Mittwoch, Oktober 9

In einem Rechenzentrum in Winterthur surren die Rechner rund um die Uhr. Der Strom kommt hierzulande vorwiegend aus der Wasserkraft, doch in den USA träumen die Betreiber bereits vom Bau kleiner Kernreaktoren.

Das Untergeschoss der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ist ähnlich gut gesichert wie die Schliessfächer einer Bank: Überall sind Überwachungskameras installiert, die Türen sind schwer und brandsicher, Zugang erhält man nur durch eine Zutrittsschleuse. Was verbirgt sich hier?

Eigentlich sind es nur ein paar aneinandergereihte Gitterkasten. Doch zwei Dinge sind in diesem Raum merkwürdig: Erstens ist ein konstantes Surren zu hören. Zweitens ist es trotz guter Isolierung durch die dicken Betonwände ziemlich warm. Während die Studenten in den oberen Stockwerken büffeln, verarbeitet das Rechenzentrum unter der Erdoberfläche Daten. Dazu braucht es Strom – viel Strom.

Manche Betreiber in den USA halten daher nach neuen Technologien zur Energieversorgung Ausschau. Dabei greifen sie immer häufiger auf Atomkraft zurück.

Ohne Hardware keine Cloud

Menschen streamen Filme, versenden in den sozialen Netzwerken Katzenvideos an Freunde oder laden die Fotos aus den letzten Ferien auf eine Cloud, damit die schönen Erinnerungen niemals verlorengehen. Die wenigsten denken daran, dass dazu ganz viel Hardware verbaut werden muss.

Denn die Daten schwirren nicht in den Wolken umher, sie sind irgendwo auf einem Rechner abgespeichert. Und weil immer mehr Unternehmen ihre Daten nicht mehr an die grossen Cloud-Anbieter wie Apple oder Microsoft auslagern wollen, betreiben sie eigene Server. Manche tun das in den eigenen Räumlichkeiten. Andere vertrauen die Daten externen Dienstleistern wie Patrik Hofer an.

Hofer ist Managing Director von North C, einer Firma, die in der Schweiz, in Deutschland und in den Niederlanden Rechenzentren betreibt. Das Rechenzentrum im Untergeschoss der ZHAW in Winterthur ist eines davon.

Sein Geschäft laufe gut, sagt Hofer. Immer mehr Firmen kümmern sich um die Sicherheit der eigenen Daten. Doch ganz ohne Herausforderungen verläuft Hofers Alltag nicht. Die Wünsche seiner Kunden sind komplexer geworden.

Mehr Strom wegen künstlicher Intelligenz

So nahm ein Kunde im September in seinem Rechenzentrum einen IBM-Rechner in Betrieb, der seine Aufgaben automatisch mit künstlicher Intelligenz (KI) ausführt. «Solche KI-Computer erbringen ein Vielfaches an Rechnerleistung im Vergleich zu bisherigen Modellen», sagt Patrik Hofer.

Bereits heute kann ein einzelnes Rechenzentrum je nach Grösse gleich viel Strom wie eine Kleinstadt verbrauchen. Experten sind sich einig, dass der Strombedarf künftig noch zunehmen wird. Denn die Datenmenge durch neue KI-Anwendungen ist im Vergleich zu den bisherigen Rechnern so gross, dass selbst Einsparungen durch mehr Effizienz den zusätzlichen Verbrauch künftig nicht kompensieren dürften. So verbraucht eine Suchabfrage bei Chat-GPT ein Vielfaches mehr Energie als bei Google.

Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass sich die weltweite Stromnachfrage von Rechenzentren bis 2026 verdoppeln wird.

Der Strom kommt von der Wasserkraft

Datenzentren haben einen planbaren Stromverbrauch, da die Rechner rund um die Uhr laufen. Im Umgang mit erneuerbaren Energiequellen wie Wind- und Solarstrom ist das eine Herausforderung, weil je nach Wetterlage unterschiedliche Mengen an Strom produziert werden. Diesem Problem begegnen die Energieversorger mit Speichern.

North C bezieht den Strom vom lokalen Energieversorger, erzeugt wird dieser mit erneuerbaren Energien und Wasserkraftanlagen. Bis anhin sei die Verfügbarkeit stets hoch gewesen, sagt Hofer. Für Notfälle stehen im Rechenzentrum zwei Dieselgeneratoren und genug Ölreserven für eine Überbrückung von drei Tagen bereit.

Doch global wenden sich immer mehr Betreiber von Rechenzentren von einer vollständigen Stromversorgung durch erneuerbare Energien ab.

Tech-Firmen sorgen für Nuklearboom

In den USA etwa machen sich zahlreiche Firmen ernsthafte Sorgen, woher künftig der Strom für ihre Rechner kommen soll. Die Rechenzentren sind dort grösser als in Europa, auch weil der KI-Boom bereits weit fortgeschritten ist. So greifen grosse Tech-Unternehmen bei der Stromversorgung immer häufiger auf eine Energiequelle zurück, die viele schon abgeschrieben hatten: Nuklearstrom.

