Montag, September 30

The Market durchleuchtet mit dem Momentum Screen die globalen Börsen nach den stärksten Aktien. Ihrem Aufwärtstrend zu folgen, kann sich lohnen. Passend dazu erscheint künftig alle zwei Wochen eine umfassende Tabellensammlung – jeweils dienstags.

«The trend is your friend»: Der Trend – gemeint ist natürlich der Aufwärtstrend – ist dein Freund, sagt eine Börsenweisheit. Das nicht ohne guten Grund, denn ein Aufwärtstrend setzt sich oft fort.

Blind sollte man einem solchen Trend aber nicht folgen. Beispiel: Commerzbank. Die Aktie des zweitgrössten deutschen Kreditinstituts hat zuletzt vor allem deshalb zugelegt, weil die italienische Grossbank Unicredit eingestiegen ist und der Markt auf eine komplette Übernahme spekuliert. Unicredit strebt einen Kauf an, die Bundesregierung, die Commerzbank-Führung und die Gewerkschaften halten dagegen, was allerdings wegen der am Markt verfügbaren Aktien nicht einfach ist. Andererseits gilt es als riskant, ein stark reguliertes und vom guten Willen der Politik abhängiges Geschäft wie eine systemrelevante Grossbank ohne den Zuspruch der Regierung zu kaufen. Sollte Unicredit-Chef Andrea Orcel mit seinem Übernahmeversuch scheitern, könnte rasch viel Luft aus dem Commerzbank-Kurs entweichen.

Aussichtsreiche Geschäftsmodelle mit Kursauftrieb

Deutlich berechenbarer wirken die Aussichten von Vonovia. Der grösste europäische Wohnimmobilienkonzern hat die Talsohle durchschritten und profitiert nun von sinkenden Zinsen. Die Wohnungsnot sorgt zudem für steigende Mieten.

Vonovia steht weit oben im Momentum Screen von The Market, genau wie die folgenden Unternehmen:

  • Rückenwind durch die operative Performance erhält derzeit ebenfalls die Aktie der Deutschen Telekom. Der ehemalige Staatskonzern profitiert vom gut laufenden Geschäft seiner Tochter in den USA und erwirtschaftet nur noch rund 20% des Konzernumsatzes im Heimmarkt. Er fiel bereits in der Qualitätsaktienanalyse von The Market Ende Juli positiv auf. Als eines von nur sieben deutschen Unternehmen im Stoxx 600 schaffte die Telekom die Auswahlkriterien. Auch im Momentum Screen zählt die Deutsche Telekom zu den stärksten Werten im Dax und im Euro Stoxx 50.
  • Zu den Lieblingen an der Börse gehören derzeit weniger konjunktursensible Sektoren, darunter Pharmatitel wie Novartis. Das Basler Unternehmen übertrifft seit einigen Quartalen regelmässig die Markterwartungen, der freie Cashflow wuchs zuletzt kräftig, und die langfristigen Ziele (darunter eine Kernbetriebsgewinnmarge von mindestens 40% bis 2027) scheinen realistischer denn je. Bleibt nur die Befürchtung, die guten Nachrichten seien schon komplett eingepreist und es könne wenig Raum für positive Überraschungen geben. Denn die Aktie ist im historischen Vergleich kein absolutes Schnäppchen mehr. The Market hält die Novartis-Aktie aber dennoch für attraktiv.
  • Ähnliches gilt für den Aromen- und Dufthersteller Givaudan, der aufgrund seines robusten Geschäftsgangs traditionell mit einem Aufschlag gehandelt wird. Zuletzt konnte das Unternehmen aus Vernier die bereinigte operative Marge auf Stufe Ebitda auf 24,8% steigern. In Deutschland erscheint der Wettbewerber Symrise aussichtsreich.

Im The Market Momentum Screen für den deutschen Leitindex Dax und den Swiss Leader Index tauchen die genannten fünf Titel (Commerzbank, Vonovia, Deutsche Telekom, Novartis und Givaudan) ganz weit oben auf. Die Tabellensammlung erscheint von nun an alle zwei Wochen – jeweils am Dienstag. Darin sind die Mitglieder in wichtigen Indizes wie dem Dax und dem SLI nicht alphabetisch, sondern nach der Relativen Stärke sortiert – und das aus gutem Grund.

«Relative Stärke ist die einzige unter den vielen angewandten Methoden, die auf Dauer eine dem Markt überlegene Performance einbringt», urteilt Bestsellerautor James P. O’Shaughnessy, der für diese Erkenntnis ein Backtesting über einen Zeitraum von 50 Jahren durchgeführt hat. «Sie muss aber immer mit anderen Faktoren abgeglichen werden, um ihr hohes Risiko abzufedern», schreibt er in seinem Buch «What Works on Wall Street».

Relative Stärke ist nicht gleich relative Stärke

Börsenveteran O’Shaughnessy beruft sich auf die relative Stärke nach Robert A. Levy (RSL). Der Ökonom gehörte zu den ersten Statistikern, die Anlagestrategien anhand von Daten per Computer testeten. 1968 veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Untersuchung unter dem Titel «Relative Strength Concept of Common Stock Price Forecasting». Levy verglich den Kurs einer Aktie mit ihrem Durchschnittskurs der vergangenen 26 Wochen. Er betrachtete also ein halbes Jahr, was rund 130 Handelstagen entspricht. Aktien, deren aktueller Kurs deutlich über dem Mittelwert liegt, haben eine relative Stärke. Mit anderen Worten: Sie befinden sich in einem intakten Aufwärtstrend, besitzen also Momentum und versprechen weiter steigende Kurse.

