AfD, das Rassemblement national und die Fratelli d’Italia triumphieren bei den Wahlen. Ob ihre Konzepte zur Eindämmung der Einwanderung funktionieren, ist allerdings fraglich.

Manchmal ändern sich die Vorzeichen in kurzer Zeit: 2015 gewann der Front national, der sich drei Jahre später in Rassemblement national (RN) umtaufte, die französischen Regionalwahlen. Die Vorsitzende Marine Le Pen erhielt Gratulationen aus allen Ecken – nur nicht von Frauke Petry. Die damalige Chefin der AfD und die restliche Führungsriege wollten nicht mit einem Namen in Verbindung gebracht werden, der vor allem wegen Marine Le Pens Vater, Jean-Marie Le Pen, mit Rassismus und Antisemitismus konnotiert war.

Neun Jahre später ist es genau umgekehrt: Nun ist es das Rassemblement national, das die AfD als nicht salonfähig einstuft. Schon nach dem dubiosen «Geheimtreffen» in Potsdam, bei dem letzten November auch AfD-Vertreter über die Vertreibung von Migranten diskutiert haben sollen, ging Le Pen auf Distanz zur deutschen Rechtsaussenpartei. Nach der SS-Verharmlosung des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zog sie definitiv die Reissleine. Sie kündigte die gemeinsame Fraktion im Europaparlament auf und stellte mit Blick auf die Wahlen in Frankreich in Aussicht, in der kommenden Legislatur neue Alliierte zu haben.

Die Stimmung zwischen den beiden Parteien ist heute auf dem Nullpunkt. Denn es gibt auch Differenzen rund um ein Kernthema – den Umgang mit Zuwanderung und Asyl. Wie unterscheiden sich die Konzepte für die Migrationspolitik zwischen den Rechtsaussenparteien?

Die AfD ist am radikalsten

In den drei grossen EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Italien haben bei der Europawahl Parteien am rechten Rand stark zugelegt. Die AfD erreichte einen Wähleranteil von fast 16 Prozent, die Fratelli d’Italia erreichten 28 Prozent und das Rassemblement national gar 31 Prozent. Alle stehen sie für eine grundsätzlich restriktivere Ausländerpolitik – und wie Umfragen zeigen, gehört das Thema bei den Bürgern vieler Länder zu den drängendsten Problemen.

Vergleicht man die Parteiprogramme, Voten und Verlautbarungen der drei grossen Rechtsaussenparteien, sind mehr als nur Nuancen bei den Unterschieden festzustellen. Bei der AfD schlägt das Pendel am meisten aus. Sie präsentiert die radikalsten – und ausführlichsten – Vorschläge, um die «Identität der Nationen» zu bewahren, wie sie es nennt.

Die Partei will das europäische Asylsystem, das Mindeststandards für Verfahren, Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden festlegt, aus den europäischen Verträgen streichen. Bewerber sollen dank «striktem Grenzschutz» gar nicht erst auf deutschen Boden gelangen – und wenn es ihnen doch gelingt, müsse ihr Verfahren in einem aussereuropäischen Drittstaat durchgeführt werden («Rwanda-Modell»). NGO, die auf hoher See Migranten retten, sollen wegen «schwerer Straftaten» verfolgt werden.

Die AfD scheut auch nicht davor zurück, die «Remigration» – Deutschlands Unwort des Jahres 2023 – ins Programm für die Europawahl zu schreiben. Statt «Programme für die Umsiedlung nach Europa» durchzuführen, müsse das Gegenteil angestrebt werden – die konsequente Rückführung von Asylbewerbern in ihre Heimatstaaten, wenn immer möglich.

«Law and Order»

Auch das Rassemblement national, das bei der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen als stärkste Kraft hervorging, fordert eine härtere Gangart im französischen Asylwesen. Man müsse die Bevölkerung «vor der Migranten-Überschwemmung schützen». Von der Personenfreizügigkeit sollen nur noch europäische Staatsangehörige profitieren. Das geht weniger weit als die Forderung der AfD nach einem «dualen Grenzschutz», der neben der strikten Sicherung der Schengen-Aussengrenzen zusätzliche Kontrollen an den Landesgrenzen bedingen würde.

Auch das RN will Ausländer leichter ausweisen können. Dafür sollen «alle Ausnahmen abgeschafft werden», die sich der Massnahme aktuell widersetzen. Konkreter sind die Pläne jedoch nicht. Der Diskurs fokussiert in Frankreich weniger auf Abschiebungen als in Deutschland. Wichtiger ist die Betonung der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit.

Medizinische und sozialstaatliche Leistungen will das RN für irreguläre Migranten stark einschränken und vor allem den Zugang zum Asylsystem massiv erschweren. Asylanträge dürften nur noch in den französischen Botschaften und Konsulaten im Ausland eingereicht werden. Fabrice Leggeri, der frühere Frontex-Direktor, wirbt derzeit offensiv für dieses Projekt.

In der Opposition ist es bequemer

Ob das in der Praxis funktionieren kann, ist allerdings fraglich – viele Migranten würden sich davon nicht abschrecken lassen und weiterhin alles unternehmen, um nach Europa zu gelangen. Zumindest so lange, als Rückführungen wegen mangelhafter Kooperation der Herkunftsstaaten selten durchführbar sind.

