Dienstag, Februar 4

François Bayrou hat den überfälligen Haushalt ohne Abstimmung durch das Parlament gedrückt. Dieses Vorgehen hatte seinen Vorgänger das Amt gekostet. Bayrou könnte mehr Glück haben – vorerst zumindest.

Dass er auf dünnem Eis regieren würde, ahnte François Bayrou, seit er sein Amt Mitte Dezember angetreten hatte. Bei seiner Regierungserklärung im Januar hatte der 73-Jährige vor den Abgeordneten der Assemblée nationale sogar gewitzelt, dass laut einer Umfrage 84 Prozent der Franzosen glaubten, seine Regierung werde das Jahr nicht überleben. Er habe sich noch gewundert, sagte Bayrou, woher die restlichen 16 Prozent ihren Optimismus nähmen.

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Am vergangenen Dienstag schien sein Ende dann überraschend plötzlich sehr nah. Der Premierminister hatte sich zu einer umstrittenen Äusserung über Einwanderer hinreissen lassen. In einem Fernsehinterview erklärte er, dass die Franzosen unter einem «Gefühl der Überschwemmung» durch Migranten litten. Das nahmen Bayrous derzeit wichtigste politische Verbündete – die Abgeordneten des Parti socialiste (PS) – ihm so übel, dass sie kurzerhand einer Sitzung zu den Haushaltsberatungen fernblieben.

Sozialisten verärgert

Zwischen Bayrou und den Sozialisten gibt es eigentlich eine Art Waffenstillstandsabkommen, um das Land endlich aus der politischen Blockade zu bewegen. Aber dieses wirkte auf einmal sehr zerbrechlich. Der Premierminister müsse sich für seine «unnötig verletzenden Worte» entschuldigen, ermahnte ihn der PS-Abgeordnete Philippe Brun. Man könne sonst nicht ausschliessen, sekundierte der PS-Chef Olivier Faure, nicht doch einen neuen Misstrauensantrag von Linken und Rechten gegen Bayrou mitzutragen.

In dieser Woche geht es für den Regierungschef noch aus anderen Gründen um alles. Bayrou und sein Kabinett stehen, wie es die französischen Medien ausdrücken, vor einer «Schicksalswoche voller Gefahren». Das Land hat noch immer keinen Haushalt für das laufende Jahr und operiert, um die wichtigsten staatlichen Aufgaben zu finanzieren, mit einem Notgesetz. Einen neuen Haushalt aber braucht Frankreich dringend, um Reformen beschliessen und das Staatsdefizit in diesem Jahr von 6 auf mindestens 5,4 Prozent des BIP senken zu können.

Ende 2024 erhöhten sich die Staatsschulden auf über 3,2 Billionen Euro. Das Land steuert zudem auf eine Rezession zu und hat mit steigenden Arbeitslosenzahlen zu kämpfen. Prognostiziert wird für dieses Jahr eine Arbeitslosenquote von 8,5 Prozent. Es müsse deswegen endlich ein Budget her, um für finanzielle Stabilität zu sorgen, machte Bayrou in einem Interview am Sonntag klar, und kündigte dazu den Gebrauch des umstrittenen Verfassungsartikels 49.3 an. Ein Land wie Frankreich könne es sich nicht leisten, ohne Haushalt dazustehen.

Mithilfe des Artikels 49.3 kann eine Regierung einen Gesetzesentwurf ohne Abstimmung im Parlament verabschieden, sie muss sich also nicht mehr um Mehrheiten bemühen. Doch können die Abgeordneten danach innerhalb von 24 Stunden einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einbringen. Michel Barnier, der konservative Vorgänger von Bayrou, hatte seinen Haushalt im Dezember an die Vertrauensfrage geknüpft –und war daran gescheitert. Damals hatte das gesamte linke Lager, also auch der PS, zusammen mit den Rechtsnationalisten des Rassemblement national für den Sturz von Barnier gestimmt.

Le Pen wartet ab

Bayrou machte am Montag gleich zweimal Gebrauch von Artikel 49.3, zum einen, um den Staatshaushalt verabschieden zu können, und zum anderen, um auch ein Gesetz zur Finanzierung der Sozialversicherung durchzudrücken, auf das sich die Abgeordneten zuvor ebenfalls nicht hatten verständigen können. Was den Haushaltsplan betrifft, so sieht dieser Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen im Umfang von rund 50 Milliarden Euro vor.

Mit den Sozialisten hatte Bayrou über Wochen intensiv verhandelt und ihnen Zugeständnisse etwa bei der Finanzierung von Pflegeheimen und beim medizinischen Zugang für Migranten versprochen. Zudem wird derzeit eine Überarbeitung der Rentenreform geprüft, die eine Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre vorsieht. Gründe genug für den PS, die Regierung Bayrou vorerst zu dulden. Trotz ihren Drohungen in der vergangenen Woche gaben die Sozialisten am Montag bekannt, einen allfälligen Misstrauensantrag gegen Bayrou nicht zu unterstützen.

Die Partei von Jean-Luc Mélenchon reichte dagegen noch am Montag einen Misstrauensantrag ein, der von den Kommunisten und den Grünen unterstützt wird. Die Rechtsnationalisten, die Bayrous Äusserungen über die «Migranten-Flut» begeistert aufgenommen hatten, liessen offen, ob sie sich dem Antrag der extremen Linken anschliessen werden. Die Partei von Marine Le Pen steckt in einem taktischen Dilemma, will sie sich doch einerseits als verantwortungsbewusste Oppositionskraft präsentieren und andererseits ihre traditionelle Wählerschaft bedienen, der die Sparpläne der Regierung auch deutlich zu weit gehen.

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