Montag, November 10

Die propalästinensische Protestbewegung in den USA versucht, den Präsidenten im Gaza-Krieg zu einer Kurskorrektur zu zwingen. In einer Rede zum Gedenken an den Holocaust machte Joe Biden aber klar: An seiner Unterstützung für Israel gibt es nichts zu rütteln.

Tagelang schwieg Präsident Joe Biden zu den propalästinensischen Studentenprotesten an den amerikanischen Universitäten. Erst als es vergangene Woche in New York zur Besetzung von Gebäuden und in Los Angeles zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen pro- und antizionistischen Demonstranten kam, sah sich der amerikanische Präsident zu einer kurzen Erklärung gezwungen. «Es gibt ein Recht, zu protestieren, aber kein Recht, Chaos zu verursachen.» Hass und Gewalt hätten in Amerika keinen Platz.

Biden wollte sich an dem heiklen Thema in diesem Wahljahr offensichtlich nicht die Finger mit einer vorschnellen Reaktion verbrennen. Er selbst hat sich wiederholt als «Zionist» bezeichnet. Obwohl er das harte Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen zunehmend kritisiert, steht er im Kampf gegen die Hamas bis jetzt klar auf der Seite Jerusalems. Gleichzeitig braucht er aber die vielen jungen Wähler, die mit seinem Vorgehen im Gaza-Krieg nicht einverstanden sind.

Die Unterstützung für Israel bleibt «felsenfest»

Umso gespannter durfte man auf Bidens Rede gegen Antisemitismus am Dienstag zum Gedenken an den Holocaust sein. Im Vorfeld forderte Kenneth Roth, der ehemalige Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, über den Kurznachrichtendienst X, dass Biden einerseits den «echten» Antisemitismus verurteilen soll. Andrerseits müsse er aber auch dessen Instrumentalisierung zur Unterdrückung berechtigter Kritik an Israel kritisieren.

Doch Roth und wohl auch viele andere linke Zuhörer wurden weitgehend enttäuscht. Der Hass auf Juden habe nicht mit dem Holocaust des Nazi-Regimes begonnen und auch nicht damit geendet, sagte Biden im Capitol. «Dieser Hass bleibt tief in den Herzen von viel zu vielen Menschen auf der Welt verankert.» Deshalb müsse man wachsam bleiben und sich immer wieder gegen Antisemitismus aussprechen. «Dieser Hass wurde am 7. Oktober 2023 zum Leben erweckt, als die Terrororganisation Hamas den blutigsten Tag seit dem Holocaust über das jüdische Volk brachte.»

Über 1200 unschuldige Zivilisten seien massakriert und Hunderte als Geiseln genommen worden, unter ihnen Überlebende des Holocaust. Aber bereits jetzt, wenige Monate später, vergässen die Menschen, dass die Hamas diesen Terror verübt habe. «Es war die Hamas, die brutal gegen Israeli vorging.» Die Hamas habe Geiseln genommen und halte diese weiterhin in ihrer Gewalt. «Weder ich noch ihr habt das vergessen.» Der Angriff dürfe nicht mehr verharmlost werden.

Während Juden auf der ganzen Welt die Greueltaten dieses Tages noch verarbeiteten, sei ein starker Anstieg des Antisemitismus in den USA und weltweit zu beobachten. «An den Universitäten werden jüdische Studenten bedrängt, belästigt und angegriffen.» Er sehe die Angst und den Schmerz der jüdischen Gemeinschaft, betonte Biden. Und er verspreche: «Meine Unterstützung für die Sicherheit des jüdischen Volkes, die Sicherheit Israels und dessen Recht auf eine Existenz als unabhängiger Staat ist felsenfest – auch wenn wir Differenzen haben.»

Eine Absage an die Protestbewegung

Bidens Rede war im Grunde eine Absage an das Geschichtsverständnis der propalästinensischen Studentenbewegung. Diese begreift den Terror der Hamas nicht als antisemitisch, sondern als antizionistisch. Und sie erklärt den Hass, der sich am 7. Oktober manifestierte, als Folge der israelischen Kolonialisierung des ursprünglichen Palästinas. Die Bewegung zielt mit ihrer Kritik nicht gegen die Juden an sich, sondern gegen den israelischen Staat. Den Vorwurf des Antisemitismus lehnen die propalästinensischen Demonstranten mit dem Hinweis darauf ab, dass sich in ihren Reihen auch Juden befinden.

Ein wichtiger Kritikpunkt der Bewegung ist auch die israelische Reaktion auf den Terror der Hamas. In ihren Augen handelt es sich um eine kollektive Bestrafung, die mit dem internationalen Recht nicht vereinbar ist. Rund die Hälfte der Gebäude im Gazastreifen wurde zerstört oder beschädigt, die Armut hat sprunghaft zugenommen, und vermutlich über 30 000 Personen wurden getötet. Aber darauf ging Biden in seiner Rede nicht ein.

Amerika streitet derzeit darum, ob es sich bei den propalästinensischen Protesten um eine antizionistische Bewegung handelt, deren antisemitische Elemente eine Ausnahme sind. Oder ob es sich im Kern um ein antisemitisches Phänomen handelt, das von linken Universitätsleitungen zu lange toleriert wurde. Für die Republikaner ist die Antwort klar. So bezeichnete die führende Abgeordnete Elisa Stefanik die Demonstranten etwa als «antisemitischen Pro-Hamas-Mob». Und der republikanische Speaker des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, sprach vom «Virus des Antisemitismus», das sich an den Hochschulen ausgebreitet habe.

Biden hütet sich vor pauschalen Verurteilungen der Protestbewegung. Aber mit seiner Rede bestärkte er eher den Eindruck, dass auch er keinen grossen Unterschied zwischen Antizionismus und Antisemitismus machen will. Womöglich ist er auch zu dem Schluss gekommen, dass ihm seine bisherige Position im Gaza-Krieg bei der Wahl im Herbst weniger schaden könnte als gedacht. Gemäss Umfragen unter 18- bis 29-jährigen Amerikanern sind 76 Prozent von ihnen unzufrieden mit der Nahostpolitik ihres Präsidenten. Allerdings sehen nur etwa 2 Prozent von ihnen in diesem Konflikt das entscheidende Kriterium für ihre Wahlentscheidung. Auch für die meisten Jugendlichen stehen wirtschaftliche Probleme im Vordergrund.

Zudem wird kein propalästinensischer Student am Ende für Trump stimmen. Trotzdem sollte Biden nicht zu sorglos sein. Viele seiner frustrierten Wähler könnten zu Hause bleiben und nicht zur Wahl gehen. Da es voraussichtlich ein sehr knappes Rennen sein wird, kann eine kleine Gruppe von Wählern über Sieg oder Niederlage entscheiden.

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