Dienstag, November 11

Vor 40 Jahren nutzte US-Präsident Ronald Reagan die Erinnerung an den D-Day für eine glänzende Rede im Kampf für Freiheit und Demokratie an der Küste der Normandie. Joe Biden wollte es ihm am Freitag gleichtun. Doch er lieferte bloss eine blasse Coverversion.

An der Pointe du Hoc schrieben 225 amerikanische Soldaten vor 80 Jahren eine der grossen Heldengeschichten des D-Days. Unter Beschuss durch Maschinengewehre und Granaten erklommen sie die Steilküste mit Strickleitern, um eine wichtige Artilleriestellung der Deutschen auszuschalten. Nach zwei Tagen blieben nur noch 90 von ihnen unversehrt.

Kein anderer amerikanischer Präsident hat diese Geschichte und ihre historische Tragweite bisher so markant auf den Punkt gebracht wie Ronald Reagan 1984. Der ehemalige Schauspieler gilt bis heute als einer der talentiertesten «Communicators-in-Chief». Und dies bewies der Republikaner am 6. Juni vor 40 Jahren auch mit einer seiner besten Reden überhaupt.

Selbst die Demokraten weinten

In einer knappen Viertelstunde fand Reagan klare Worte, die bis heute laut nachhallen: Amerika habe die bitteren Lektionen des Zweiten Weltkriegs gelernt, meinte der damalige US-Präsident an der französischen Atlantikküste. «Es ist besser, hier zu sein, um den Frieden zu beschützen, als sich blind auf der anderen Seite des Meeres wegzuducken und erst zu reagieren, wenn die Freiheit bereits verloren ist.» Der Isolationismus sei nie eine geeignete Antwort auf Tyranneien und ihre expansiven Absichten.

Wie Joe Biden heute befand sich auch Reagan damals im Jahr seiner möglichen Wiederwahl. Die glänzende Rede vor einer stattlichen Gruppe von Veteranen beflügelte seine Umfragewerte. Der Vorsprung des Amtsinhabers gegenüber seinem demokratischen Herausforderer Walter Mondale verdoppelte sich praktisch von zuvor 9 auf 17 Prozentpunkte. Selbst Mitarbeiter von Mondales Wahlkampfteam waren von Reagans Auftritt berührt: «Alle weinten und ich auch», erinnert sich etwa William Galston. In diesem Moment sei ihm klar gewesen, dass die Wahl verloren war.

Biden dürfte mit seinem Auftritt am Freitag bei Donald Trumps Wahlkampfteam jedoch kaum Tränen ausgelöst haben. Inhaltlich knüpfte der amerikanische Präsident zwar an Reagans Botschaft an. Es reiche nicht aus, sich an die Opfer der heldenhaften Soldaten zu erinnern, erklärte Biden. «Wir müssen ihr Echo erhören. Sie rufen uns herbei und fragen uns: ‹Was tun wir?› Sie verlangen von uns nicht, diese Klippen zu erklimmen. Sie verlangen von uns, dem treu zu bleiben, wofür Amerika steht.»

Die Helden von damals forderten die Amerikaner dazu auf, ihre Aufgabe zu erfüllen: «Die Freiheit in unserer Zeit zu beschützen, die Demokratie zu verteidigen und sich gegen Aggressionen im Ausland und im Inland zu wehren.» Mit einer Reihe rhetorischer Fragen machte Biden sich zum Anwalt der amerikanischen Soldaten und Veteranen des Zweiten Weltkriegs: «Zweifelt irgendjemand daran, dass sie sich von Amerika wünschen würden, sich gegen Putin und seine Aggression in Europa zu stellen?»

Im Unterschied zu Reagan ist Biden jedoch kein grossartiger Redner. Das zeigte sich auch am Freitag wieder. Nicht selten stolperte der Präsident über die eigenen Worte, sprach zu schnell oder undeutlich. Auch Reagan war mit seinen 73 Jahren nicht mehr der Jüngste, aber er wirkte mit seinem vollen Haar, seiner kräftigen Stimme und seinem geschmeidigen Gang wesentlich jünger.

Ein Kampf an vielen Fronten

Trotz vielen inhaltlichen Parallelen wurde in Bidens Rede zudem deutlich, wie sich Amerika und die Welt verändert haben. Reagans Rede richtete sich gegen die Sowjetunion und den weltweiten Kampf für Demokratie und Freiheit. Biden rief die Amerikaner jedoch auch dazu auf, «die Flamme der Freiheit» im Inland zu verteidigen. Ohne Trump zu erwähnen, spielte der heutige Präsident damit auf die Gefahr für die amerikanische Demokratie an, die aus seiner Sicht von Reagans ehemaliger Partei ausgeht.

Während Monaten hatte der rechte Parteiflügel der Republikaner im Kongress neue Hilfsgelder für die Ukraine blockiert. Dazu wurden dessen Anhänger auch von Trump ermuntert, der den Krieg als «europäisches Problem» bezeichnete. Erst als Kiew in diesem Frühjahr eine komplette Niederlage drohte und die russischen Truppen zunehmend Gebiete eroberten, lenkte Trump ein. Dieser hatte bereits in seiner ersten Amtszeit über einen Austritt der USA aus der Nato nachgedacht. Amerikas grösste Feinde seien nicht Russland oder China, sondern «radikale linke Schurken» im Inland, erklärte Trump im November.

Im Gegensatz zu kommunistischen Zeiten sehen rechte Republikaner in Putins Russland nicht unbedingt einen Feind. Vielmehr erkennen sie in ihm einen konservativen Verbündeten gegen den «woken Mainstream» und Multikulturalismus der Linken. Zudem stellen sie aber auch die berechtigte Forderung an die europäischen Verbündeten der USA, selbst mehr für die Verteidigung von Demokratie und Freiheit zu tun. Im Gegensatz zu 1944 wären die Europäer heute eigentlich in der Lage, ihre Sicherheit weitgehend selbst zu verteidigen. Es fehlt dazu vor allem der politische Wille.

Biden dürfte es mit seinem Auftritt in der Normandie deshalb kaum gelungen sein, die eigenen Umfragewerte zu verbessern. Dabei hätte er es dringend nötig. Im Gegensatz zu Reagan vor 40 Jahren liegt der heutige Präsident in den meisten Umfragen hinter seinem Herausforderer zurück. In der Aussenpolitik kann er derweil nicht auf ein baldiges Tauwetter hoffen, wie es Reagan und der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow in den achtziger Jahren einläuteten. Biden muss es derzeit gleich mit mehreren diktatorischen Regimen aufnehmen. Nicht nur Moskau, auch Peking und Teheran wollen die amerikanische Weltordnung zu Fall bringen.

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