Freitag, September 27

Noch ist unklar, wie es zum tödlichen Unfall der Schweizerin Muriel Furrer an den Rad-WM kam. Doch die generelle Zunahme von Stürzen ist besorgniserregend. Der Handlungsbedarf ist offensichtlich.

Im Jahr 2017 verletzten sich 134 weibliche und männliche Radprofis schwer. In der Saison 2023, die vom Tod des Schweizers Gino Mäder überschattet wurde, waren es 296: mehr als doppelt so viele und mehr als je zuvor. Es folgte ein Frühjahr, in dem einige der grössten Stars ernste Blessuren davontrugen. Jonas Vingegaard quetschte sich die Lunge, Wout van Aert brach sich sieben Rippen und das Brustbein, Marlen Reusser den rechten Kiefer und beide Gehörgänge.

Die Entwicklung führt zu einem Schluss, der nicht nur für den Weltverband UCI unangenehm ist: Radrennen werden immer gefährlicher. Der Unfalltod der Schweizer Nachwuchsfahrerin Muriel Furrer an den Rad-WM in Zürich wirft erneut ein düsteres Schlaglicht auf die Problematik. Die 18-Jährige kam am Donnerstag im Rennen der Juniorinnen zu Fall, am Freitag erlag sie ihren Verletzungen.

Ob Furrers Sturz zu verhindern oder abzumildern gewesen wäre, ist noch unklar. Die Strasse im Wald oberhalb von Küsnacht ist steil, doch die Kurven sind gut einsehbar, der Bodenbelag unbeschädigt. Ob der Fahrerin schnell genug geholfen wurde, dürfte Gegenstand der laufenden Ermittlungen sein.

Es ist richtig, dass die Weltmeisterschaften nicht abgebrochen werden

Unabhängig von deren Ausgang ist es richtig, dass die Weltmeisterschaften weitergehen. Massgeblich sind hier keine wirtschaftlichen Erwägungen. Furrers Familie sprach sich für eine Fortsetzung aus, bevor der Tod feststand, und ihr Votum ist in diesem Fall entscheidend. Zu akzeptieren wäre auch, falls die Familie ihre Meinung ändern sollte. Gleichzeitig ist es angemessen, dass es der Verband Swiss Cycling seinen Athletinnen und Athleten freistellt, ob sie die noch ausstehenden Rennen bestreiten wollen.

Und doch sollte es keine weiteren schweren Unfälle brauchen, damit gehandelt wird. Wenige Tage nach Mäders Unfall im Juni 2023 kamen in Bilbao Funktionäre und Organisatoren mit Team- und Fahrervertretern zusammen. In seltener Einigkeit kamen sie zum Fazit, beim Thema Sicherheit müsse etwas passieren.

Was seitdem beschlossen wurde, ist zu wenig. Im Zentrum von Massnahmen, welche im Juni 2024 bekanntgegeben wurden, steht der Versuch, gefährliche Fahrweisen mit gelben Karten zu bestrafen. Die Idee ist untauglich, ihre bisherige Anwendung wirkte willkürlich. Ohnehin sind nur 50 Prozent der Stürze in Rennen auf Fahrfehler zurückzuführen. Wichtig wäre, über die anderen 50 Prozent nachzudenken.

Nicht jede Kurve lässt sich mit Leuchtsignalen ankündigen und mit Schaumstoff absichern, aber in den heikelsten Passagen sollte das zum Standard werden. Steile Abfahrten kategorisch zu vermeiden, ist weder möglich noch wünschenswert. Aber es ist ein Warnsignal, wenn erfahrene Profis, wie am Sonntag nach dem Zeitfahren, bestimmte Abschnitte als heikel kritisieren.

Fahrer und Fahrerinnen könnten mit Airbags ausgestattet werden

Das Durchschnittstempo wird immer höher, nicht zuletzt wegen Innovationen beim Material. Der Unfalltrend sollte ein Nachdenken über weitreichende Regeländerungen nach sich ziehen. Manche Fahrer fordern, die Felder zu verkleinern. Andere verlangen, dass Talente erst auf höchster Ebene starten, wenn sie an ihren technischen Fähigkeiten gefeilt haben. Vor allem in Frankreich kursieren Appelle, den Gebrauch von Schmerzmitteln einzuschränken, weil diese die Sinne vernebeln können.

Weitere Optionen wären zu prüfen – zum Beispiel, Fahrer mit Airbags auszustatten, sobald entsprechende Produkte einsatzbereit sind. Halskrausen, die sich bei Stürzen öffnen, gibt es bereits.

Es wäre falsch, den Radsport generell infrage zu stellen. An den meisten Tagen bietet er auf positive Art Spannung und Dramatik. Selbst für Insider verlaufen Rennen manchmal überraschender als Netflix-Serien. Velofahren ist nicht nur Lebensinhalt und Passion für Profis und Fans, sondern auch für Millionen Hobbyfahrer – und obendrein eigentlich eine der gesündesten Sportarten der Welt. Und doch braucht es begleitende Massnahmen, damit der Radsport nicht zum zynischen Spektakel verkommt.

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