Dienstag, November 5

Jones war Jazztrompeter, Arrangeur, Produzent und eine der einflussreichsten Figuren der amerikanischen Pop-Musik. Und er hat die Karriere von Stars wie Ray Charles, Frank Sinatra und Michael Jackson mitgeprägt.

Quincy Jones kannte keine musikalischen Vorurteile. Mit seinem Jahrhunderttalent hat der Afroamerikaner die amerikanische Musikszene zwischen New York und Hollywood jahrzehntelang mitgeprägt. Sein weitverzweigtes Werk ist kaum zu fassen. 27 Grammys bei 80 Nominierungen sowie 7 Oscar-Nominierungen samt einem Ehren-Oscar für Film-Scores aus seiner Feder – die Ehrungen geben einen Eindruck von Quincy Jones’ Bedeutung.

Verdient hat er sich den Erfolg als Trompeter und Arrangeur, als Komponist, Produzent und Unternehmer. Quincy Jones baute Brücken zwischen schwarzer Musik und weissem Mainstream, zwischen klassischem und modernem Jazz, zwischen Kunstanspruch und Unterhaltung. Und wahrscheinlich ist es ihm dabei gelungen, die Welt ein bisschen besser zu machen.

Das Ghetto und die Gangster

Geboren am 14. März 1933, wuchs Quincy Jones in der South Side von Chicago auf – in den 1930er Jahren eine Art Bilderbuch-Ghetto. Kein Geld, nirgends. Stattdessen Gangster verschiedener Preisklassen, auf den Strassen der alltägliche Schrecken der Banden. Und überall familiäre Tragödien. Im Alter von sechs Jahren musste Jones selber zusehen, wie man seiner Mutter eine Zwangsjacke anlegte, um sie in eine psychiatrische Klinik zu bringen. Die Stiefmutter, die in der Familie bald ihre Stelle einnahm, erwies sich als eine ständige Zumutung.

Manchmal wohnte der Junge bei der Grossmutter, einer alten Frau, die noch in die Sklaverei geboren worden war und in erbärmlichsten Verhältnissen in einer Hütte hauste. Keine Heizung, kein fliessendes Wasser, zu Mittag gab es gebratene Ratten. So war das. Und der kleine Quincy Jones träumte nicht von musikalischen Erfolgen, sondern von einer Karriere als Gangsterboss.

Später zog die Familie Jones an die Westküste und lebte unweit von Seattle im ethnisch gemischten Bremerton, wo der Krieg Arbeitsmöglichkeiten für den Vater, einen Zimmermann, geschaffen hatte. Ein paar Jungs brachen in das Zeughaus der Armee ein, wo zufällig auch ein Klavier stand. Eine Erleuchtung! Quincy Jones spielte darauf herum – und nun war es um ihn geschehen. Sofort sei für ihn klar gewesen, erzählte er später, dass er den Tönen sein Leben widmen würde.

Die Punkte auf den Linien

Der erste Schritt auf Quincy Jones’ musikalischem Weg führte in den Schulchor, der zweite in die Schul-Band, wo er Perkussion, diverse Blasinstrumente, Sousaphon und Posaune spielte. Zum Virtuosen und expressiven Solisten aber wurde er als Jazztrompeter. Quincy Jones hörte sich jede Band an, die in Seattle spielte, er speicherte das Gehörte und versuchte es selbst nachzuspielen. So brachte er sich alles bei, was er aufschnappen konnte. Wie man einen Ton bläst. Wie man phrasiert. Welche Töne gehen und welche nicht. Und wie die Töne mit den Punkten und Linien auf dem Notenpapier zusammenhingen.

Mit vierzehn Jahren spielte Quincy Jones bereits regelmässig in den Bars und Klubs der Stadt und verdiente sich ein paar Dollars als Musiker. Anschliessend jammte er mit Gleichgesinnten durch die Nacht – immer wieder auch mit dem blinden Saxofonisten, Pianisten, Sänger und Showman Ray Charles, der bis zu seinem Tod im Jahr 2004 zu seinen engsten Freunden zählte. Die coolen New Yorker Bebopper um Charlie Parker und Dizzy Gillespie waren die Vorbilder.

