Das deutsche Forschungsministerium erklärt, es könne keine zusätzlichen Mittel für den Future Circular Collider aufbringen. Dass China einen ähnlichen Beschleuniger bauen will, macht die Sache nicht einfacher.

Das Cern in Genf ist das Mekka für Elementarteilchenphysiker. Hierher pilgern Forscher aus der ganzen Welt, um den Austausch mit Kollegen zu pflegen und den weltweit leistungsfähigsten Beschleuniger zu nutzen. Damit das auch in Zukunft so bleibt, schmiedet die Europäische Organisation für Kernforschung (Cern) schon jetzt Pläne für einen Teilchenbeschleuniger, der den jetzigen Mitte der 2040er Jahren ablösen soll.

Der Favorit ist ein ringförmiger Beschleuniger mit einem Umfang von 91 Kilometern. Dieser soll Elektronen und ihre Antiteilchen auf noch nie erreichte Energien katapultieren. Anschliessend analysieren riesige Detektoren, ob die bei der Kollision erzeugten Teilchen so zerfallen, wie es das Standardmodell der Teilchenphysik vorhersagt. Im Zentrum steht dabei das am Cern entdeckte Higgs-Teilchen, das mit vielen offenen Fragen der Teilchenphysik zusammenhängt. Die Hoffnung ist, dass man in den Zerfällen dieses Teilchens subtile Abweichungen findet, die den Weg zu einem besseren Modell weisen.

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass dieser Beschleuniger der Superlative noch für politische Querelen sorgen wird. Denn die Kosten für den Future Circular Collider (FCC) werden auf 15 Milliarden Franken geschätzt. Damit sind die Baukosten dreimal so hoch wie für den jetzigen Beschleuniger, den Large Hadron Collider (LHC), der einen Umfang von 27 Kilometern hat. Und wie es bei solchen Projekten der Grundlagenforschung oft der Fall ist, gibt es keine Garantie, dass die Forscher mit der neuen Anlage tatsächlich bisher unbekannte Physik finden werden.

Deutschland stellt die Finanzierung des FCC infrage

Einen Vorgeschmack auf das, was kommt, lieferte kürzlich Eckart Lilienthal vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). An einem Workshop deutscher Teilchenphysiker in Bonn kritisierte der Regierungsvertreter die bisherigen Schätzungen zur Finanzierung des FCC. Diese seien äusserst vage und erforderten ein hohes Mass an finanziellem Engagement von externen Partnern. «Unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen», so Lilienthal weiter, «ist Deutschland nicht in der Lage, die geplanten Mittel für den FCC bereitzustellen.» Die deutschen Teilchenphysiker sollten sich deshalb auf alternative Szenarien vorbereiten – inklusive eines ohne FCC.

Ein solches Statement vom grössten Beitragszahler des Cern sorgte nicht nur bei deutschen Teilchenphysikern für Konsternation. Er habe in den Tagen nach dem Workshop mehrere E-Mails von besorgten Kollegen erhalten, sagt Hans Peter Beck von der Universität Bern, der am Cern forscht. Immerhin trägt Deutschland mehr als 20 Prozent zum jährlichen Cern-Budget von 1,2 Milliarden Franken bei. Was das BMBF sagt, hat also eine enorme Tragweite.

Zu den Organisatoren des Workshops in Bonn gehört Lutz Feld von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Das BMBF habe bereits früher ähnliche Andeutungen gemacht, sagt der Teilchenphysiker. Deshalb seien die Aussagen für ihn nicht völlig überraschend. Zum Teil kann Feld die deutsche Haltung sogar nachvollziehen. «Solange es keinen finanziell tragbaren Finanzplan gibt, kann man von einer Regierung keine Zustimmung zu einem Projekt erwarten.»

Das Statement aus dem BMBF kann man als Warnung verstehen, den finanziellen Aspekten des Future Circular Collider mehr Beachtung zu schenken. In der Machbarkeitsstudie, die das Cern im Jahr 2021 in Auftrag gegeben hatte, ging es bisher vor allem um wissenschaftliche und technische Dinge, um mögliche Standorte für den Beschleuniger und die Auswirkungen auf die Umwelt.

Wer Genaueres zur Finanzierung des Beschleunigers wissen will, wird auf später vertröstet. Für Feld ist klar, dass ein Megaprojekt wie der Future Circular Collider nicht gänzlich aus dem laufenden Etat des Cern bestritten werden kann. Zur Machbarkeitsstudie gehöre deshalb, aufzuzeigen, woher das zusätzliche Geld kommen solle.

