Erstmals seit Verhandlungsabschluss sind Aussenpolitiker in die EU-Zentrale gereist. Dass dort kaum Emotionen im Spiel sind, zeigte sich sofort. Der Kommissionsvertreter musste sich einiges anhören.

Es war ein reichlich ungewohntes Bild: Thomas Aeschi, Fraktionschef der SVP und einer der vehementesten Gegner des bilateralen Vertragspakets, sass vor einer EU-Flagge. Als Vorsitzender der EU/Efta-Delegation der Schweizer Bundesversammlung hatte er die Ehre – oder die Pflicht –, das diesjährige interparlamentarische Treffen der Schweiz und der EU zu leiten, das am Montagnachmittag im Brüsseler Parlamentsgebäude durchgeführt wurde. Es fand bereits zum 44. Mal statt.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Dieses Jahr hatte es aber eine besondere Qualität: Es war die erste Sitzung nach dem Abschluss der Verhandlungen im bilateralen Dossier. Im Zentrum stand die Beziehungspflege, schliesslich ist das EU-Parlament seit weniger als einem Jahr neu zusammengesetzt. Für eine intakte Beziehung ist ein Gegenüber in Fleisch und Blut freilich von Vorteil – und dabei gibt es noch Luft nach oben, wie sich im Saal Spinelli 5E2 des sechzehnstöckigen Gebäudes gezeigt hat.

Die Schweizer EU/Efta-Delegation umfasst fünf Mitglieder plus fünf Stellvertreter. Nach Brüssel gereist sind fünf Vertreter der fünf grössten Parteien. In der Delegation aufseiten der EU sitzen 18 Parlamentarier plus 18 Stellvertreter. Beim Treffen war zu Beginn jedoch lediglich ein einziger EU-Parlamentarier, der Vorsitzende Andreas Schwab, anwesend. Drei weitere trudelten später ein, die letzte Parlamentarierin erst eine halbe Stunde vor Veranstaltungsende.

Die EU hat andere Probleme

Die Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter kaschierte ihre Verärgerung darüber kaum. «Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass mehr EU-Parlamentarier hier sind», sagte sie beim Austausch, der – anders als die Treffen in der Schweiz – öffentlich zugänglich war. Für eine Freundschaft brauche es die Grosszügigkeit der Schweiz gegenüber der EU, «aber auch von der EU gegenüber der Schweiz», sagte sie.

Zur Entschuldigung der EU-Parlamentarier ist einzuwenden, dass sich die Delegation auch um andere Nichtmitgliedsländer zu kümmern hat, darunter das sicherheitspolitisch derzeit besonders wichtige Norwegen. Längst nicht alle Delegierten kennen sich also mit der Schweiz aus. Zudem fanden gleichzeitig Sitzungen der parlamentarischen Ausschüsse statt.

Dennoch zeigte die Konfiguration geradezu exemplarisch das Ungleichgewicht des öffentlichen Interesses: Für die Schweiz ist das bilaterale Verhältnis zur EU von eminenter Bedeutung, das auch mit entsprechender Emotionalität diskutiert wird. Umgekehrt gilt dies nicht annähernd im gleichen Ausmass. Gerade im derzeitigen geopolitischen Kontext hat Brüssel weitaus gewichtigere Probleme als die Beziehungen zur Schweiz.

Vertragseinsicht in Brüssel weniger stark geregelt

Dazu passt auch die jüngste Polemik rund um die Einsicht in die Verträge: Das Vorgehen des Aussendepartements (EDA), die Dokumente nur einzelnen Verbänden und Parlamentariern in einem «Reading-Room» vorzulegen, sorgte in Bundesbern für rote Köpfe – und bot der SVP für den Vorwurf der «Geheimverträge» ein gefundenes Fressen. Sie organisierte vergangenen Mittwoch sogar eigens einen Point de Presse zu dem Thema.

In Brüssel hätte die gleiche Veranstaltung niemanden vom Stuhl gerissen. «In meinen Augen ist die Aufregung in der Schweiz zu gross. In wenigen Wochen können ohnehin alle die Verträge anschauen», sagt Schwab. Weil er erfahren habe, dass die Schweizer Kollegen die rund 750 Seiten hätten begutachten dürfen, habe er ebenfalls um Einblick gebeten und Zugang erhalten, sagt er. Etwas Unerwartetes habe er darin nicht entdeckt.

Auch die übrigen Mitglieder der Schweizer Delegation sowie die Spitze des auswärtigen Ausschusses dürften theoretisch Einsicht nehmen. Wer die Möglichkeit tatsächlich wahrgenommen hat, ist nicht bekannt – Schwab rechnet mit «drei bis fünf Personen». Entsprechend sind die Regeln auch weniger strikt: Der Zugriff erfolgt zwar über eine gesicherte Website, die das Ausdrucken oder Weiterleiten des Dokuments verunmöglicht. Anders als in Bern müssen sich die interessierten Parlamentarier aber nicht physisch an einen bestimmten Ort begeben und haben keine zeitlichen Einschränkungen für den Einblick.

Schweizer Parlaments-Büro in Brüssel?

Inhaltlich sind beim Delegationstreffen keine gewichtigen Pflöcke eingeschlagen worden, darauf lag aber auch nicht der Fokus. Am konkretesten waren die Fragestellungen rund um die künftige parlamentarische Zusammenarbeit, die sich gemäss Vertragswerk intensivieren wird – sofern es denn je in Kraft tritt. Den befürwortenden Aussenpolitikern schwebt etwa vor, in Brüssel ein permanentes Büro einzurichten. Damit könnten legislative Entwicklungen innerhalb der EU, die wegen der dynamischen Rechtsübernahme an Bedeutung gewinnen, frühzeitig erkannt und gegebenenfalls beeinflusst werden.

Geht es nach dem SVP-Mann Aeschi, wird es gar nie so weit kommen. Er und seine Partei haben sich ganz dem Kampf gegen die Verträge verschrieben – was trotz seiner Doppelrolle als Delegationsvorsitzender auch im Brüsseler Parlamentssaal unüberhörbar war. Er sprach gegenüber dem Vertreter der EU-Kommission vom «Unterwerfungsvertrag», von der «zusehends verarmten und verbürokratisierten EU» und versprach ihm, dass die Schweizer Bevölkerung ein «anderes Urteil fällen wird, als Sie sich das wünschen».

Der Gesichtsausdruck des EU-Vertreters wurde von der Kamera des Live-Streams nicht eingefangen. Der SP-Nationalrat Eric Nussbaumer aber sagte an die Adresse des EU-Parlamentariers Schwab: «Sie wollten einmal die Originaltöne der Schweizer Debatte hören, das konnten Sie nun. Und das war nur ein kleiner Vorgeschmack.»

Exit mobile version