Als der Trompeter achtzehn wurde, bekam er ein Stipendium für die Schillinger School in Boston. Dort verfeinerte Quincy Jones seine formalen und technischen Fertigkeiten, um ein Jahr später mit der Band von Lionel Hampton auf Tour zu gehen. Ähnlich wie Ray Charles war Hampton ein Musiker, der sich nicht scheute, populäre Oberflächenreize und Show-Effekte in sein Programm einzubauen. So führte er seinen jungen Trompeter in die Gesetze des Showbusiness ein. In Hamptons Band avancierte Quincy Jones schnell zum musikalischen Leiter. Vier Jahre später übernahm er die Big Band von Dizzy Gillespie, seinem Idol.

Immer mehr rückte das Schreiben und Arrangieren von Musik in den Fokus von Quincy Jones. Er studierte unter anderem in Paris bei der französischen Komponistin Nadia Boulanger. Danach arbeitete er immer öfter als Arrangeur, Dirigent und später auch als Organisator bedeutender Bands – für seinen Freund Ray Charles ebenso wie später für den Big-Band-Veteranen Count Basie. Über Basie lernte er auch Frank Sinatra kennen, dem er jahrelang zur Seite stand.

Der Weg zu Pop und Film

1961 wurde Quincy Jones als erster afroamerikanischer Musiker Chef des Major-Labels Mercury und befasste sich zunehmend mit Pop-Musik. Um die gleiche Zeit aber beauftragte ihn der Hollywood-Regisseur Sidney Lumet auch mit dem Soundtrack zum Film «The Pawnbroker» (1964), woraus nicht nur ein steter Strom von Filmmusik resultierte. Dies brachte Quincy Jones in die Nähe zur Welt von Hollywood, was sich in seinem Privatleben niederschlug. Von den fünf Frauen, mit denen er sieben Kinder hatte, waren drei Schauspielerinnen (unter ihnen Nastassja Kinski).

Wie kaum ein anderer Musiker hat Quincy Jones all die Zutaten der modernen Musik verinnerlicht. Die erdige Kraft des Gospel, die feine Ironie des Blues, das Raffinement des Bebop, die Glätte des Pop – aber auch klassische Kompositionstechnik. Und wie kein anderer war er in der Lage, die unterschiedlichen Bestandteile in schlüssigen Formen wieder freizusetzen, ohne sie dabei zu sehr mit der eigenen Person zu verbinden.

Quincy Jones war kein Star, als musikalische Eminenz blieb er zumeist im Hintergrund, und doch verwirklichte er sich als origineller Künstler: So war er ein hervorragender Jazztrompeter; ein Orchesterleiter, dessen messerscharfe Bläser-Riffs zum Markenzeichen wurden; ein Filmkomponist und Pop-Produzent, der Musik für ein möglichst breites Publikum schuf, diese aber spickte mit Reizen, die über Mainstream-Klischees weit hinausgingen.

Die rechte Hand des Kings

Bei den Arbeiten zum Musical-Film «The Wiz» (1978) kam Jones mit einem Musiker zusammen, mit dem er einen weiteren strahlenden Erfolg erzielte: Michael Jackson. Jones verhalf den epochalen Alben «Off the Wall» (1979), «Thriller» (1982) und «Bad» (1987) zu elektrisierenden Beats und einer unvergleichlichen klanglichen Prägnanz. «Q», wie ihn seine Freunde nannten, behauptete sich einmal mehr als Zauberer, der Qualität und Erfolg in Einklang brachte.

Als Quincy Jones infolge gesundheitlicher Probleme Mitte der 1970er Jahre mit dem Trompetenspiel aufhören musste, versiegte zwar ein Strom seiner Kreativität. Doch brillierte er seither umso mehr als Pop-Produzent und Orchesterleiter. Gut zwanzig Alben eigener Bands hat er herausgebracht – darunter auch ein Herzensprojekt: Im Sommer 1991 konnte er den legendären Trompeter Miles Davis dazu bewegen, mit der Quincy Jones Band auf die Bühne des Montreux Jazz Festival zurückzukehren. Diesem Ereignis sind die letzten Live-Aufnahmen von Miles Davis zu verdanken.

Auch danach setzte sich Quincy Jones noch nicht zur Ruhe. Als Freund des Festival-Impresarios Claude Nobs wirkte Quincy Jones mit in der musikalischen Leitung des Montreux Jazz Festival. Auch nach Nobs’ Tod kam er immer wieder an den Genfersee, um die Pop-Diven und Pop-Stars anzusagen, von denen er selbst fast wie ein Heiliger verehrt wurde. Allerdings machte das Rampenlicht bei dieser Gelegenheit deutlich, dass Quincy Jones’ Lebenskräfte allmählich nachliessen. – Am Sonntagabend ist der grosse Musiker im Alter von 91 Jahren in Los Angeles gestorben.

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