Montag, November 25

Schillernde Lagunen, Korallenriffe und weisse Sandstrände: Auf Polynesien bilden der Mensch und der Ozean ein unzertrennliches Ganzes. Damit das so bleibt, setzen die Insulaner auf einen alten Glauben.

Schon der Name klingt wie eine Melodie: Hiva Oa. So heisst eine der dreizehn Marquesas-Inseln im nördlichen Südpazifik, einer Inselgruppe, die von jedem Kontinent dieser Erde so weit entfernt liegt, wie es nur irgend geht.

Wenn Marania Teuru diesen Namen ausspricht, klingt viel Sehnsucht mit. Die Polynesierin verbrachte ihre Kindheit und Jugend auf diesem Eiland. «Hiva Oa hat eine ganz spezielle Energie, die einen nie wieder loslässt», sagt die 35-Jährige. Das mag an der extremen Abgeschiedenheit und der erlesenen Schönheit der Insel liegen, die 1595 von zwei Spaniern wegen eines Navigationsfehlers «entdeckt» wurde. Auch Marania wuchs nur zufällig auf der Insel auf, denn ihr Vater, Mechaniker auf einem der französischen Verwaltungsschiffe, mit denen Güter zwischen den Inseln hin- und hertransportiert wurden, wurde mit seiner Familie hierher versetzt.

Heute ist die Vulkaninsel dafür bekannt, dass der französische Maler Paul Gauguin hier seine letzten Lebensjahre verbrachte, um seinen Traum von einem ursprünglichen Leben, frei von zivilisatorischen Zwängen, zu verwirklichen. Auf Hiva Oa, wo seine berühmtesten Gemälde entstanden, liegt er auch begraben. Seine Bilder tragen bis heute zu einem verklärenden Blick der Südsee bei.

Französisch-Polynesien im südlichen Pazifik

Marania und viele Insulanerinnen sind allerdings alles andere als glücklich darüber, dass Polynesien und insbesondere Hiva Oa bis heute oftmals nur mit Gauguin in Verbindung gebracht werden. Das hat nicht nur mit seiner berüchtigten Vorliebe für minderjährige Mädchen, sondern auch mit einem längst überholten, paternalistischen Blick auf eine andere Kultur zu tun.

Erdgeschichtlich eine der ältesten Inselgruppen

Mit seinen grünen, von Regenwald überwucherten Bergen, die sich abrupt vom Meer abheben, ist Hiva Oa so etwas wie «der verwunschene Garten der Marquesas-Inseln», sagt Marania. Auf dieser Insel stehen auch einige der grössten Tiki-Statuen Polynesiens. Es handelt sich dabei um menschenähnliche Kultfiguren, die andernorts ins Museum gebracht werden mussten, um sie vor Diebstahl zu schützen. Und dann ist Hiva Oa auch berühmt für seine besonders tapferen Krieger, die sich den französischen Besetzern und Missionaren länger widersetzten als andernorts und ihre Kultur, darunter die Tätowierkunst, bewahrten. «Hiva Oa ist sehr viel mehr als nur Gauguin», lautet das Fazit der jungen Frau.

Ausgerechnet auf dem 1500 Kilometer entfernten Tahiti, wo Marania heute lebt, hat sie jene Energie wiedergefunden, die kennzeichnend für ihr Kindheitsparadies war. Schon der Blick aus dem Flugzeug ist spektakulär. Majestätisch erhebt sich die Königin der sogenannten Gesellschaftsinseln – so taufte einst der britische Entdecker Kapitän James Cook den Archipel, weil viele Inseln dicht beieinanderliegen – aus dem Meer, gekrönt von smaragdgrünen Bergen. Der höchste, der Zwillingsgipfel Mont Orohena, ragt stolze 2200 Meter in den Himmel.

Tahiti ist die grösste der 118 Inseln Polynesiens, die allesamt vulkanischen Ursprungs sind und im Pazifik verstreut liegen. Das gesamte Südseereich besteht aus fünf Archipelen und mehreren Dutzend vielfach unbewohnter Atolle, die erdgeschichtlich die ältesten Inseln sind. Von der Fläche her ist Französisch-Polynesien mit Europa vergleichbar.

