Donnerstag, November 28

Die Corona-Krise und hemmungsloses Ausgabenverhalten treiben die Schulden von Staaten in die Höhe. Experten rechnen mit anhaltend höherer Inflation. Wie Anleger und Sparer reagieren sollten.

Die Welt versinkt in Schulden. Laut einer Statistik des Institute of International Finance (IIF) ist die globale Verschuldung im ersten Quartal dieses Jahres um 1,3 Billionen Dollar auf einen Rekordwert von 315 Billionen Dollar gestiegen.

Starkes Schuldenwachstum kam dabei aus Schwellenländern wie China, Indien und Mexiko, während die Schuldenstände in den meisten Industrieländern recht stabil blieben. Insgesamt gesehen rückt die nicht nachhaltige Schuldensituation aber wieder stärker in den Fokus der Finanzmarktakteure.

Hohe Schulden nach Corona

«Für die Finanzminister in Industrieländern waren 2022 und 2023 vergleichsweise glückliche Jahre, da in der Nach-Corona-Zeit die Staatsschulden etwas gedrückt wurden», sagt Mark Valek vom Liechtensteiner Vermögensverwalter Incrementum, der gerade den am Finanzmarkt stark beachteten Edelmetallbericht «In Gold We Trust» herausgegeben hat.

Doch mit der zurückgehenden Inflation und dem Abflauen der wirtschaftlichen Sondereffekte der Nach-Corona-Zeit halte wieder der «graue Alltag» der strukturell steigenden Staatsverschuldung Einzug. Zudem haben sich viele Staaten während der Corona-Krise mit Rettungsmassnahmen besonders stark verschuldet.

Weltmacht USA als schlechtes Vorbild

Besonderes Augenmerk legen Finanzmarktakteure dabei auf die USA mit ihrem hohen Refinanzierungsbedarf und ihren rekordhohen Defiziten. Trotz dem weiterhin starken Wirtschaftswachstum dürfte das US-Budgetdefizit in diesem Jahr bei 5,6 Prozent und im kommenden Jahr bei 6,1 Prozent zu liegen kommen, wie die Behörde Congressional Budget Office prognostiziert. «Es ist erschreckend, dass die Defizite so hoch sind, obwohl die US-Konjunktur boomt», sagt der Finanzexperte Thomas Härter, der bei verschiedenen Finanzhäusern als Anlagespezialist gearbeitet hat.

Laut Valek kommen im Kalenderjahr 2024 US-Staatsanleihen im Volumen von 11,5 Billionen Dollar auf den Markt – dieses sei damit um 50 Prozent grösser als vor der Pandemie. Die Finanzierung der US-Staatsschulden dürfte an den Märkten Spuren hinterlassen. Weltweit müssen laut dem «Global Debt Report» der internationalen Organisation OECD in den nächsten drei Jahren 40 Prozent aller Staatsanleihen und 37 Prozent aller Unternehmensanleihen refinanziert werden, wie Valek in seinem Bericht ausführt.

Bis 2026 liefen rund ein Drittel der italienischen, 25 Prozent der spanischen und rund 20 Prozent der französischen Staatsanleihen aus. Für das laufende Jahr erwarte die OECD Emissionen von Staatsanleihen im Volumen von 15,8 Billionen Dollar.

Liz Truss’ Malheur mit Steuersenkungen als Vorgeschmack?

Solange sich Käufer für die Anleihen finden, dreht sich die Schuldenspirale weiter. «Falls nicht, kann es aber schnell gehen, und die Finanzmärkte hinterfragen die Schuldentragfähigkeit», sagt Valek.

Er geht davon aus, dass sich das in Grossbritannien im September 2022 zu beobachtende Szenario an einem anderen Ort wiederholen könnte. Damals kündigte die Regierung unter Premierministerin Liz Truss starke Steuersenkungen an, woraufhin die Renditen 30-jähriger britischer Staatsanleihen in drei Tagen um rund 1,7 Prozentpunkte stiegen. Dies wiederum brachte britische Pensionsfonds in Turbulenzen, und letztlich musste die Bank of England intervenieren, um die Situation zu entschärfen.

Als weiteres Negativbeispiel nennt er die Euro-Schuldenkrise. Als 2011 die Renditen von Anleihen des hochverschuldeten Euro-Lands Italien stark stiegen, musste die Europäische Zentralbank in grossem Stil italienische Staatsobligationen kaufen.

«Staatsschulden nicht unbegrenzt akzeptiert»

«Die Finanzmärkte akzeptieren hohe Staatsschulden nicht unbegrenzt», sagt Härter. «Irgendwann verlangen die Investoren höhere Zinsen oder erzwingen eine Haushaltssanierung.» Für die USA sei nicht zu erwarten, dass dies vor den Präsidentschaftswahlen im Herbst dieses Jahres passiere. Danach könnte es aber so weit sein. Der US-Staatshaushalt sei ein Sanierungsfall, und passiere nichts, könnte die Risikoprämie für amerikanische Staatsanleihen steigen.

Droht strukturell höhere Inflation?

«Historisch gesehen endet ein Schuldenzyklus, wenn Schulden das Wirtschaftssystem überfordern», heisst es in dem Incrementum-Bericht. Die Überschuldung werde durch eine deflationäre Schuldenkrise beseitigt – wie in der Weltwirtschaftskrise 1929. Der aktuelle Zyklus dauere aber wesentlich länger als frühere Zyklen, weil die politischen Entscheidungsträger Zugang zu beinahe unbegrenzter Schuldenschöpfung haben. «Kern des Problems ist das schuldenfinanzierte Geldsystem», sagt Valek. Er erwartet strukturell höhere Inflationsraten als neue Normalität.

