Statt blind den Weisungen Pekings zu folgen, sollte die frühere britische Kronkolonie ihr Common Law verteidigen.

Wie so häufig in der jüngsten Vergangenheit fiel die Reaktion der Hongkonger Regierung auch diesmal so plump und aggressiv aus, als hätte sie bei den Machthabern in Peking abgeschaut. Kaum hatte Jonathan Sumption, ein Richter aus Grossbritannien am höchsten Gericht Hongkongs, Anfang Juni seinen Rückzug angekündigt, holte John Lee zu einer Breitseite gegen das Ausland aus.

«Einige britische Beamte und Politiker versuchen, den Einfluss Grossbritanniens auf den Rechtsstaat als Waffe zu benutzen, um China und Hongkong anzugreifen», sagt der Hongkonger Regierungschef und verbat sich eine «offene Einmischung durch eine bestimmte Anzahl von Ländern».

China im Kampf gegen feindlich gesinnte Länder. So geht schon seit Jahren die Rhetorik aus Peking, in jüngster Zeit aber auch immer häufiger aus dem einst weltoffenen, toleranten und demokratischen Hongkong.

Chief Executive of Hong Kong condemns British judge’s resignation | BBC News

Jonathan Sumption war von seinem Richterposten in der früheren britischen Kronkolonie zurückgetreten, weil er fürchtet, Hongkong werde «allmählich zu einem totalitären Staat». Der Brite nannte zur Untermauerung seines Entscheids ausdrücklich das von der chinesischen Regierung vor vier Jahren in Hongkong eingeführte Gesetz zur nationalen Sicherheit.

Ende Mai hatte das Gericht in West Kowloon vierzehn Demokratieaktivisten auf der Grundlage des Pekinger Paragrafenwerks der Untergrabung der Staatsgewalt für schuldig befunden. Ihr Vergehen: Sie hatten im Jahr 2020 Vorwahlen für die im darauffolgenden Jahr stattfindenden Wahlen zum Hongkonger Parlament abgehalten, eine von der Hongkonger Mini-Verfassung, dem Basic Law, garantierte Praxis.

Für Sumption waren die Richtersprüche eine Ohrfeige für den Rechtsstaat. Hätten die Organisatoren der Vorwahlen ihre Kandidaten tatsächlich ins Parlament gebracht, hätten sie – eine Mehrheit vorausgesetzt – den Regierungschef zum Rücktritt zwingen können. Ein in den Augen Pekings unerhörter Vorgang, in echten Demokratien dagegen Normalität.

Zwei weitere Richter traten ab

Neben Sumption traten noch zwei weitere Richter ab. Dass ausländische Magistraten am höchsten Gericht Hongkongs Einsitz nehmen, ist einem Beschluss geschuldet, der die Rückgabe der britischen Kolonie im Jahr 1997 an Peking regelte.

In weiten Teilen funktioniert der Rechtsstaat noch immer, doch sehen sich die Richter einem zunehmenden Druck der Politik ausgesetzt. Vor allem das Gesetz zur nationalen Sicherheit aus Peking und das von der Hongkonger Regierung im April eingeführte eigene Sicherheitsgesetz mit ihren breiten Spielräumen für Auslegungen sorgen dafür, dass rechtsstaatliche Prinzipien allmählich zerbröseln.

Dass Hongkong bei unliebsamen richterlichen Entscheidungen Peking um eine «Interpretation» ersuchen kann, ist dem Vertrauen in den Rechtsstaat zudem nicht förderlich.

Das Common Law ist ein wichtiger Standortvorteil

Dabei ist gerade das von den Briten ererbte Common Law ein wichtiger Standortvorteil. Hongkong, und damit auch seine 7,5 Millionen Einwohner, prosperierte in der Vergangenheit, weil sich multinationale Konzerne, Banken und Fonds in der Stadt auf die Rechtssicherheit verlassen konnten.

Doch jetzt werden sich Hongkong und das chinesische Festland, was die Rechtsstaatlichkeit angeht, immer ähnlicher. Genauso wie China hielt auch Hongkong im April einen Tag zur nationalen Sicherheit ab.

Wang Xiangwei, der an der Hong Kong Baptist University Journalismus lehrt, plädiert stattdessen dafür, dass die Stadt mit einem «Tag des Common Law» auf den hohen Stellenwert der Rechtssicherheit aufmerksam machen solle. Hongkong sollte seine Sonderrolle gegenüber den Machthabern in Peking offensiv verteidigen.

Statt den Weisungen Pekings blind zu folgen, müsste die Hongkonger Führung ihre stärkste Trumpfkarte ausspielen. China mit seiner lahmenden Konjunktur ist auf die frühere britische Kolonie mit ihrem offenen Kapitalverkehr, einer konvertierbaren Währung und internationaler Börse angewiesen.

Auch wenn Hongkong selbst auf wirtschaftliche Hilfe aus Peking schielt – China braucht ein stabiles und offenes Hongkong mehr als umgekehrt. Dieses Druckmittel könnte der Regierungschef John Lee gegenüber der chinesischen Regierung selbstbewusst einsetzen.

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