Dort sind die Träume von der Südsee hartnäckig im kollektiven Bewusstsein verwurzelt, was vermutlich auch damit zu tun hat, dass sie nur schwer erreichbar ist. Die Reise zu den kleinen Tropeninseln inmitten des grössten Ozeans der Erde dauert vom alten Kontinent aus dreissig Flugstunden. Diese Entlegenheit beflügelte schon frühzeitig die Phantasie von Abenteurern, wie die von Cook oder die seines Landsmanns Samuel Wallis, der 1767 als erster Europäer Tahiti sichtete. Als nur ein Jahr später der französische Entdecker Louis-Antoine de Bougainville nach Tahiti kam und auch die umgebenden Inseln in Besitz nahm, schlug die Geburtsstunde von Französisch-Polynesien.

Die meisten Polynesier leben auf Tahiti und in seiner Hauptstadt Papeete, die heute eine moderne Grossstadt ist, die abgesehen von einem bunten Markt nicht allzu viel Südseeambiente versprüht. Das ändert sich erst bei einer Fahrt ins Innere der Insel, das mit seiner dichten tropischen Vegetation, seinen dramatischen Schluchten und Wasserfällen erstaunlich unberührt ist. Im Norden etwa liegt das Papenoo-Hochtal, berühmt für seine heiligen Kult- und Zeremoniestätten, die sogenannten Marae, die 400 bis 500 Jahre alt sind. Das Tal war früher dicht besiedelt, denn anders als heute lebten die Polynesier im Landesinneren und nicht an der Küste.

Zwangschristianisierung vor 250 Jahren

Genau hier, in der archäologischen Stätte Fare Hape, für die das Papenoo-Hochtal berühmt ist, hat Marania einen Rückzugsort gefunden, der sie an Hiva Oa erinnert und inspiriert. Beim Besuch dieser frühen Siedlung kann man nachvollziehen, wie die Menschen vor ihrer Zwangschristianisierung vor 250 Jahren lebten. «Wir waren Polytheisten und hatten je einen Gott für den Ozean, den Himmel und die Tiere. Doch all dies wurde uns genommen, als die französischen Missionare Ende des 18. Jahrhunderts hier ankamen», so Marania. Die Bewohner wurden vertrieben und mussten an der Küste siedeln. Lediglich einige Druiden, die sogenannten Mamaias, die dem Christentum entsagten, konnten sich im Hochland verstecken und ihre Bräuche zumindest eine Zeitlang noch beibehalten.

Der Weg nach Papenoo auf einer holprigen Strasse, die noch aus den Zeiten von Frankreichs Präsident Charles de Gaulle stammt, ist ein Abenteuer für sich. Flankiert wird sie von grünem Dschungel, aus dem afrikanische Tulpenbäume mit ihren flammend roten Blüten herausfunkeln, doch wie man später erfährt, wurden sie einst aus Gabon eingeschleppt.

«Wir haben aber glücklicherweise keine Schlangen oder giftigen Tiere in Polynesien, sie sind nicht endemisch. Und die Siedler aus Europa brachten nur Nutztiere mit», scherzt Marania und zeigt auf ein paar Hühner, die frei in der Gegend herumstolzieren. An einem Hibiskusstrauch direkt an der Strasse macht sie halt, um sich eine rote Blüte ins Haar zu winden. Blumen wie Orchideen, die duftenden Frangipani und insbesondere die weisse Tiare-Blüte, das polynesische Nationalsymbol und Zeichen für die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Menschen, sind in Polynesien allgegenwärtig. Vor allem die Tiare-Blume, aus der ein wertvolles Öl namens Monoi gewonnen wird, wird als Haarschmuck oder in Kränzen gebunden als Gastgeschenk überreicht.

Renaissance der verbotenen Tätowierkunst

Und schon taucht Fare Hape auf, eine Art Freilichtmuseum für eine Kultur, die fast in Vergessenheit geraten wäre, wenn es nicht Menschen wie Yves Doudoute (74) gäbe. Er rief im Jahr 1986 eine Stiftung namens Haururu ins Leben, die die Bräuche der ersten Bewohner Tahitis pflegt und wieder belebt. Heute sieht Fare Hape wie ein schmuckes Dorf aus, in dem es sogar rustikale Schlafbungalows mit Palmdächern für Gäste gibt. Doudote führt die Stiftung inzwischen gemeinsam mit seinem Neffen Matahi Tutavae (45), einem der renommiertesten Experten für die tahitianische Geschichte.