«Die hohen Schulden sind ein Damoklesschwert, das seit vielen Jahren über uns schwebt – doch niemand weiss, wann es fallen wird», sagt Ivan Adamovich, Chef des Family-Offices Private Client Bank. Man könne auch darüber diskutieren, ob es überhaupt fallen werde. Solle das Schwert aber oben bleiben, müssten die westlichen Volkswirtschaften in den kommenden Jahren viel stärker wachsen.

Auch er sei erstaunt darüber, dass sich die Schuldenspirale in den vergangenen Jahrzehnten immer weitergedreht habe und dass die Finanzmärkte dies vergleichsweise gelassen hingenommen hätten. Als Extrembeispiel nennt Adamovich Japan, dessen Staatsverschuldung sich seit Jahrzehnten auf sehr hohen Niveaus bewegt.

Phase inverser Zinskurve ungewöhnlich lang

Indessen sind laut dem Family-Office-Vertreter an den Finanzmärkten aber trotzdem «schräge Verhältnisse» zu beobachten. Ein Indikator, der aussergewöhnliche Zustände signalisiert, ist beispielsweise die seit längerer Zeit inverse Zinskurve. Seit 1980 seien solche inversen Zinskurven nur in wenigen Fällen beobachtet worden, eine solch lange Phase wie derzeit sei sehr ungewöhnlich, sagt Adamovich.

Auch habe ihn überrascht, dass die deutlichen Zinserhöhungen der US-Zentralbank Federal Reserve im Umfeld hoher Verschuldung überhaupt möglich gewesen seien. Ein Grund, weshalb bisher keine Schuldenkrise ausgebrochen ist, dürften wohl auch die Hoffnungen auf eine von der KI-Revolution hervorgerufene Boom-Ära sein, sagt er.

In letzter Zeit ist indessen die US-Staatsverschuldung etwas stärker in den Fokus gerückt. «Die Schulden sind dort stark gestiegen, und gleichzeitig nimmt bei vielen Staaten die Bereitschaft ab, das amerikanische System zu finanzieren», sagt er. Damit ist in erster Linie der Rivale China gemeint, der eine Strategie der De-Dollarisierung verfolgt und sich unabhängiger vom Dollar machen will.

In diesem Zusammenhang spielt auch das Einfrieren russischer Währungsreserven nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs eine Rolle. Dies hat autoritären Regimen gezeigt, was im Ernstfall passieren kann. «Möglicherweise müssen sich die USA in Zukunft stärker überlegen, wer ihnen Geld leiht», sagt Adamovich.

Was Sparer und Anleger tun sollten

Unter diesen Umständen bleibt die Geldanlage herausfordernd. Experten geben verschiedene Empfehlungen.

Kein «Krisen-Timing» betreiben: Adamovich rät beispielsweise, nicht auf einen genauen Zeitpunkt der nächsten Krise zu wetten. Dieser lasse sich aus heutiger Sicht nicht bestimmen. Wer in den vergangenen Jahren seine Anlagen auf eine Krisenzeit ausgerichtet und beispielsweise seinen Aktienanteil im Portfolio reduziert hat, hat unter Umständen massive Renditen verpasst.

Welche Verpflichtungen hat man? «Man sollte sich stets überlegen, welche finanziellen Verpflichtungen man hat», sagt Adamovich. Für Anleger, die in Franken rechnen, heisst dies auch, nicht zu hohe Währungsrisiken einzugehen – zumindest nicht bei Anlagen in Obligationen oder Cash. Die Gefahr, aufgrund von Währungsverlusten Geld zu verlieren, ist dann zu hoch.

Härter empfiehlt Anlegern in diesem Zusammenhang, ihre Dollar-Quote kritisch zu hinterfragen oder diese abzusichern. Dies gelte insbesondere für Anleger aus dem Franken-Raum. Auch Adamovich rät, sich nicht von den höheren Zinsen in den USA blenden zu lassen. Die Renditen für 3-Monats-Staatspapiere liegen aktuell bei 5,4 Prozent, für 2 Jahre bekommt man 4,9 Prozent. Bei Aktien liege der Fall anders, da global tätige Konzerne je nach Geschäftsmodell Bündel aus verschiedenen Währungen seien und die Frage nach dem unternehmerischen Erfolg im Zentrum stehe – und nicht die Währung, in der berichtet werde.

Diversifikation ist weiter wichtig: «Je unsicherer die Zeiten, desto wichtiger ist die Diversifikation», sagt Adamovich. Damit ist das Streuen des Vermögens auf verschiedene Anlagen wie Aktien, Anleihen, Immobilien, Rohstoffe oder Cash gemeint.

Sich verschulden oder nicht? Letztlich stellt sich auch die Frage, ob man sich in einem inflationären Umfeld selber stärker verschulden sollte oder nicht. Schliesslich besteht dann die Hoffnung, dass die Schulden durch die Teuerung quasi «weginflationiert» werden. Dabei handelt es sich aber um ein Spiel mit dem Feuer. «Im Zweifel geht es in unsicheren Zeiten zuerst darum, die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten», sagt Adamovich. Hohe Schulden schränken diese ein.

Auf Realwerte setzen: Steigt die Teuerung, werden das Geld und damit auch nominale Anlagen wie Obligationen entwertet. Mit realen Werten wie Immobilien, Gold oder auch Aktien ist man vor allem bei höherer Inflation und auf längere Sicht sehr wahrscheinlich besser bedient.

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