Relative Stärke nach Levy (RSL) =
Aktueller Aktienkurs / 26-Wochen-Durchschnittskurs x 100

Unterscheiden muss man die Variante von Levy von der relativen Stärke, wie sie etwa der im vergangenen Jahr verstorbene William O’Neil berechnet hat. Der Börsenhändler wurde durch seine CAN-SLIM-Strategie bekannt, bei der er menschliche Urteilskraft und quantitative Analyse vermischte, sowie durch seinen Bestseller «How To Make Money In Stocks». Bei seinem Verfahren wird die Kursentwicklung einer Aktie über die vergangenen 52 Wochen mit der Entwicklung des Marktes verglichen. Eine relative Stärke gemäss dieser Definition von zum Beispiel 80 bedeutet, dass die Aktie 80% aller Titel hinsichtlich ihrer Wertentwicklung übertroffen hat. Eine RSL von mehr als 100 würde hingegen heissen, dass die Aktie besser als in ihrem Mittel notiert. Gute RSL-Werte beginnen bei über 105 bis 110 (also 5 oder 10% über dem Durchschnittskurs) oder liegen über dem Durchschnittswert für den Gesamtmarkt.

Eine andere Methode basiert darauf, den Kursanstieg über sechs und über zwölf Monate als Kriterium heranzuziehen, wie dies beispielsweise die frühere Fondsmanagerin der DWS, Susan Levermann, praktiziert und in ihrem Bestseller «Der entspannte Weg zum Reichtum» erklärt. Diese Methode kennen Sie bereits aus den regelmässigen Analysen von The Market.

Nicht zu verwechseln sind die oben genannten Varianten mit dem Relative-Stärke-Index, kurz RSI. Der oszillierende Indikator, erfunden von J. Welles Wilder, Jr., setzt die Auf- und Abwärtsbewegungen einer Aktie in einem Zeitraum von vierzehn Tagen in Relation zueinander. Die Indexwerte können von 0 bis 100% schwanken. Bei einem RSI von mehr als 70% redet man von «überkauft», also von allzu hohen Preisen, und bei unter 30% von «überverkauft», also von günstigen Kursen.

Auf die Bewertung kommt es auch an

Doch zurück zu Levy und O’Shaughnessy und den Risiken, die es abzufedern gilt: Einem Trend zu folgen bedeutet, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Dieser sollte aber gerade erst losgerollt und nicht schon kurz vor der Endstation sein, um beim Bild zu bleiben. Eine gut gelaufene Aktie sollte also immer noch vergleichsweise günstig bewertet sein. So sprechen ein niedriges Kurs-Umsatz-, Kurs-Buchwert- oder Kurs-Cashflow-Verhältnis für einen Kauf, weshalb diese Kennzahlen ebenfalls im Momentum Screen von The Market zu finden sind. Ein 52-Wochen-Hoch kann ein zusätzliches Kaufsignal sein, während ein 52-Wochen-Tief oder das Unterschreiten des 200-Tage-Durchschnitts negativ zu bewerten sind. Schliesslich setzt sich auch ein Abwärtstrend häufig fort.

Vorsicht ist ausserdem angebracht, wenn der gesamte Markt schwächelt. Dann sind starke Aktien Mangelware. Noch dazu zeigt sich in dem Fall ein weiterer, nachteiliger Effekt: Gerade Siegeraktien werden in solch einem Umfeld oft zuerst verkauft, wenn Anleger die Barquote erhöhen und das Risiko im Portfolio reduzieren. Wie die Behavioral Finance zeigt, gestehen Anleger nur ungern einen Verlust ein und trennen sich daher nicht zuerst von ihren Verlustbringern. Aus diesen Gründen gilt es bei der Betrachtung der relativen Stärke auch den Gesamtmarkt im Auge zu behalten, etwa mit dem The Market Risk Barometer, das aktuell mit 65 Punkten zu Vorsicht rät. Es kann zudem durchaus sinnvoll sein, nach den Siegeraktien vor allem in den Siegerindizes zu suchen, also in den Indizes mit einer hohen relativen Stärke.

Man könnte die Tabellen des The Market Momentum Screens auch so verstehen: Am oberen Ende sind Aktien versammelt, die womöglich interessante Einstiegskandidaten sein könnten, wenn auch ihre Bewertung attraktiv ist. Am unteren Ende stehen die Titel, die es eher zu meiden gilt oder bei denen der Ausstieg sinnvoll sein könnte. The Market achtet immer wieder auf diese Tabellen und wird die Veränderungen für Sie einordnen.

O’Shaughnessy gibt Anlegern den folgenden Rat: «Wenn Sie sich finanziell nicht ruinieren wollen, dann Finger weg von Aktien, die im Vorjahr hohe Kursverluste hinnehmen mussten. Kaufen Sie Aktien mit der höchsten relativen Stärke; bedenken Sie dabei aber, dass die Volatilität dieser Papiere hohe Anforderungen an Ihre emotionale Belastbarkeit stellen wird.»

Oder, um es mit den Worten des Journalisten und Schriftstellers Damon Runyon zusagen: «Vielleicht machen die Schnellsten nicht immer das Rennen, und vielleicht gewinnen die Stärksten nicht jeden Kampf – aber wetten würde ich trotzdem darauf.»


Über diesen Link gelangen Sie zum Dokument mit sämtlichen Tabellen.

Haben Sie Anregungen zum Momentum Screen? Vermissen Sie eine Tabelle? Dann schreiben Sie uns: ulrich.hanke@themarket.ch.

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