Tutavae empfängt seine Gäste barfuss, obwohl es in seinem immergrünen Paradies gerade wieder einmal regnet. «Jede Art von Regen hat hier bei uns einen eigenen Namen, dieser hier ist schwach, wir nennen ihn Torridi», sagt er. An Wettervorhersagen im Radio glaubt hier niemand, man liest das Wetter in den Wolken, wie es schon die alten Polynesier taten. Tutavae lebt ganz wie sie. Es werde sonnig im Laufe des Tages, verkündet er, bevor er die traurige Geschichte seines Volkes erzählt.

«Uns wurde mit der Ankunft der christlichen Missionare alles verboten, unsere religiösen Zeremonien, unsere Tänze und Gesänge, das Trommeln und auch unsere Sprache, die aus dreizehn Buchstaben besteht», sagt Tutavae. «Es war eine Herkulesaufgabe, alles wieder zu beleben, denn es gab keine Niederschriften.» Erst seit 37 Jahren wird Tahitianisch wieder an den Schulen gelehrt, allmählich ersetzten die Tahitianer die christlichen Namen wieder durch ihre eigenen. Auch alte Texte und Legenden, wie beispielsweise die folgende von der Prinzessin Hina und dem Aal, wurden aus der Versenkung geholt und den Kindern wieder erzählt.

Warum der Aal der Ursprung des Kokosnussbaums ist

Die schöne Prinzessin Hina war dem Prinzen Fa’aravaianu’u vom Vaihiria-See zur Ehe versprochen, aber er war ein schrecklicher Aal. Sie sucht angstvoll Zuflucht beim Gott Maui. Maui fängt Fa’aravaianu’u ein und schneidet ihn in drei Stücke. Er wickelt den Kopf ein und gibt ihn Hina. Er bittet sie, diesen im Zentrum ihres Marae zu pflanzen. Sie legt das Paket ins Gras und erfrischt sich bei einem Bad. Derweil öffnet sich die Erde und verschlingt den Kopf. Es wächst ein Baum heraus, der so gerade ist wie ein Aal. Der erste Kokosnussbaum ist geboren. Hina, die Kokosnusswasser trinken will, erkennt in der Schale die Augen und den Mund des Aals wieder und muss ihn am Ende doch küssen – den Prinzen Fa’aravaianu’u.

Auch die von der katholischen Kirche untersagte Tattookunst, die nur auf Tonga und Samoa überlebte, musste erst von dort wieder eingeführt werden und erfährt in den letzten Jahren eine starke Renaissance. Einen wichtigen Beitrag leisteten auch die Aufzeichnungen des deutschen Ethnologen und Mediziners Karl von den Steinen, die als Vorlage dienten. Dieser hatte Ende des 19. Jahrhunderts auf den Marquesas-Inseln die Motive für die Körperbemalung wissenschaftlich erfasst. «Die Tätowierungen zeigen den gesellschaftlichen Status ihres Trägers, seine Herkunft und wer seine Ahnen sind», sagt Tutavae.

Die vergrabene Plazenta

Gerne zeigt Tutavae seinen Gästen auch einen drei Meter hohen, grossblättrigen Brotfruchtbaum, der auch Uru-Baum genannt wird. «Uru» bedeutet übersetzt: die Frucht, die mit dem Kanu kam. Die Bäume, so der Polynesier, gediehen am besten in Gesellschaft, in der Nähe von menschlichen Siedlungen, nicht alleine in der Wildnis. Als Tutavaes heute 17 Jahre alter Sohn auf die Welt kam, vergrub der stolze Vater die Plazenta nach der Geburt und pflanzte den Uru-Baum mit ein. «Das ist Teil unserer Kultur, wir wollen die Menschen wieder mit der Erde verbinden.» Die kalorienreiche Brotfrucht war und ist bis heute ein wichtiger Bestandteil der Südseeküche, ohne sie hätten die Abenteurer von einst nie so weit rudern und andere Inseln besiedeln können.

Vom emblematischen Baum aus erkennt man das Zentrum des Marae, von üppigem Grün umgebene Steinmauern, die aus dem 16. Jahrhundert stammen. Sie haben die Form eines Kanus, denn in der Mitte ragt ein ebenfalls steinerner Mast empor. Er symbolisiert die drei bis sieben Jahrtausende zurückreichende Besiedlungsgeschichte Polynesiens. Sie nahm als Exkursion kühner Seefahrer aus Südostasien, die sich nur mithilfe der Sterne orientierten, ihren Anfang. Kanus sollten die Toten auch in die Geisterwelt bringen.

