Donnerstag, Oktober 10

Der langjährige Chef des Tata-Imperiums galt als scheuer, bescheidener Mann, der sich am liebsten mit Hunden umgab. Sein globaler Expansionskurs verlief nicht pannenfrei, war am Ende aber von Erfolg gekrönt.

Ein Visionär, ein Leuchtturm, eine Legende: Kaum ein Wort war den Indern gross genug, als am Donnerstag der Tod von Ratan Tata bekannt wurde.

Wirtschaftsführer, Journalisten und Politiker aller Couleur würdigten den langjährigen Chef des Tata-Imperiums in den höchsten Tönen. Der Staat Maharashtra, in dessen Hauptstadt Mumbai der Sitz der Firmengruppe liegt, rief einen Tag Staatstrauer aus. Innenminister Amit Shah kündigte an, an der Beisetzung «des legendären Industriellen und wahrhaftigen Nationalisten» teilzunehmen. Der Firmenpatriarch war am Mittwochabend in einem Mumbaier Spital im Alter von 86 Jahren verstorben.

Über eine Million Angestellte

Ratan Tata hatte 1991 die Unternehmensführung von seinem Onkel J.R.D. Tata übernommen. In seinen über 20 Jahren an der Spitze der Tata-Gruppe machte er aus dem 1868 gegründeten Familienunternehmen einen globalen Konzern. Heute ist er in hundert Ländern präsent und beschäftigt bei einem Umsatz von 165 Milliarden Dollar über eine Million Menschen.

Obwohl sein Vater Naval Tata führende Positionen in der Firmengruppe innehatte, war Ratan Tatas Aufstieg an die Konzernspitze nicht vorbestimmt. Der junge Ratan studierte zunächst Architektur an der New Yorker Cornell University, kehrte dann aber auf Drängen seiner Grossmutter Navajbai nach Indien zurück. Dennoch galt er familienintern lange nicht als designierter Erbe und hatte es zunächst schwer, sich in dem Unternehmen zu behaupten.

Seine grösste Liebe galt den Hunden

Ratan Tata galt als scheuer und zurückhaltender Mann, der trotz einem Faible für Sportwagen und Flugzeuge in seiner Heimatstadt Mumbai relativ bescheiden lebte. Im Gegensatz zu anderen Grossindustriellen wie Mukesh Ambani und Gautam Adani vermied er es, seinen Reichtum zur Schau zu stellen. Bis ans Lebensende blieb er ledig und hatte keine Kinder. Vertraute berichteten, seine grösste Liebe habe den Hunden gegolten. Dies ging soweit, dass er die Lobby der Firmenzentrale in Mumbai für die Strassenhunde öffnete.

Zudem war Ratan Tata auch ein grosser Mäzen, der die philanthropische Tradition der Familie fortführte. Die Familie entstammte der kleinen, aber einflussreichen Religionsgemeinschaft der Parsen. Diese geht auf zoroastrische Exilanten zurück, die zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert vor der Islamisierung Persiens nach Indien flohen. Obwohl es nur noch wenige Zehntausend Parsen gibt, spielen sie eine grosse Rolle in Mumbais Kultur- und Wirtschaftsleben.

Über Jahrzehnte war die Leitung der Firma Tata fest in der Hand der Familie und der Parsen. Der aktuelle Firmenchef Natarajan Chandrasekaran ist der Erste, der nicht durch Geburt oder Heirat zur Tata-Familie gehört.

Dennoch behalten die Tatas weiterhin erheblichen Einfluss in dem Firmen-Imperium. So wird erwartet, dass erneut ein Tata den Vorsitz von Tata Trusts übernehmen wird. Der Stiftung gehören 66 Prozent der Holding Tata Sons, die das Konglomerat kontrolliert.

Der Kauf des Stahlriesen Corus erwies sich als Fiasko

Doch auch wenn die Tata-Familie ihren Einfluss bewahrt hat, hat sich der Konzern unter Ratan Tata diversifiziert und internationalisiert. Dies begann im Jahr 2000 mit dem Kauf des britischen Teeherstellers Tetley Tea. Sieben Jahre später folgte die Übernahme des niederländischen Stahlproduzenten Corus. Kurz darauf kaufte Tata die britischen Traditionsmarken Jaguar und Land Rover – was viele Inder als späte Revanche über die alte Kolonialmacht empfanden.

Der Kauf von Corus kurz vor der Finanzkrise erwies sich aber als kostspieliges Fiasko. Auch Jaguar Land Rover schrieb zunächst rote Zahlen. Auf dem indischen Automarkt lief es in dieser Zeit ebenfalls nicht rund. Mit dem Nano lancierte Tata einen günstigen Kleinwagen, der für die breite Masse gedacht war. Doch erst gab es heftigen Streit um den geplanten Standort des Nano-Werks in West-Bengalen, und als das Auto auf den Markt kam, wollte es kaum jemand kaufen.

Ratan Tatas Image wurde weiter beschädigt, als er sich im Jahr 2016 einen erbitterten Streit mit seinem Nachfolger Cyrus Mistry lieferte. Auf Betreiben von Tata wurde Mistry abgesetzt, woraufhin Tata kurzzeitig wieder selbst die Firmenleitung übernahm. Mistry warf ihm daraufhin Regelverstösse, Vetternwirtschaft und einen Mangel an Transparenz vor. Die öffentlich ausgetragene Fehde sorgte für grosses Aufsehen in Indien und schadete dem Ansehen des Patriarchen.

Zuletzt gewann der Unternehmer in Indien aber wieder an Respekt. Dazu beigetragen hat, dass die Firma wieder recht gut dasteht. Jaguar Land Rover fährt satte Gewinne ein, und auch die indische Automobilsparte hat sich nach dem Debakel mit dem Nano erholt. Heute ist sie Marktführerin in der Elektromobilität in Indien.

Zur Freude von Ratan Tata hat die Firmengruppe 2021 zudem die nationale Fluggesellschaft Air India zurückgekauft, die von Tata gegründet, aber 1953 verstaatlicht worden war. Trotz der Internationalisierung bleibt Tata damit aufs engste mit Indien verbunden.

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