Das Cern sucht nach zusätzlichen Geldgebern

Eine Möglichkeit besteht darin, nichteuropäische Länder wie Japan oder die USA stärker an das Cern zu binden. So haben die USA und das Cern im Mai eine Absichtserklärung unterzeichnet, sich bei der Planung grosser Forschungseinrichtungen zu unterstützen. Konkret heisst es dort: «Sollten die Cern-Mitgliedstaaten zu dem Schluss kommen, dass der Future Circular Collider […] die nächste weltweit führende Forschungseinrichtung des Cern sein wird, beabsichtigen die Vereinigten Staaten, vorbehaltlich der entsprechenden nationalen Genehmigungen, an seinem Bau und seiner physikalischen Nutzung mitzuwirken.»

Auch die Schweiz und Frankreich könnten in den nächsten Jahren stärker zur Kasse gebeten werden. Als Gastländer des Cern würden sie in besonderem Masse vom Bau eines neuen Beschleunigers profitieren, für den ein 91 Kilometer langer Tunnel in 200 Metern Tiefe und vier riesige, unterirdische Experimentierhallen gegraben werden müssten.

Laut einem Bericht im Wissenschaftsmagazin «Nature» regen einige Physiker an, die Schweiz und Frankreich sollten einen höheren Anteil der Baukosten tragen. Ob es am Cern tatsächlich solche Gedankenspiele gibt, ist unklar. Bis dato habe das Cern gegenüber der Schweiz keine entsprechenden Wünsche geäussert, schreibt das Schweizerische Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) auf Nachfrage.

China möchte aus dem Schatten Europas treten

Der Warnschuss aus Deutschland kommt auch deshalb ungelegen, weil China sich anschickt, dem Cern Konkurrenz zu machen. Die chinesische Akademie der Wissenschaften verfolgt Pläne für einen ganz ähnlichen Beschleuniger. Der Circular Electron Positron Collider (CEPC) hat einen Umfang von hundert Kilometern und soll wie der FCC präzise vermessen, wie das Higgs-Teilchen und andere Teilchen zerfallen.

Vor wenigen Monaten haben chinesische Forscher den «Technical Design Report» veröffentlicht, in dem das Projekt detailliert beschrieben wird. Die Gesamtkosten für den Beschleuniger werden dort auf 5,2 Milliarden Dollar geschätzt. Damit wäre der CEPC deutlich billiger als der FCC.

Ob der Beschleuniger gebaut wird, könnte sich bereits 2025 entscheiden, wenn China seinen nächsten Fünfjahresplan verabschiedet. Die Bauarbeiten könnten zwei Jahre später beginnen. Als frühester Termin für die Inbetriebnahme wird das Jahr 2035 genannt. Damit hätte China gegenüber dem Cern einen Vorsprung von zehn Jahren.

Er selbst sei mit den chinesischen Plänen nicht sonderlich vertraut, sagt Feld. Kollegen, die das besser beurteilen könnten, hätten ihm aber versichert, dass China durchaus in der Lage sei, einen solchen Beschleuniger zu bauen. «Es besteht daher die reale Gefahr, dass Europa seine führende Rolle in der Teilchenphysik verliert.»

Auch Hans Peter Beck nimmt das chinesische Konkurrenzprojekt ernst. Entscheidend ist für ihn die Frage, ob China andere Länder dazu bewegen kann, sich an dem Projekt zu beteiligen. Das Einmalige am Cern sei, dass hier Teilchenphysiker, Ingenieure und Techniker aus der ganzen Welt zusammenarbeiteten. Damit habe das Cern eine geopolitische Dimension.

Für Beck und Feld ist klar, dass das Cern bald die Weichen stellen muss. Das setzt allerdings einen Konsens der europäischen Teilchenphysiker voraus. Der ist bisher nicht in Sicht. Viele von ihnen stehen zwar hinter dem Future Circular Collider. Es gibt aber auch Stimmen, die den Bau eines kompakten Linearbeschleunigers (Clic) bevorzugen würden.

Mit diesem lassen sich Elektronen und Positronen auf höhere Energien beschleunigen, was die Chance erhöht, neue Teilchen zu entdecken. Dafür erzeugt der FCC in dem für ihn zugänglichen Energiebereich mehr Kollisionen pro Sekunde. Sollte es tatsächlich subtile Abweichungen vom Standardmodell geben, werden diese mit dem FCC schneller erkannt.

Die europäischen Teilchenphysiker wollen sich bis 2026 auf eine Strategie einigen, die dem Cern als Entscheidungsgrundlage dienen soll. Bis dahin sollte nicht nur ein solider Finanzplan für den FCC vorliegen. Bis dahin wird man vermutlich auch wissen, was China macht. Wie sich das auf die europäische Entscheidung auswirkt, bleibt abzuwarten.

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