Donnerstag, Februar 6

Der Freiburger prägte das Eishockey mit innovativen Ideen, beging aber auch zahlreiche Fehltritte. Am Donnerstag feiert Fasel seinen 75. Geburtstag.

Die kurze Agenturmeldung erschien im Frühjahr 1990 unter dem Titel «Fasels Schnapsidee». Zu jener Zeit lief in Bern und Freiburg die Eishockey-Weltmeisterschaft der A-Gruppe, die damals noch acht Teams umfasste. Nach einer Round Robin teilte sich das Teilnehmerfeld jeweils in zwei Gruppen. An einem Tag spielten die Teams auf den Plätzen 1 bis 4 um die Medaillen, am anderen jene auf den Plätzen 5 bis 8 gegen den Abstieg.

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Weil die Schweizer Nationalmannschaft im Jahr zuvor den angestrebten Aufstieg verpasst hatte, waren die Partien der Relegationsrunde mit den USA, Finnland, der damaligen Bundesrepublik Deutschland und Norwegen ein Ladenhüter. René Fasel, damals noch Präsident des Schweizerischen Eishockeyverbandes, kam deshalb auf die Idee, Tickets für die attraktive Medaillenrunde nur in Verbindung mit solchen der Relegationsspiele zu verkaufen.

Ein junger Agenturjournalist machte seinem Unmut über das, was er als Nötigung des Publikums empfand, in einer Meldung Luft, die in der Lokalzeitung prompt abgedruckt wurde. Ein enger Mitarbeiter Fasels umrandete sie mit Leuchtstift und schob sie dem Präsidenten frühmorgens unter der Türe des Hotelzimmers durch.

Erfasst vom heiligen Zorn, tauchte Fasel Stunden später im Medienzentrum in der Zivilschutzanlage unter der Berner Allmend-Arena auf. «Wer zum Teufel ist dieser Schreiberling? Und wo sitzt er?», verlangte er zu wissen. Minutenlang geigte er dem Jungjournalisten die Meinung, erklärte ihm in breitem Freiburgerdialekt, wie schwierig es sei, eine Eishockey-WM ohne Schweizer Beteiligung zu vermarkten. Und überhaupt: Der Journalist sei ein Ahnungsloser. Die Predigt spickte er mit Kraftausdrücken, die zu zitieren der Anstand verbietet. Am Ende streckte er die rechte Hand aus und sagte: «Übrigens, i bi dr René.»

René Fasel ist innovativ, impulsiv und schlau

Nichts charakterisiert René Fasel treffender als jene Episode vor 35 Jahren. Der ehemalige Zahnarzt und Spitzenschiedsrichter ist ein Getriebener. Verfällt er einer Idee, dann verfolgt und verteidigt er diese durch alle Böden. Gelegentlich schiesst er dabei übers Ziel hinaus – und wird mit Kritik eingedeckt. Doch beirren lässt er sich davon nur selten. Fasel steckt ein, und Fasel teilt aus. Und letztlich reicht er seinen Kontrahenten die Hand zur Versöhnung.

René Fasel ist vieles: Er ist innovativ, impulsiv, wortgewandt und bauernschlau. Was er hingegen sicher nicht ist: nachtragend. In einer Mischung aus welschem Charme und Kumpanei versteht er es, die Menschen in seinem Umfeld innert kürzester Zeit für sich einzunehmen. Er lebt nach dem Motto: «Macht hat, wer sie nicht braucht.» Stösst er mit dieser Überzeugung allerdings an Grenzen, kann er laut und unangenehm werden. Doch vor allem anderen ist er ein kleiner Mann mit einem grossen Herzen.

Auf diese Weise hat er es vom mässig talentierten Spieler aus dem Nachwuchs des HC Fribourg-Gottéron zuerst zum Nationalliga-Schiedsrichter, dann zum Präsidenten von Swiss Ice Hockey und schliesslich zum mächtigsten Mann im internationalen Eishockeyverband (IIHF) gebracht. In der Funktion als IIHF-Präsident sass er während fast dreier Jahrzehnte auch im Internationalen Olympischen Komitee (IOK) und wurde auch dort zu einer Schlüsselfigur. Als es um die Nachfolge des Belgiers Jacques Rogge ging, wurde Fasel vorübergehend sogar als möglicher Präsident gehandelt. Doch ihm fehlten die nötigen Verbindungen, die dem Deutschen Thomas Bach zur Wahl verhalfen.

