Donnerstag, Mai 8

Eigentlich plant das Aussendepartement, die Verträge erst im Juni zu veröffentlichen. Doch der Druck aus dem Parlament steigt, und immer mehr Skeptiker wie Befürworter des Pakets dürfen den Text lesen. Über eine verfrühte Vernehmlassung.

Der Abstimmungskampf über die neuen EU-Verträge hat noch vor dem Beginn der ordentlichen Vernehmlassung begonnen. Am Mittwochmorgen sichteten der SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi und die SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo das neue Vertragspaket. Fotografieren war verboten. Die beiden Parlamentarier hatten knapp zwei Stunden Zeit, um das 750-seitige Dokument im englischen Original durchzusehen. Dabei wurden sie auch auf das Amtsgeheimnis hingewiesen, welches ihnen bis zur Veröffentlichung verbietet, über den konkreten Inhalt zu sprechen. Zu sagen gab es trotzdem einiges.

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Die Partei rief am Mittwochnachmittag in Bern zu einer kurzfristig angesetzten Medienkonferenz. «Ich bin von diesen 750 Seiten erschlagen», sagte Martullo. Hinzu kämen noch 150 Richtlinien und ebenso viele Detail-Regulierungen, welche die Schweiz übernehmen müsste. Aeschi wählte ebenso scharfe Formulierungen. Er sei schockiert, wie schlecht die Verträge verhandelt wurden. Sie würden das Ende des bilateralen Weges bedeuten.

Dass sich die EU-kritische SVP derartiger Formulierungen bedient, war zu erwarten. Dass dies allerdings gerade jetzt geschieht, hatte das Aussendepartement (EDA) von Bundesrat Ignazio Cassis so nicht vorgesehen.

Druck auf das Aussendepartement

Ende vergangenen Jahres gab der Bundesrat den Abschluss der Verhandlungen mit der Europäischen Union bekannt und veröffentlichte Faktenblätter mit den wichtigsten Punkten der geplanten Abkommen. Anschliessend sollte – wie bei Verträgen dieser Tragweite üblich – ein sogenanntes «legal scrubbing» stattfinden. Also eine rechtliche, aber auch semantische Überprüfung der Formulierungen. Dann aber untergrub das EDA seine eigenen Pläne.

Plötzlich gewährte das Aussendepartement Vertretern von Verbänden und einzelnen Mitgliedern des Parlaments die Möglichkeit, die Verträge in einem sogenannten «Reading Room» zu sichten. Dies, obwohl sie offiziell bis heute unter Verschluss sind. Als Reaktion auf verschiedene Medienberichte und den Druck aus dem Parlament erweiterte das EDA diese Berechtigung auf je zwei Parlamentarier pro Fraktion.

Doch der Entwurf bleibt – wenigstens in der Diktion seiner Kritiker – ein «Geheimvertrag». Wie der «Blick» am Mittwoch berichtete, soll Bundesrat Cassis nun auf den anhaltenden Missmut im Parlament reagiert haben. An der Bundesratssitzung in einer Woche soll die Regierung darüber beraten, ob sie allen Mitgliedern Zugang zu den Verträgen gewähren will.

Für die SVP ist es eine Zeitfrage

Für Martullo ist das jedoch zu wenig. Sie forderte am Mittwoch, die Verträge in der gegenwärtigen Form zu veröffentlichen. Sie seien derart umfangreich und gespickt mit Verweisen auf «EU-Direktiven», dass es Zeit brauche, die Auswirkungen zu prüfen. Die Frist für die Vernehmlassung, die immerhin von Mitte oder Ende Juni bis Ende Oktober dauern soll, sei zu kurz. Aeschi argumentierte ähnlich. Er sagte, im Verlauf des Sommers müsse man die Verweise auf EU-Recht und Verordnungen, die der Vertrag beinhalte, einzeln überprüfen.

Zurzeit könne man nur Eindrücke schildern, hielt Aeschi vor den Medien fest. Martullo schmückte diese Eindrücke allerdings entsprechend aus. Grundsätzlich mache dieser Vertrag deutlich, wie formalistisch und juristisch die EU sei. «Hier haben sich Juristen der EU selbst verwirklicht, und man sieht den Unterschied zu unserem bewährten Schweizer Rechtssystem.»

Neben allgemeineren Aussagen kritisierten Aeschi und Martullo den Vertragsentwurf auch inhaltlich. Sie fokussierten sich dabei auf einen Punkt, der von den Skeptikern des Abkommens immer wieder angeführt wird: die dynamische Rechtsübernahme. Er glaube nicht, dass der Bundesrat und die Beamten alle Details des Vertrages auf ihre praktischen Auswirkungen überprüft hätten, sagte Aeschi. «Sicher haben wir das am Mittwochmorgen nicht erfassen können.»

Grundsätzliche Differenzen zu den Punkten, über die der Bundesrat in mehreren Faktenblättern bereits informiert hat, hat Aeschi zwar nicht festgestellt. Allerdings habe er einiges gelesen, was noch nicht kommuniziert worden sei.

Aeschi und Martullo sind im Übrigen nicht die ersten Parlamentarier, die sich über ihre Kurz-Lektüre des Vertragsentwurfs äussern. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth sagte am Mittwoch beispielsweise, in den Verträgen stehe nichts Überraschendes. Der Text entspreche den Eckwerten, über die der Bundesrat öffentlich informiert habe.

Die erste Exegese von Befürwortern und Gegnern der Verträge bleibt also eine Überraschung schuldig. Wenigstens damit war zu rechnen.

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