wirt zahlt im Einkauf für die Flasche je nach Marke und Abnahmemenge vielleicht rund 1.50 Franken. Vom Preis auf der Karte landet also nur ein kleiner Teil beim Getränkehersteller.

«Mineralwasser ist ein wichtiges Produkt für die Gastronomie», sagt Maurus Ebneter, Präsident des Wirteverbands Basel-Stadt. Dank der Marge auf den Getränken könnten Restaurants ihre Menupreise knapper kalkulieren. Dies würde jedoch erschwert, wenn die Gäste stattdessen kostenloses Hahnenwasser verlangten – ein Phänomen, das auch den Mineralwasserfirmen missfällt.

Eine weitere Eigenheit beim Wasser ist die aufwendige, von anderen Produkten getrennte Logistik – ähnlich wie beim von Nestlé bereits in ein Joint Venture mit einem Finanzinvestor ausgelagerten Glacegeschäft.

Doch bevor sich der Konzern in einem zweiten Schritt von der verbliebenen Hälfte seines Wassergeschäfts trennen kann, muss dieses auf Vordermann gebracht werden. Das ist die Aufgabe von Muriel Lienau. Als bisherige Chefin von Nestlé Frankreich ist sie bereits mit den Problemen bei Vittel und Perrier sowie mit der Thematik der verbotenen Filter vertraut.

Vor allem aber muss die Managerin dafür sorgen, dass die Mineralwasser von Nestlé gegenüber der Konkurrenz nicht weiter ins Hintertreffen geraten. So verlängerte etwa der Discounter Lidl unlängst in Deutschland den Vittel-Vertrag nicht mehr. Davon hat der Konkurrent Danone mit seiner Marke Volvic profitiert.

Der französische Konzern, zu dem auch Evian gehört, ist während einiger Jahre beim Wasser stärker gewachsen als Nestlé. Nach einem von Investoren erzwungenen Chefwechsel hat Danone sein Portfolio überprüft und sich wie Nestlé von ein paar weniger attraktiven Wasseraktivitäten getrennt. Auch bei Danone kursieren immer wieder Forderungen und Spekulationen bezüglich einer Abspaltung der Sparte.

Glück mit einer neuen Flasche

Anders als Nestlé oder Danone können sich kleine Mineralwasserfirmen nicht einfach auf andere Warengruppen ausrichten. Die Mineralquelle Eptingen etwa, ein Unternehmen mit eigenen Quellen im Oberbaselbiet und im solothurnischen Lostorf muss das Beste aus der Marktsituation machen.

«Das Geschäft mit Mineralwasser ist umkämpft», sagt Damaris Buchenhorner. Sie ist Verwaltungsratspräsidentin und Marketingleiterin in der Firma, die seit vier Generationen im Besitz der Familie ihres Mannes ist. Einen Glücksgriff machte Eptinger mit einer neu gestalteten Glasflasche. Mit dem neuen Design konnte die Firma ihre Nische finden und Marktanteile zurückgewinnen.

Ein solcher Marketingcoup muss im grösseren Rahmen auch der Nestlé-Wasser-Chefin Muriel Lienau gelingen. Potenzial sieht der Vontobel-Analyst Jean-Philippe Bertschy beim Export der Premium-Marken San Pellegrino und Acqua Panna in die USA oder bei den neu lancierten Aromawassern namens Maison Perrier.

Wer greift zu?

Allzu viel Zeit hat Lienau nicht. Bertschy schätzt, dass Nestlé bis in 12 bis 18 Monaten einen Entscheid fällen möchte, wie es weitergeht. Als Ausstiegsszenario kann er sich ein Joint Venture vorstellen oder einen Verkauf – entweder an eine Private-Equity-Gesellschaft oder an einen Konkurrenten wie Danone oder Pepsico.

Kein Interesse an Mineralwasser dürften die Nachkommen von Gianni Agnelli haben. Schliesslich haben die Fiat-Erben bereits das Weingut Château Margaux weiterverkauft. Dieses hatte der Industrielle nach dem verlorenen Kampf um Perrier quasi als Trostpreis erhalten.

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