Fasel ist ein begnadeter Strippenzieher und Brückenbauer. Mit Charme und Beharrlichkeit rang er der mächtigen National Hockey League (NHL) bereits 1997 das Versprechen ab, die Saison für das Olympiaturnier von Nagano zu unterbrechen. Er handelte mit der nordamerikanischen Liga ein Transferabkommen für die europäischen Verbände aus, das besser war als jenes des für die NHL ungleich wichtigeren kanadischen Verbandes. Die Teilnahme eines gemeinsamen Frauenteams der beiden Korea an den Winterspielen 2018 in Pyeongchang war ein grosser diplomatischer Erfolg von Fasel – auch wenn der Auftritt eine Fussnote in der olympischen Geschichte bleiben wird.

Das «Wall Street Journal» bezeichnete Fasel in einem Porträt einst als «the fast moving Napoleon on ice hockey»: der rasende Napoleon des Eishockeys. Der Autor des Artikels verlieh seiner Bewunderung für den Mann Ausdruck, der den selbstherrlichen NHL-Commissioner Gary Bettman in die Knie gezwungen hatte. Der Vergleich mit dem kleingewachsenen französischen Feldherrn war Fasel weder neu noch lästig. Er sagte damals: «Die richtigen Leute um sich herum zu haben, war immer schon wichtig. Napoleon hat sein Desaster bei Waterloo nur deshalb erlitten, weil er sich mit den falschen Generälen umgeben hat.»

Die falschen Generäle? Und Fasel pflegt die richtigen Verbindungen? Sein Wirken im Eishockey und in der internationalen Sportpolitik ist gesäumt von zahlreichen Fehltritten. Den grössten und wohl nachhaltigsten beging er im Januar 2021, als er versuchte, die Weltmeisterschaft in Weissrussland zu retten, und dabei in Minsk buchstäblich in die offenen Arme des Despoten Alexander Lukaschenko lief. Das Bild der Umarmung ging um die Welt und löste grosse Empörung aus.

René Fasel ist ein Freund und Anhänger alles Russischen. Er liebt die Musik und die Kultur dieses Landes ebenso wie das Eishockeyspiel. Fasel hat das nie verhehlt und steht auch heute noch dazu. Obwohl Wladimir Putin und sein Land seit mittlerweile bald drei Jahren einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führen.

Im Herbst 2021 ist Fasel nach 27 Jahren als Präsident des internationalen Eishockeyverbands zurückgetreten. Vielleicht war das sein Glück. Denn mit seiner Haltung wäre er nach der russischen Invasion im Nachbarland kaum mehr haltbar gewesen. Insbesondere für die Finnen und Schweden war er schon länger ein Ärgernis. Und sie sind es nun auch, die die Rückkehr der russischen Spieler an die Weltmeisterschaft verhindern. Solange Putin seinen Angriffskrieg in der Ukraine weiterführt, dürfte sich die Haltung der beiden Länder nicht ändern.

Fasel hat damit nur noch am Rande zu tun. Noch ist er Ehrenpräsident der IIHF. Doch als er im vergangenen Frühjahr an den Kongress am Rande der WM in Prag reisen wollte, liess man ihn wissen, dass er dort unwillkommen und eine Persona non grata sei.

Vor einer Woche meldet sich Fasel telefonisch aus Moskau. Er berät mittlerweile die Kontinental Hockey League (KHL) und die russischen Schiedsrichter. Seit seinem Rücktritt als Präsident der IIHF besitzt er neben der Schweizer auch die russische Staatsbürgerschaft – was ihn wiederum grosser Kritik aussetzte. Im Gespräch bezeichnet er sich selbst als «toxische Person», weil er sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht deutlich von Wladimir Putin und dessen politischem Kurs distanzierte.

Fasel sagt: «Wahrscheinlich bin ich ein naiver Idealist. Aber ich glaube an die Kraft des Sports und dass er helfen kann, sich gegenseitig besser zu verstehen. Ich sehe vier Bereiche, die Einfluss auf die internationale Beziehung haben und einander ergänzen müssen: der Sport, die Kultur, die Wissenschaft und natürlich das Geschäft. Doch ich bin auch Mediziner, und aus diesen Erfahrungen weiss ich, man muss den Menschen auch zuhören. Sonst ist es unmöglich, sich gegenseitig zu verstehen.»