Die Schweiz hat das Botschaftsasyl 2013 als letztes Land Europas abgeschafft, weil es das System stark belastete und verhältnismässig wenig Bewilligungen erteilt wurden. Eine Wiedereinführung ist seither nie wieder in Betracht gezogen worden. Und schliesslich ist schwer nachvollziehbar, wie die Personenfreizügigkeit nur für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe durchsetzbar ist, ohne die wirtschaftlichen Vorteile des unbürokratischen Grenzübertritts zu verlieren.

Kurz: Die Migrationskonzepte von AfD und RN stehen auf wackligen Beinen. Das muss sie vorderhand nicht weiter kümmern, agieren sie doch (noch) als Oppositionskraft und können vollmundige Versprechungen machen. Den Realitäts-Check müssen sie, wenn überhaupt, erst später bestehen.

Auffällig ist dabei, dass vom RN schon seit geraumer Zeit keine Extrempositionen mehr zu vernehmen sind. Marine Le Pen weiss: Ohne den Zuspruch auch von bürgerlichen Wählerinnen und Wählern ist der Regierungssitz nicht zu erobern. Anders als die Schweizer SVP nimmt sie dabei in Kauf, «rechts überholt» zu werden. So kommen in Frankreich die kompromisslosesten Positionen von Reconquête unter Éric Zemmour. Die Partei erhielt bei der Europawahl allerdings lediglich 5 Prozent der Stimmen und im ersten Durchgang der französischen Parlamentswahlen gar nur 0,8 Prozent.

Von der Realität eingeholt

Die Fratelli d’Italia sind punkto Regierungspraxis einen grossen Schritt weiter. Seit 2022 stellen sie zusammen mit der radikaleren Lega und der Forza Italia die Exekutive – und können so an ihren Taten gemessen werden. Denn auch in Italien wird die Migrationspolitik heiss diskutiert.

#BastaSbarchi («Schluss mit den Landungen») war der Hashtag, den Giorgia Meloni im Wahlkampf 2022 am Laufmeter verwendete. Die Fratelli-Chefin versprach, die Bootsmigration über das Mittelmeer rigoros zu unterbinden – und wurde, kaum an der Macht, von der Realität eingeholt. 2023 landeten fast doppelt so viele Migranten an Italiens Küsten wie im Jahr zuvor.

Allerdings schlug Meloni in den gut eineinhalb Amtsjahren durchaus migrationspolitische Pflöcke ein. NGO-Rettungsschiffe dürfen nur noch in bestimmten Häfen ankern – oftmals Hunderte Kilometer vom Ort der Rettungseinsätze entfernt. Mit dem kürzlich beschlossenen und von den G-7-Ländern gestützten «Piano Mattei» will Italien in einer ganzen Reihe von afrikanischen Staaten die Entwicklungszusammenarbeit ausbauen, um die Ursachen der Migrationsbewegungen zu bekämpfen.

Das spektakulärste Projekt Italiens ist der sogenannte Albanien-Deal: Von der Küstenwache aufgegriffene Migranten sollen in Empfangs- und Rückführungszentren in dem Balkanstaat gebracht werden, die bis zu 36 000 Personen jährlich aufnehmen können.

Der Startschuss ist für September geplant. Migrationsexperten zweifeln jedoch an der langfristigen Praktikabilität und der erwünschten Abschreckungswirkung. Auch dürfte das Abkommen noch die Gerichte beschäftigen. «Meine Prognose ist: Das System funktioniert ein paar Monate, und Meloni wird nicht zögern, es als Erfolg zu verkaufen. Danach werden die albanischen Lager voll sein und die Rückführungen nicht klappen. Den Preis bezahlen dann die anderen EU-Länder», sagt Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Migrationspakt ist schon überholt

Die Schwierigkeiten Italiens bei der Bekämpfung von illegalen Einreisen zeigen: Eine Migrationspolitik kann noch so forsch sein – die Umsetzung übersteigt die Einflussmöglichkeiten eines einzelnen Landes bei weitem. Zudem setzen völkerrechtliche Verträge und Gerichtsurteile juristische Schranken. Anders als in der Schweiz wird eine Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Deutschland, Frankreich und Italien kaum diskutiert. Rom fällt freilich durch eine besonders hohe Anzahl von nicht umgesetzten EMRK-Urteilen auf.

Gerade weil Zuwanderungspolitik nur im Verbund Wirkung erzielen kann, hat sich die EU im Dezember nach jahrelangem Seilziehen zu einer umfassenden Asylreform durchgerungen, welche die Regeln für irregulär Eingewanderte massiv verschärft. Die Verfahren sollen beschleunigt und die Ausschaffungen intensiviert werden.

Mehr als die Hälfte der EU-Staaten preschte aber vor, kaum war die Tinte des Vertragswerks trocken. Im Mai versammelten sich in Kopenhagen 15 Innenminister, um in einem gemeinsamen Brief Forderungen aufzustellen, die über die Beschlüsse des Migrationspakts hinausgehen. So wollen sie etwa, ähnlich wie beim Albanien-Deal, Migranten in sichere Drittländer abschieben können.

Die meisten Unterschriften kommen von osteuropäischen Staaten, mit Italien figuriert vorderhand lediglich ein EU-Schwergewicht auf der Liste. Doch das kann sich in Kürze ändern – sobald die französischen Urnen endgültig geschlossen sind.

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