Donnerstag, Oktober 3

Beim Tory-Parteitag in Birmingham kommt es zum grossen Schaulaufen von vier Kandidaten um den Parteivorsitz. Es ist die Neuauflage des alten Kampfs zwischen Rechten und Zentristen.

Die britischen Konservativen gelten als erfolgreichste Partei der Welt. In Westminster stellten die Tories nicht nur in den letzten vierzehn Jahren die Regierung, sie waren auch im 20. Jahrhundert mehrheitlich an der Macht. Beim mehrtägigen Parteitag der Konservativen in Birmingham diese Woche wirkte das alte Selbstvertrauen der Mitglieder und Abgeordneten aber erschüttert. Bei der Unterhauswahl vom Juli war die Tory-Fraktion von 365 auf gerade noch 121 Abgeordnete geschrumpft. Nach der Kanterniederlage kämpft die Partei mit Geldproblemen, sie wirkt in der Opposition desorientiert – und sie sucht nach einem neuen Chef und nach einer neuen inhaltlichen Ausrichtung.

Fähigkeit zur ideologischen Anpassung

Auf grosses Interesse stiessen in Birmingham daher die Veranstaltungen zur Zukunft des Konservatismus. Als wollten sie sich selber Mut zureden, erinnerten viele Redner an grosse Wahlsiege der Vergangenheit. Ein Erfolgsrezept ist die Fähigkeit zur ideologischen Anpassung der Partei, die sich immer wieder neu erfunden hat. In den letzten vierzehn Jahren hatte sie unter David Cameron zunächst einen wirtschafts- und gesellschaftspolitisch klassisch liberalen Kurs gefahren. Nach dem Brexit versprach Boris Johnson massive staatliche Investitionen in vernachlässigte Gebiete und eine Rückbesinnung auf den Nationalstaat.

Nach Johnsons Scheitern verlor Liz Truss mit einer radikal-libertären Haushaltspolitik das Vertrauen der Finanzmärkte. Rishi Sunak schliesslich inszenierte sich als pragmatischer Manager. Er scheiterte aber an seinen allzu vollmundigen Versprechen, die Wartezeiten im Gesundheitswesen massiv abzubauen oder die Bootsmigration über den Ärmelkanal gänzlich zu beenden.

In Birmingham nun suchten die Tories nach einem Kurs, der sie auf die Erfolgsstrasse zurückführen soll. David Frost, der ehemalige Brexit-Chefunterhändler und Wortführer des rechtsnationalen Flügels, verwies auf den Wahlerfolg von Reform UK. Die Rechtspartei errang aus dem Stand 14,3 Prozent der Stimmen und gewann trotz den hohen Hürden des Majorzwahlrechts 5 Unterhaussitze. Frost hält daher eine inhaltliche Annäherung und gegebenenfalls eine Allianz mit der Reform-Partei für unumgänglich: «Wenn die Rechte gespalten ist, können wir keine Wahl gewinnen.»

Vertreter des zentristischen Flügels betonten derweil, dass die Konservativen auch Stimmen an Labour und die Liberaldemokraten verloren hätten. Der ehemalige Bürgermeister der West Midlands Andy Street führte sein eigenes gutes Wahlergebnis als Beweis für die These an, dass man in Grossbritannien wegen des Mehrheitswahlrechts letztlich im politischen Zentrum Wahlen gewinnen könne.

Vorteil für rechte Kandidaten

Der Richtungsstreit widerspiegelt sich im Rennen um den Parteivorsitz. In Birmingham eilten die verbleibenden vier Kandidaten von einem Interview zur nächsten Diskussionsveranstaltung, um möglichst viele Abgeordnete und Parteimitglieder auf ihre Seite zu ziehen. An Marktständen verteilten Freiwillige allerhand Flyer, Hüte und T-Shirts mit knackigen Wahlsprüchen. Nächste Woche wird die Fraktion die zwei Finalisten küren, die sich anschliessend einer bis Anfang November laufenden Abstimmung der rund 170 000 Parteimitglieder stellen müssen.