Amazon kaufte im Frühling ein Datenzentrum in Pennsylvania, das seinen Strom von einem naheliegenden Kernkraftwerk bezieht. Und Microsoft gab letzten Monat bekannt, einen Vertrag mit dem Eigentümer des Kernkraftwerks Three Mile Island abgeschlossen zu haben. Ein Reaktor des stillgelegten Atomkraftwerks soll wieder hochgefahren werden und ein Datenzentrum des Tech-Konzerns rund um die Uhr mit CO2-freiem Strom versorgen. Pikanterweise hatte sich auf dem gleichen Gelände 1979 der grösste Reaktorunfall in der Geschichte der USA ereignet.

Bauen Tech-Unternehmen ihre Datenzentren nahe an alten Kernreaktoren, können sie auf bestehende Stromnetze zurückgreifen und sparen sich so die Kosten für den Netzausbau.

Zudem haben viele Personen aus dem Silicon Valley Verbindungen zur Nuklearforschung: Bill Gates und Sam Altman sind beide an unterschiedlichen Startups beteiligt, die an Kleinreaktoren tüfteln. Man nennt diese neue Gruppe von Kernkraftreaktoren auch Small Modular Reactors (SMR). Während in China und Russland bereits erste SMR betrieben werden, befinden sich die Kleinreaktoren in den USA und in Europa erst im Bau, oder der Bewilligungsprozess ist noch hängig.

Und auch die Venture-Capital-Firma von Peter Thiel investiert in ein Startup, das eine neue Produktionsmethode für die Anreicherung von Uran verspricht.

Auch Banken machen mit

Nach dem Reaktorunfall in Fukushima ist die Kernkraft vielerorts in Verruf geraten. In der Schweiz erklären die grossen Stromkonzerne, eine Investition in neue AKW sei derzeit nicht attraktiv genug: Die Kosten für den Bau sind hoch. Zudem ist das Risiko gross, dass das Bewilligungsverfahren den Bauprozess verzögert oder dem AKW gar auf halber Strecke der Stecker gezogen wird.

In Zeiten, in denen sich die traditionellen Energieunternehmen bei der Nukleartechnologie zurückhalten, könnten die Tech-Konzerne mit ihren tiefen Taschen die Forschung ankurbeln und so neuen Kernkraftwerken den Boden bereiten.

Diese Entwicklung beobachtet auch Peter Schümers, Partner bei Energy Infrastructure Partners: «Der Aufstieg der künstlichen Intelligenz hat die Dringlichkeit von Investitionen in die Energieinfrastruktur noch verstärkt, und Technologien wie die Kernenergie kommen wieder ins Gespräch.»

Der Trend ist nun auch im Finanzsektor angekommen. Anlässlich der Climate Week, die Ende September in New York stattfand, haben vierzehn Finanzinstitute angekündigt, den Ausbau der Nuklearenergie stärker unterstützen zu wollen. Unter ihnen waren auch einige der grössten Geschäftsbanken der Welt, etwa Morgan Stanley, Goldman Sachs und die Bank of America.

Die amerikanische Energiebehörde geht in einem neuen Bericht davon aus, dass sich die Leistungskapazität der Kernenergie in den USA bis 2050 im Vergleich zu heute verdreifachen könnte.

Schweiz: Die Hoffnung auf neue Technologien

In der Schweiz ist vom Nuklearboom aber noch nicht viel zu spüren. Zwar wird das Parlament bald entscheiden, ob das Neubauverbot, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, aufgehoben wird. Doch die Hürden für den Bau eines neuen AKW wären weiterhin hoch. Ein neues Projekt müsste ein langwieriges Bewilligungsverfahren durchlaufen, das Stimmvolk dürfte mehrfach darüber entscheiden.

Doch Nuklearforscher hoffen, dass der Prozess mit einem Durchbruch der SMR-Technologie einfacher wird. Die Autoren des vom Bundesamt für Energie in Auftrag gegebenen Technologiereports spekulieren, dass Mikroreaktoren aufgrund der geringeren Menge an radioaktivem Material gesetzlich als «Anlagen mit geringem Risiko» eingestuft werden könnten. Energieversorger könnten dann ohne Rahmenbewilligungsgesuch einen Mikroreaktor bauen. Damit wären zwar nicht alle, aber eine grosse Hürde beseitigt.

Werden auch hierzulande Tech-Anbieter in Atomkraft investieren, um sich mit einer durchgehenden Stromversorgung abzusichern? Bei North C ist das vorerst kein Thema. Zurzeit untersucht die Firma vielmehr, wie sie die Effizienz innerhalb der bestehenden Rechenzentren verbessern und so den Stromverbrauch möglichst gering halten kann.

Doch Patrik Hofer sagt: «Wer weiss heute schon, wie knapp die Stromversorgung in zehn Jahren sein wird, wenn jedes KMU seine eigenen KI-Systeme aufgebaut hat.»

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