Sonntag, Januar 5

Der Österreicher hat erfolgreich Kosmetikmarken aufgebaut. Doch bevor er ganz oben angelangt ist, musste er mehrere unternehmerische Abenteuer bewältigen.

Im Genfer Gewerbegebiet Plan-les-Ouates wechseln sich die Prunkbürobauten von Uhrenfirmen mit Showrooms von Autohäusern ab. Ein Sehnsuchtsort ist die Gegend aber eindeutig nicht. Lavendelfelder sind weit und breit keine zu sehen. Ausgerechnet hier hat Reinold Geiger ein Büro. Der Mann, der mit L’Occitane und Kosmetik aus der Provence einen internationalen Milliardenkonzern mit mehreren Marken aufgebaut hat.

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Über dieses Lebenswerk hat sich der Österreicher soeben wieder die volle Kontrolle gesichert. Geiger hat sämtliche ausstehenden L’Occitane-Aktien zurückgekauft und die Firma von der Börse genommen.

Damit kann der 77-Jährige die Gruppe ganz nach seinen Vorstellungen weiterentwickeln, ohne dass er jemandem Rechenschaft ablegen muss. Hat er mit seinen Plänen Erfolg, kommt ihm dieser von jetzt an ganz zugute.

Und an erfolgreichen Ideen mangelt es Geiger nicht. Seinen guten Riecher fürs Geschäft hat er zuletzt mit dem Kauf der Marke Sol de Janeiro bewiesen. Um deren straffende Hautcrèmes und Parfumsprays ist dank Social Media ein Hype entstanden, dessen Ende noch nicht in Sicht ist.

Hoffnung für Österreichs Skifahrer

So selbstverständlich Geiger sich heute in der Welt der Kosmetik bewegt: Angelangt ist der Sohn eines Tischlers aus Dornbirn im Vorarlbergischen dort erst nach einigen abenteuerlichen Versuchen als Unternehmer, wie er bei einem Treffen in der Genfer L’Occitane-Niederlassung erzählt.

Überhaupt interessiert sich der junge Reinold zunächst nur fürs Skifahren. Für den nationalen Skiverband ist klar: Als Nachwuchshoffnung der österreichischen Junioren soll er die Schule mit fünfzehn Jahren beenden und seine Zeit fortan auf den Pisten verbringen.

Die Skikarriere scheitert aber am Veto des Vaters. Reinold soll die Matura machen, als Erster einer grossen Familie – so wie sich das die kurz zuvor verstorbene Mutter gewünscht hatte.

Während der Schulzeit macht sich jedoch ein anderes Talent Geigers bemerkbar. «Ich war schon als Mittelschüler ein bissel Unternehmer», sagt er.

In den Ferien verkauft er Reinigungsmittel für Autos. Dieses bezieht er bei einem Hersteller und füllt es in kleinere Flaschen ab. Damit verdient er gutes Geld. Dass er Jahrzehnte später in seinen Läden ein Gesichtspflegeserum anbieten wird, von dem 30 Milliliter über 100 Franken kosten, ahnt er damals nicht.

Nach der Schule will Geiger auf die Hochschule für Welthandel in Wien, doch ein Studienberater winkt ab: Verkaufen könne er doch schon, das müsse er nicht studieren. Er solle lieber Ingenieur werden. Und so entscheidet er sich für die ETH in Zürich, von wo es auch zum Skifahren nicht weit ist.

Eigentlich ist sein Notendurchschnitt zu schlecht für ein Studium ohne Aufnahmeprüfung, zudem ist die Anmeldefrist schon drei Tage zuvor abgelaufen, aber es klappt irgendwie doch, und Geiger schreibt sich für die Vorlesungen zum Maschinenbauingenieur ein. «Ich hatte sehr oft einfach Glück», sagt er. Es ist wohl auch seine Art, die Dinge direkt anzupacken, die ihm hilft.

Ein gewagter Versuch als Reiseveranstalter

Bei seiner ersten Stelle nach dem Studium bei Landis + Gyr in Genf hält er es nicht lange aus. Es zieht ihn in die USA. Er verkauft sein Auto und steckt das Geld in ein One-Way-Ticket nach New York. Doch die Arbeit dort bei AMF, einem riesigen Konglomerat, das unter anderem Bowlingbahnen herstellt, langweilt ihn. Lieber geht er an den Strand.

Da entdeckt er in einer Zeitschrift ein Inserat für Skiferien in Europa. «Damit kenne ich mich aus!», denkt er und stürzt sich in ein Wagnis. Geiger schaltet handgestrickte Inserate, chartert ein Swissair-Flugzeug und sucht nach Unterkünften in Bizau im Bregenzer Wald. Der kleine Ort verfügt gerade einmal über einen Sessel- und einen Skilift.

Aber zum Erstaunen Geigers klappt es. Die New Yorker Wintersportler treffen auf Einheimische in der Tracht. Geiger muss lachen, als er von der Aktion erzählt, wie oft während des Gesprächs, wenn ihm noch ein lustiges Detail in den Sinn kommt. «Wenn man jung ist, ist man oft naiv.»

Dank einem Trick mit L’Oréal im Geschäft

Seine Verwegenheit sollte ihm noch öfter zugutekommen. Zum Beispiel als er wieder zurück in Europa ist und eine Managementausbildung an der Kaderschmiede Insead («Das war fast wie Ferien.») absolviert hat.