Da ist er wieder, dieser fast schon starrsinnige Idealismus. Fasel hat all die Proteststürme, die über ihn hereinbrachen, ausgesessen und letztlich überstanden. Er steht weiterhin zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin, den er als «meinen Freund» bezeichnet.

Seine Familie stärkte Fasel stets den Rücken. Wenn sich wieder einmal ein Sturm über ihm zusammenbraute, sagten ihm seine drei mittlerweile erwachsenen Kinder jeweils: «So, Dad, jetzt musst du dich wieder einmal drei Tage lang verstecken.» Fasel gibt zu: «Meine Kinder verstehen mich in gewissen Punkten nicht und sagen mir das zuweilen auch deutlich. Doch unser Familienmotto war immer: Zäme ha.»

Fasel war nie ein Diplomat. Er tat und tut stets, was er für richtig hält. Oft leitet ihn dabei nicht der gesunde Menschenverstand, sondern sein Bauchgefühl. Legendär ist die Episode aus seiner Zeit als Präsident des Schweizerischen Eishockeyverbands: Als das Nationalteam unter dem mittlerweile verstorbenen Coach Simon Schenk im Jahr 1990 schlecht in die B-WM in Megève gestartet war, setzte sich Fasel in Freiburg in seinen Wagen und machte sich auf den Weg nach Savoyen, um Schenk umgehend zu entlassen. Peter Bossert, damals der Technische Direktor im Verband, fing den Wüterich vor der Eishalle ab und stimmte ihn in einem langen Gespräch um. Letztlich stiegen die Schweizer mit Schenk an der Bande auf. Der «Tages-Anzeiger» titelte: «Ein Geschenk nach viel Gefasel».

Mit seiner zuweilen unberechenbaren Art machte Fasel seinem Umfeld das Leben oft schwer. Sein langjähriger Kommunikationschef Kimmo Leinonen, der als leutseliger TV-Moderator in Finnland landesweit populär war, pflegte den Tag mit dem Präsidenten jeweils bei einem frühmorgendlichen Sauna-Gang zu besprechen. Er erzählte einst, oft habe er bei diesen Besprechungen den ersten Schweissausbruch noch vor dem ersten Aufguss gehabt.

Fasel hatte keine Angst, sich mit kompetenteren Leuten zu umgeben

Vor vier Jahren, nach seinem Rücktritt als IIHF-Präsident, sagte Fasel der NZZ: «Ich bin überzeugt von meinen Stärken, kenne aber auch die Schwächen. Ich hatte nie Angst, mich mit Menschen zu umgeben, die möglicherweise kompetenter waren, als ich es bin. Das macht die Arbeit in einem erfolgreichen Team aus. Wichtig war für mich einzig, den Kontakt zur Basis nie aus den Augen zu verlieren und den Puck im Blick zu behalten. Denn um ihn geht es mir letztlich.»

Heute spricht Fasel nur noch selten mit den Medien. Er lebt am Zürichsee und hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Und hält sich noch immer regelmässig in Russland auf. Es ist eine Rückkehr zu seinen Anfängen als Referee, aber auch in das Land, das ihm eine zweite Heimat geworden ist. Die Nähe zu Russland hat seine Funktionärskarriere befeuert, wilde Spekulationen umrankten seinen Aufstieg im Welt-Eishockey. Doch wirklich hängengeblieben ist nie etwas am kleinen, umtriebigen Freiburger.

Fasel blickt auf eine Karriere als Sportfunktionär zurück, in der er vieles erreicht hat. Die eine oder andere Verfehlung würde er aber wohl nur allzu gerne ungeschehen machen, auch wenn Fasel das öffentlich nicht so sagt. Etwa jene fatale Umarmung mit Lukaschenko, die einen Shitstorm auslöste, der bis heute nachhallt. «Ich habe damals zusammen mit meinem Generalsekretär etwas versucht, das in die Hosen gegangen ist», sagt er heute dazu. Am 6. Februar feiert René Fasel seinen 75. Geburtstag.

René Fasel about the IIHF's mission

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