Die Tory-Mitglieder stehen politisch traditionell deutlich rechts von der Parlamentsfraktion. Zu den Favoriten gehören daher Robert Jenrick und Kemi Badenoch, die dem rechten Flügel zuzuordnen sind. Jenrick galt eigentlich lange als loyaler Vertrauter Sunaks. Anfang Jahr aber trat er demonstrativ als Migrations-Staatssekretär zurück, weil er einen härteren Kurs beim am Ende gescheiterten Plan zur Ausschaffung von Asylsuchenden nach Rwanda verlangt hatte.

Nun fordert der 42-Jährige eine Obergrenze für die Migration und den Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. «Die Frage ist: Bleiben oder austreten?», sagte Jenrick in Anspielung auf die Brexit-Debatte. «Und ich bin für Austreten.» Begleitet wurde Jenricks politische Transformation vom behäbigen Zentristen zum schnittigen Rechtsnationalen von einem körperlichen Wandel: Nach eigenen Angaben setzte er auf die Schlankheits-Spritze Ozempic, um überzählige Pfunde loszuwerden.

Kemi Badenoch gilt seit langem als authentische Kandidatin des rechten Flügels. «Wir müssen uns wieder getrauen, die Dinge so zu sagen, wie sie sind», erklärt sie gerne. Badenoch ist schlagfertig und unbekümmert, was sie aber mitunter zu Schnellschüssen verleitet wie jüngst zu einer unüberlegten Kritik an Kinderzulagen. Die 44-Jährige ist eine versierte Kulturkämpferin, gleichzeitig ist sie als Tochter nigerianischer Einwanderer für die Linke keine einfache Zielscheibe. Badenoch wäre wohl die unbequemste Gegnerin des biederen Labour-Premierministers Keir Starmer. Allerdings ist sie mit ihrer erfrischend direkten Art auch schon vielen Fraktionskollegen auf die Füsse getreten, weshalb unsicher ist, ob sie es in die Endausmarchung schafft.

Taten statt Worte?

Dem zentristischen Parteiflügel zugerechnet werden Tom Tugendhat und James Cleverly. Der 51-jährige Tugendhat ist ein versierter Aussen- und Sicherheitspolitiker, der seine militärische Erfahrung in Afghanistan und dem Irak in die Waagschale warf. Er betonte, die Partei müsse weniger auf ideologische Worte, sondern auf Taten setzen. So will Tugendhat die Zahl der Arbeitsmigranten nicht nur durch Obergrenzen reduzieren, sondern vor allem durch die Ausbildung inländischer Fachkräfte.

Der 55-jährige Cleverly ist innerhalb der Fraktion sehr beliebt. Zudem bringt er als ehemaliger Generalsekretär, Aussen- und Innenminister am meisten Erfahrung mit. Cleverly argumentiert, der Hauptgrund für die Wahlniederlage sei nicht mangelnde ideologische Schärfe gewesen, sondern dass die Bevölkerung den Versprechen der Partei schlicht nicht mehr geglaubt habe. Er erteilte einer Kooperation mit der Reform-Partei eine klare Absage und betonte, die Konservativen könnten angesichts der frühen Formschwäche der Labour-Regierung aus eigener Kraft wieder an die Macht kommen: «Dies ist keine Zeit für einen Lehrling!», betonte er in seiner Rede am Mittwoch, die bei den Parteigängern auf grossen Anklang stiess.

Der Richtungsstreit zwischen Rechten und Zentristen begleitet die Konservative Partei schon lange. Je nach Zeitgeist schwingt das Pendel in eine andere Richtung. Zu Zeiten Margaret Thatchers standen sich die als Weicheier verschrienen «Wets» und die ideologisch strammen «Dries» gegenüber. Während der Brexit-Wirren kam es zu einer Neuauflage dieses Kampfs unter den Vorzeichen «Brexiteers» gegen «Remainer». Bei der Unterhauswahl im Juli wurden die Konservativen vom Volk generell abgestraft, weshalb sie Stimmen in alle politischen Richtungen verloren. Daher muss der Partei nun auch eine Quadratur des Kreises gelingen, um die verlorenen Wähler zurückzugewinnen.

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