Da kontaktiert ihn der Kosmetikkonzern L’Oréal für einen Job als Direktor in Österreich. Geiger durchläuft das ganze Bewerbungsprozedere, aber nicht weil ihn dieser Job interessiert, sondern aus einem ganz anderen Grund.

In der letzten Interviewrunde teilt er dem verdutzten L’Oréal-Manager mit, dass er auf die Stelle verzichte – er nutzt das Treffen nur, um an hoher Stelle im Konzern für seine eigene Firma zu werben. Geiger hat nämlich in der Zwischenzeit ein kleines Unternehmen gegründet, das Maschinen für Plastikverformung und Spritzguss verkauft, und er erhofft sich einen Auftrag von L’Oréal.

Einen solchen kriegt er wenig später tatsächlich. Sogar einen sehr prestigeträchtigen: Für ein Konkurrenzprodukt zum erfolgreichen Parfum «Opium» von Yves Saint Laurent braucht L’Oréal eine ausgefallene Verpackung. Geiger legt ein Konzept vor, «das auf dem Papier ausgeschaut hat, als ob es funktionieren würde». Doch es gibt einen Haken: «L’Oréal wusste nicht, dass ich gar keine Fabrik hatte.»

Aber Geigers Mut zahlt sich aus. Mit seinen Kontakten in der Industrie schafft er es, die Produktionskapazitäten für den Grossauftrag zu organisieren. Der lukrative Auftrag ist die Basis für eine Verpackungsfirma. Das Unternehmen wächst, doch dafür braucht es viel Kapital. Geiger muss sich stark verschulden, und nach ein paar Jahren wird ihm die Sache zu riskant. Er verkauft den Betrieb.

Kosmetikunternehmer aus der Not heraus

Mit dem Verkauf verdient er so viel Geld, dass er sich eigentlich – noch keine vierzig Jahre alt – nur noch als Investor betätigen könnte. Doch da fängt seine Karriere als Unternehmer erst so richtig an. Nicht weil er das so geplant hat, sondern weil er sich dazu gezwungen sieht.

Eine seiner Beteiligungen ist die französische Naturkosmetikfirma L’Occitane. Aber sie ist schlecht geführt, und Geiger riskiert, sein Investment zu verlieren. «Ich habe nur eine Chance gesehen: Den Chef zu entlassen und selber die Rettung zu versuchen», sagt er.

Geiger holt Olivier Baussan, den Gründer und kreativen Kopf von L’Occitane, in die Firma zurück und beginnt mit der Expansion des Filialnetzes. Zuerst in Frankreich, später in Asien und Amerika. Er investiert in Ladenflächen an guter Passantenlage.

Als Geiger in den 1990er Jahren einsteigt, macht das Unternehmen umgerechnet gerade einmal 8 Millionen Euro Umsatz. Heute erwirtschaftet die Marke L’Occitane knapp 1,4 Milliarden Euro. Geiger betont, dass bei der Expansion auch vieles hätte schiefgehen können. «Ich habe einen Schutzengel gehabt.» 2010 geht die Firma mit Sitz in Luxemburg in Hongkong an die Börse. Der Erfolg erlaubt es der Gruppe, weitere Firmen zu akquirieren.

Dass ein positiv besetzter Ort im Namen wie «en Provence» ein wertvolles Marketinginstrument ist, hat Geiger bereits bei L’Occitane gemerkt. Und so erkennt er auch das Potenzial der Kosmetikmarke Sol de Janeiro, an der er 2021 eine Mehrheit kauft. Dass es ein amerikanisches Unternehmen ist, erachtet er als Vorteil. Denn so kämen amerikanische Effizienz und brasilianisches Flair zusammen. Die Produkte stehen für den Körperkult am Copacabana-Strand von Rio. Sie stehen aber auch für phänomenales Wachstum im dreistelligen Prozentbereich.

Dieser Erfolg von Sol de Janeiro ist der Grund, warum sich Finanzinvestoren querstellen, als Anfang 2024 durchsickert, dass Geiger die L’Occitane-Gruppe von der Börse nehmen will. Sie vermuten, dass das Unternehmen wegen Sol de Janeiro deutlich mehr wert ist, können aber keine höhere Offerte erwirken.

Und so kauft der Österreicher, der bereits über 70 Prozent der Aktien von L’Occitane besitzt, wie geplant im Herbst auch noch die restlichen Titel zurück. Die Transaktion bewertet den ganzen Konzern mit rund 6 Milliarden Euro.

Finanziert hat Geiger die Vollübernahme mit einem Kredit von Blackstone, Goldman Sachs und Crédit Agricole. Der Businessplan sieht vor, dass er diese Schulden in den nächsten sechs Jahren zurückzahlt.

Ob er dafür in Zukunft Teile der Gruppe verkauft oder ob ein erneuter Börsengang zum Beispiel in den USA denkbar ist, lässt Geiger offen. «Wir haben verschiedene Möglichkeiten, um an die nötigen finanziellen Mittel zu kommen», sagt er. Nach aussen kommunizieren muss er seine Pläne jetzt, da L’Occitane wieder in Privatbesitz ist, nicht mehr.

Zunächst möchte er schauen, wie viel Wachstum beim neusten Zukauf der Gruppe drinliegt. Die Firma Dr. Vranjes Firenze ist ein Hersteller von Raumdüften und Parfum aus der Toskana. Hier sieht Geiger nach anfänglicher Skepsis viel Potenzial – wieder aufgrund der Ortsbezeichnung: «Florenz ist noch viel stärker als die Provence», davon ist er überzeugt.

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