Wer Fare Hape besucht, bringt als Zeichen der Ehrerbietung Wasser vom Meer mit, auch findet man auf den Mauern Muscheln und Korallenstücke. In einem speziellen Bau sind riesige handgeschnitzte Totempfähle untergebracht, einer für jede Familie, im Fall von Tutavae hat er die Form eines riesigen Tausendfüsslers, der als geistiger Hüter das Dorf vor Erdbeben schützen soll. Es gibt mehrere Totemtiere, das Dorf von Tutavaes Vater, der aus Bora Bora stammt, hat beispielsweise die Schildkröte. Die Pfähle gelten auch als Landeplattform der Ahnen.

Regelmässig pilgern auch Menschen von den Fidschiinseln, Hawaii, Neuseeland sowie den Osterinseln hierher, um gemeinsam mit den Tahitianern in den klaren Nächten die Konstellation der Plejaden, Matari’i auf Polynesisch, zu beobachten und den Beginn einer neuen Jahreszeit zu feiern, in Polynesien gibt es nur zwei. All diese Menschen teilen die gleiche Kultur, denn ihre frühen Wanderbewegungen begründeten das sogenannte polynesische Dreieck.

«Wir sind ein einziges Volk, das verstreut auf vielen verschiedenen Inseln lebt. Der Ozean trennt uns nicht, er ist kein Hindernis. Wir sehen ihn vielmehr als eine Strasse, die uns miteinander verbindet», sagt Tutavae. Das bedeutet auch Respekt für die Meerestiere. Nach dem althergebrachten Glauben dürfen etwa Wale nicht gejagt werden, denn sie tauchen an den Meeresboden und halten die Verbindung zu den Ahnen, deren Geist hier unten vermutet wird.

Dramatisch schön: Moorea

Nur siebzehn Kilometer und eine halbe Stunde auf der Fähre entfernt liegt Moorea, die Zwillingsinsel von Tahiti, was übersetzt so viel wie gelbe («rea») Eidechse («mo’o») bedeutet. Umgeben von in Türkistönen schillernden Korallenriffen, ist die Insel in Herzform für viele die schönste der Gesellschaftsinseln. Dies hatte freilich eine besonders rasante touristische Entwicklung zur Folge, nur noch zwei Strände auf der Insel sind nicht in den Händen von Luxusresorts. Viele der rund 17 000 Bewohner leben vom Fischfang, vom Anbau von Ananas und von der Perlenzucht.

Schon von weitem grüsst der Mou’a Tapu, der heilige Berg der Insel, der in seiner Kuppe ein Loch hat und «der durchbohrte Berg» heisst. Der Legende nach stammt es vom Speer des starken Kriegers Pai, der verhinderte, dass Hiro, der Gott der Diebe, Moorea stehlen konnte. Sein Plan bestand darin, ein Seil um den Mont Rotui zu winden, um das Eiland zu sich auf die Insel Raiatea zu ziehen.

Die Insel ist berühmt für ihre vielen schönen Wanderwege, etwa zu dem berühmten Aussichtspunkt Trois Pinos. Auf dem Weg nach oben durchquert man das fruchtbare Opunohu-Tal, das früher dichtbesiedelt war. Hiervon zeugen mehr als 500 archäologische Stätten, von denen nur ein Teil ausgegraben wurde. Von Trois Pinos hat man einen atemberaubenden Ausblick auf die Cook-Bucht, benannt nach dem Entdecker der Insel, den Rotui-Berg dazwischen und die paradiesische Opunohu-Bucht. Letztgenannte ist berühmt, seitdem hier in den 1960er Jahren die «Meuterei auf der Bounty» gedreht wurde.

Das absolute Highlight ist freilich der Blick vom im Norden der Insel gelegenen Magic Mountain auf die Lagune von Moorea, der Berg war schon der Aussichtspunkt der Ureinwohner. Die in den schönsten Türkistönen schillernde Lagune ist bis heute ein Rückzugsort für Wale.

Gut zu wissen:
Beste Reisezeit: Mai bis Oktober
Flüge von Paris nach Papeete mit Air Tahiti Nui mit Zwischenlandung in Los Angeles.
Um die Inseln richtig kennenzulernen, empfiehlt sich eine mehrtägige Tour mit einem Katamaran, zum Beispiel mit dem Kreuzfahrtspezialisten Tahiti Yacht Charter, Startpunkt ist der Hafen von Raiatea. www.tahitiyachtcharter.com
Wandern auf Moorea: www.moorea-by-foot.com

Diese Reportage wurde möglich durch die Unterstützung von Tahiti Tourisme.

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