Montag, September 30

Das war die Street Parade 2024.

Der beglückendste Ort der Street Parade 2024 befindet sich nicht im Gedränge vor den Love-Mobiles, nicht auf den Booten im Seebecken oder den VIP-Tribünen rundherum. Sondern in einer Nebenstrasse am Bürkliplatz, wo gnädige Seelen einen Parcours aus Sprinkleranlagen gebastelt haben. Einmal hindurchrennen – und das Leben kehrt in ermattete, rote Gesichter zurück.

Erst dreimal ist es in der Stadt Zürich am Tag der mutmasslich grössten Technoparty der Welt so heiss geworden wie diesmal – die Rekordwerte stammen aus den Hitzesommern 2003 und 2015. Dieses Jahr steigt das Thermometer am frühen Abend auf 32 Grad, die Sonne brennt von einem wolkenlosen Himmel.

Auf der Quaibrücke, im pulsierenden Herzen der Street Parade, ist kein Durchkommen. Von der einen Seite auf die andere zu kommen, dauert fast eine Stunde. Wer das nicht mehr aushält, macht es wie eine Gruppe junger Männer, die ihre Badelatschen über die Brüstung werfen und hinterherspringen in den See.

Auf der Brücke bebt der Boden von den hüpfenden Ravern. Schweissnass glitzernde Körper drücken gegeneinander. Manchmal, für einen kurzen magischen Moment, springen alle gleichzeitig zum Rhythmus des Beats hoch, bevor sie wieder auf einem Meer von Aludosen landen.

Rund 90 Tonnen Abfall entstehen jeweils bei der Street Parade.

Denn getrunken wird an diesem Samstag hektoliterweise. Rauschmittel Nummer eins ist auch an der Street Parade keine der aufputschenden Partydrogen wie MDMA oder Kokain, sondern der Alkohol. Die Wodkaflaschen: schon am Nachmittag leer. Die Bierdosen: in bis oben gefüllten Einkaufswagen herangekarrt.

Eine «Express-Lane» fürs WC und ein erster Wildpinkler

Die Betriebe ums Seebecken machen das Geschäft ihres Lebens. Ein nobles Restaurant hinter dem Opernhaus hat sich flugs in einen Take-away-Stand verwandelt. Das Bier kostet hier acht Franken, der gespritzte Weisse zehn. Sogar Eiswürfel gibt es – für drei Franken pro Becher. Andernorts sind die Preise noch höher.

«Incredibile!», kommentiert diese Preise ein junger Italiener im Hawaiihemd, der das erste Mal im Leben im Ausland ist. Er ist gerade in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs einem Fernbus entstiegen – zwischen Meerjungfrauen und Wikingern und voller Vorfreude auf die grosse Party.

Vor der Hauptbühne geht die Post ab.

Zahlen muss in Zürich auch, wer die viele Flüssigkeit wieder loswerden will. Der Eintrittspreis für die mobilen Toiletten am Bahnhof Stadelhofen ist zwei Franken, trotzdem bildet sich schon früh eine meterlange Schlange. Wer es besonders eilig hat, kann sie auf der «Express-Lane» umgehen: Für zehn Franken hat man unlimitierten Zugang zu allen WC-Zonen und muss nicht anstehen.

Manche verlegen sich angesichts der WC-Knappheit jedoch schnell auf eine andere Strategie: jene der Schamlosigkeit, die man der Stadt jeweils noch tagelang anriecht.

Das erste Love-Mobile im Seefeld ist noch nicht losgefahren, da erleichtert sich gleich daneben schon der erste Wildpinkler in ein Vorgärtchen – bis zur nächsten Toilette wären es zehn Meter. Als er fertig ist und den kritischen Blick einer älteren Raverin bemerkt, verbeugt er sich und führt entschuldigend die Hände zusammen, wie zum Gebet.

Gute Laune trotz erdrückender Hitze.

Anrührende und irritierende Szenen gehen an der Street Parade nahtlos ineinander über, untermalt von diesem hämmernden Soundtrack, der alles gleichmacht.

Mitten in der wogenden Masse küssen sich zwei Raver lang und innig, als küssten sie zum ersten Mal. Ein Mann schlägt um sich, er wankt und schimpft, wohl unter Drogen.

Zwei asiatische Touristinnen, wohl von niemandem über das Datum vorgewarnt, gehen verwirrt hinter ihren Handys in Deckung. Ein muskulöser Mann mit Schleier wirbelt eine Sexpuppe umher, verfolgt von hysterisch lachenden Kollegen, die nach ihren Brüsten greifen.

Eine Muslimin, ebenfalls mit Schleier, beobachtet vom Strassenrand aus die entblössten Tänzerinnen und Tänzer. Und beim Sanitätsposten umarmt eine Frau überschwänglich die Rettungssanitäterin, die sie nach draussen führt. «You are an angel!», ruft sie, bevor sie sich wieder ins Getümmel stürzt.

Etwa ein Drittel der Menschen, die sich an der Street Parade von den Rettungskräften behandeln lassen, hat Probleme wegen zu grosser Mengen Alkohol oder Drogen. Die MDMA-Pillen, die das mobile Drogentestzentrum der Stadt auf Wunsch analysiert, waren an diesem Tag samt und sonders zu hoch dosiert. Das kann schwere Nebenwirkungen haben, bis hin zum Kreislaufkollaps.

Am Bahnhof Stadelhofen kreuzen am Abend jene, die erst jetzt dazustossen, andere, denen es zu viel geworden ist. Ein Mann sitzt regungslos neben seinem Erbrochenen, unter den Bäumen liegen sich Freunde in den Armen.

Die Temperatur sinkt jetzt langsam. Ein neuer Hitzerekord ist es nicht geworden. Auch ein neuer Teilnehmerrekord wurde es mit geschätzt 920 000 Gästen nicht. Der einzige Bestwert, der an diesem Tag erreicht wurde, ist – mit 31,7 Metern – jener für das längste Love-Mobile.

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