Der Clash verschiedener Klassen, der Glanz des Superreichtums auf einer Insel – jüngst gab es das in «The White Lotus». Die Netflix-Produktion «Sirens» legt nun nach.

Es ist eine Sommerromanze, nichts Ernsthaftes. Die Wut, die man als involvierter Zuschauer gerade noch über die überraschende Wendung im Finale von «Sirens» empfunden hat, ist verflogen, sobald man den Laptop zuklappt. Die fünfteilige Miniserie wirkt ganz im Sinne der aristotelischen Dramentheorie eher kathartisch.

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Die Netflix-Produktion gehört zum erfolgreichen Genre der Serien über reiche Leute, die dumme Dinge tun. «Eat the rich» heisst das. Was im antiken Drama Könige und Götter waren, sind in diesem Topos die Superreichen. Und die Verderbtheit der sogenannten «one-percenters» kann man nirgendwo besser beobachten als: in ihrem Paradies.

Ein Kaugummi für zwei Personen

Also reisen wir zu Beginn der Serie zusammen mit einer Frau namens Devon (Meghann Fahy) auf eine Insel in Port Haven, New England, um ihre jüngere Schwester Simone (Milly Alcock) zu suchen. Die hat sich der dysfunktionalen Familie entzogen, wohnt und arbeitet nun in einer der prachtvollen Villen, als Assistentin der Milliardärsgattin und Tierschützerin Michaela Kell (die Oscar-prämierte Julianne Moore). Gute Freunde nennen sie Kiki.

Kiki hat eine Schar von Anhängerinnen. An Galas organisiert sie die Rettung von Wildtieren und hat ihre Residenz als kleinen Überwachungsstaat organisiert. Das Austern-Buffet ist üppig, Gluten dagegen verboten. Die Angestellten können Brot nur hinter einem Geräteschuppen, in einem toten Winkel der Kameras, essen.

Simone hat eine unprofessionell enge Beziehung zu Kiki entwickelt. Sie schlafen zusammen in einem Bett, tauschen gekaute Kaugummis aus. Als Devon die Schwester gefunden hat, will sie etwas Totes in ihrem Blick erkannt haben und stuft deren ätherische Chefin als Sektenführerin ein. Sie will Simone nun retten. Simone will aber nicht gerettet werden. Dazu kommt, dass von der früheren Ehefrau des Hausherrn jede Spur fehlt.

Die Bilder von Kiki und Simone sind in Pastelltönen gehalten und überbelichtet. Ihre Haare umrahmen mit perfekten Wellen die weichgezeichneten Gesichter oder sind zu einem straffen Pferdeschwanz frisiert. Die Bilder von Devon wiederum werden in einem harten Licht gemacht. Ihre Haare sind einfach nur zusammengebunden. Während die Superreichen und das Proletariat klar zu unterscheiden sind, zeigen sich Gut und Böse nicht so eindeutig. Jede der drei Hauptfiguren trägt Geheimnisse mit sich herum, die nach und nach entblättert werden. Nur eine bekommt schliesslich, was sie will, zwei haben das Nachsehen.

Alte Bekannte

«Sirens» basiert auf einem zehn Jahre alten Theaterstück von Molly Smith Metzler, das sie selbst für Netflix adaptiert hat. Als Kammerspiel entwickelt sich die Geschichte fast ausschliesslich auf dem Anwesen von Kiki.

Dabei erlebt man ein Déjà-vu. Der Clash verschiedener Klassen, der Glanz des Superreichtums und: eine Insel – hat man das in letzter Zeit nicht öfter gesehen? Es ist kein Zufall, dass «Eat the rich»-Erzählungen ihre Figuren oft in der Weltlosigkeit stranden lassen, wie Hannah Arendt den Verlust einer gemeinsamen Welt nennt. In «The White Lotus» dient die Insel als Erholungsort, in «Triangle of Sadness» ist sie die Rettung nach dem Schiffbruch und nun, in der schwarzen Komödie «Sirens», die Zuflucht der von ihrer Kindheit traumatisierten Simone. Als ultimatives Ferienmotiv lässt die Insel den Zuschauer durchatmen. Sie verspricht einen kurzen Ausstieg aus der Warenwelt, ein Sonnenbad in Wohlfühlempörung.

Trotz der Bühnenherkunft gelingt es der Serienadaption nicht, eine klare dramaturgische Linie zu entwickeln. In einer spektakulären Szene durchbricht der Lieblingsfalke von Michaela nach mehrmaligem Anlauf die Scheibe von ihrem Schlafzimmerfenster und stirbt. Man versteht bis zum Schluss nicht, wofür das ein Sinnbild sein sollte. «Sirens» steckt voller schöner Ideen, die aber in keinerlei Beziehung zueinander stehen, voller Andeutungen, aus denen dann nichts wird.

Devon und Simone verwenden das Codewort «Sirenen» als SOS-Signal, es ist eine Anspielung auf die Wesen aus der griechischen Mythologie, deren Stimmen Seeleute in den Tod locken. Sirenen werden oft als Meerjungfrauen dargestellt, aber manchmal haben sie auch den Unterkörper eines Vogels – was Michaelas Besessenheit von diesem Tier umso bedeutungsvoller macht. Devon, Simone und Michaela sind allesamt verführerische Frauen, denen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vorgeworfen wird, Männer in den Untergang zu treiben.

Zwischendurch wird es klamaukig. Und am Ende erzählt «Sirens» noch davon, was der Reichtum und die Gier in den Seelen anrichten und wie die Rollen von Frauen funktionieren, die ihnen in Imperien zugewiesen werden, die nicht ihnen gehören.

Vaseline auf der Kameralinse

Die Serie schwankt zwischen kitschig und bodenständig, zwischendurch ist sie erfrischend unvorhersehbar, meist jedoch verwirrend unzusammenhängend. Wenn sich die Seltsamkeiten gegenseitig verstärken, nimmt die Handlung eine unheimliche Traumhaftigkeit an – verstärkt durch eine Vaseline-Linsen-Ästhetik der Kamera. Aber dann zieht sie sich von ihren kühnsten Ideen zurück, die einen nach Serien-Ende noch ein paar Augenblicke hätten umtreiben und sättigen können. Als hätte die Macherin ursprünglich einen mutigeren Plan gehabt und dann einfach gesagt: «Ach, vergiss es.»

«Sirens» ist eine Auster gegen den knurrenden Magen.

Bei Netflix.

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