Freitag, Dezember 27

Erstmals seit einer Woche ist die Protestnacht ohne grössere Zwischenfälle verlaufen. Der Machtapparat denkt nicht ans Einlenken. Die Protestierenden sind trotzdem hoffnungsvoll.

Erstmals seit dem Wiederaufflammen der Proteste gegen die Regierung in Georgien haben die nächtlichen Demonstrationen am Donnerstag frühmorgens weitgehend friedlich geendet. Nach den Erfahrungen der vorangegangenen Nächte war das alles andere als vorhersehbar. Wieder hatten sich mehrere zehntausend Menschen im Zentrum der Hauptstadt Tbilissi vor dem Parlamentsgebäude versammelt.

Ihre Hauptforderung lautet, Neuwahlen nach den nachweislich manipulierten Parlamentswahlen von Ende Oktober abzuhalten sowie auf den Pfad der Annäherung an die Europäische Union zurückzukehren. Hinzu kam jetzt die Empörung über das Ausmass der Polizeigewalt in den Tagen davor sowie über Razzien und Festnahmen in Oppositionskreisen am Mittwoch. Für die Gegner der Regierungspartei Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili ist die Reaktion des Machtapparats auf die Proteste der beste Beweis dafür, dass Georgien in staatliche Repressionen nach dem Vorbild Russlands abgleitet.

Strafverfahren gegen Aktivisten

Am Mittwoch durchsuchten die Ermittlungsbehörden Büros von Oppositionsplattformen, aber auch von zivilgesellschaftlichen Bewegungen sowie die Wohnungen von Privatpersonen, die sich seit dem Protest gegen das «Agentengesetz» im Frühjahr aktiv am Widerstand beteiligt hatten. Gegen insgesamt achtzehn Festgenommene wird im Zusammenhang mit gewaltsamen Unruhen, Angriffe auf Polizisten und auf Material der Polizei strafrechtlich ermittelt. Mindestens sieben von ihnen wird die Organisation gewaltsamer Handlungen vorgeworfen, ein Straftatbestand, für den bis zu neun Jahre Gefängnis vorgesehen sind.

Nach Angaben des Innenministeriums wurden Feuerwerkskörper, Molotow-Cocktails und andere Gegenstände sichergestellt, die den gewaltsamen Charakter der Proteste unterstreichen sollen. Weggenommen wurden offenbar aber auch Schutzausrüstung wie Helme und Gesichtsmasken gegen Tränengas sowie Verbandsmaterial.

In der Tat hatten einzelne Demonstranten seit dem Wochenende zunehmend zu gewaltsamen Mitteln – Feuerwerkpetarden, Brandsätzen – gegriffen, mit denen sie gegen die anrückende Bereitschaftspolizei und das Parlamentsgebäude vorgingen. Zumeist war das eine Reaktion auf den Einsatz von Wasserwerfern und grossen Mengen an Tränengas sowie auf die Anwendung physischer Gewalt durch die Polizisten.

Der Regierung boten die wilden nächtlichen Szenen mit explodierendem Feuerwerk und Knallpetarden, mit brennenden Barrikaden und Brandsätzen die willkommene Gelegenheit, den Protest insgesamt als gewaltsam darzustellen. Ministerpräsident Irakli Kobachidse drohte deshalb den Oppositionsparteien und den Nichtregierungsorganisationen mit Konsequenzen. Auch diejenigen, die in ihren Büros sässen, trügen dafür eine Verantwortung, sagte er warnend. Am Donnerstag fühlte er sich darin bestätigt. Nach den Razzien sei die «Quelle der Gewalt» ausgemerzt worden.

Oppositionspolitiker abgeführt

Die politischen Parteien spielen bei den Protesten allerdings praktisch keine Rolle. Ihre Anführer mischen sich unters Volk, aber weder gibt es Redeauftritte, noch verbreiten die Organisationen einen politischen Plan. Es gibt keine Persönlichkeiten, die sich seit Beginn der Proteste zu Identifikationsfiguren der Demonstranten herausgebildet hätten. Das macht den Protest zu einer von der Wut jedes Einzelnen getragenen Bewegung. Zugleich fehlt dadurch eine klare Strategie.

Das Schicksal eines der Oppositionspolitiker, Nika Gwaramia, der am Mittwochnachmittag während der Polizeirazzien bewusstlos geschlagen und abgeführt wurde, ist noch nicht klar. Gwaramia ist einer derjenigen Oppositionellen, der zu einer führenden Rolle eher noch als andere fähig wäre und vor den Wahlen als potenzieller Kandidat der Opposition für das Amt des Ministerpräsidenten gehandelt worden war. In einem als politisch eingestuften Verfahren war der frühere Minister und Direktor privater Fernsehsender schon einmal verurteilt worden.

Auch die Festnahme eines weiteren Anführers, Alexander Elisaschwili, hat direkt nichts mit den Durchsuchungen vom Mittwoch zu tun. Dem heissblütigen Elisaschwili vom Oppositionsblock Starkes Georgien, der eine Weile aufseiten der Ukrainer gegen die Russen gekämpft hatte, drohen bis zu drei Jahre Freiheitsentzug, weil er einen Politiker des Georgischen Traums angegriffen hatte.

Mit Schlägertrupps gegen Festgenommene

Während die Regierung die Proteste als gewaltsame Umsturzversuche zu diskreditieren versucht, wurde in dieser Woche auch das Ausmass der Polizeigewalt plastischer. Laut glaubwürdigen Berichten misshandelten Schlägertrupps zahlreiche der mehr als 300 Festgenommenen brutal. Gezielt hatten es die Schergen offenbar auf die Gesichtsknochen abgesehen. Danach mussten die Geschundenen an einem Polizeikordon vorbeigehen, wo sie nochmals mit Schlägen eingedeckt wurden.

Nichtregierungsorganisationen, Oppositionspolitiker und die aufseiten der Regierungsgegner stehende Präsidentin Salome Surabischwili appellierten an westliche Staaten, die Zusammenarbeit mit der Regierung einzustellen und die an den Gewaltorgien Beteiligten mit Sanktionen zu belegen. Gleichzeitig gibt es Berichte über Unzufriedenheit bei den Sicherheitskräften. Mehrere hochrangige Mitarbeiter im Innenministerium sollen demissioniert haben. Es heisst, dass auch Operateure der Wasserwerfer ihren Dienst quittiert hätten, was dazu geführt habe, dass die Geräte in den vergangenen Nächten zuweilen versehentlich gegen die Polizei selbst eingesetzt worden seien.

Das und die zahlreichen abendlichen Kundgebungen in Städten und Ortschaften im ganzen Land geben den Regierungsgegnern die Hoffnung, Iwanischwili und seine Parteigänger hätten mit ihrem Beschluss zur Sistierung der Annäherung an die EU den Bogen überspannt. Umgekehrt sehen regierungsfreundliche Stimmen in den Festnahmen und der ruhigen Mittwochnacht das Zeichen dafür, dass den Protestierenden allmählich der Atem ausgehe. Für beide Schlussfolgerungen dürfte es noch zu früh sein.

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