Sonntag, Oktober 20

Der UBS Kids Cup hat der Schweizer Leichtathletik neues Leben eingehaucht und rund hundert internationale Medaillen gebracht. Nun wird das Format nach Asien exportiert – allerdings mit anderer Zielsetzung.

Rennen, Springen, Werfen – das sind einfache Dinge, die unserem natürlichen Bewegungsdrang entsprechen. Und die in der modernen Welt leicht vergessengehen. In der Schweiz wurde man sich dessen bewusst, als vor gut zehn Jahren die Leichtathletik am Boden lag. 2011 wurde von Swiss Athletics und Weltklasse Zürich der UBS Kids Cup lanciert, ein Wettkampf für Kinder zwischen 7 und 15 Jahren.

Das Konzept ist simpel: 60 Meter sprinten, einen 200 Gramm schweren Ball werfen, in die Weitsprunggrube hüpfen. Für jede Leistung gibt es Punkte, und die werden am Ende addiert. Damit gelang es tatsächlich, die Kinder in Massen zu mobilisieren. 2023 wurde die Zahl von 1,5 Millionen Teilnahmen überschritten, jedes Jahr kommen über 150 000 Starts dazu. Die Veranstaltung ist zu einer Art Pulsader geworden, über die der Schweizer Leichtathletik zuverlässig frisches Blut zufliesst.

Inzwischen spricht man von der Generation Kids Cup, die auf diversen Altersstufen bereits rund hundert internationale Medaillen gesammelt hat. Ihre prominentesten Vertreter bei den Aktiven sind Angelica Moser, Ditaji Kambundji und Simon Ehammer, die alle an den EM 2024 auf dem Podest standen.

Das sind beeindruckende Zahlen und Erfolge. Sie haben vor zwei Jahren eine verrückte Idee reifen lassen. Daniel Schenker war früher selbst Leichtathlet, ist bei Weltklasse Zürich für die Infrastruktur zuständig und mit seiner Firma DS Powerparts häufig in Asien tätig. Er sagte sich: «Wenn es ein Land gibt, das so etwas braucht, ist es Indien.»

Kaum war die Idee geboren, wurde auch schon das Projekt angestossen. Es heisst Athletics Kids Cup. Weitere treibende Kraft neben Schenker ist Andreas Cueni, ebenfalls ehemaliger Leichtathlet und bis vor ein paar Jahren Medienchef bei Weltklasse Zürich. Im vergangenen Winter gab es in Mumbai zwölf Test-Events mit total 1200 Kindern. Nun wurde die erste Saison lanciert. Aber warum gerade Indien? In dem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern gibt es so gut wie keine Sportkultur. Zwar ist Cricket richtig gross, aber an den Schulen läuft der Sport im besten Fall nebenher. Für die Eltern zählen einzig die Leistungen in den Lernfächern, gute Noten sollen beim Start ins Erwerbsleben helfen. Sport ist kaum eine Option für den Weg in die Zukunft.

Das gilt auch für die unzähligen Kinder aus unterprivilegierten Familien. Viele von ihnen besuchen zwar von NGO betriebene Schulen, doch für Sport gibt es dort weder Infrastruktur noch Übungsleiter. Ziel des Kids Cup ist deshalb nicht in erster Linie, künftige Medaillengewinner zu fördern, sondern Kindern zu Bewegung zu verhelfen. Versuchsweise wurde für die nun laufende Saison ein Trainer angestellt, der den Ärmsten der Armen die Grundlagen der Leichtathletik vermittelt.

Bewegung sei aus vielen Gründen wichtig, sagen die Initianten. In Indien steige das Bewusstsein dafür, dass mangelnde Aktivität zu gesundheitlichen Problemen führe. Eine Idee für die Zukunft ist, dass den am Kids Cup beteiligten Schulen auch fixfertige Turnlektionen zur Verfügung gestellt werden. Ziel müsse es sein, Sport in den Alltag zu integrieren. «Er hilft bei der Bewegungs-, Gesundheits- und Persönlichkeitsentwicklung», sagt Andreas Cueni.

Bei der Promotion des Athletics Kids Cup hilft einer der berühmtesten Sportler Indiens. Neeraj Chopra, der 2021 überraschend Olympiasieger im Speerwurf wurde, ist seit dieser Woche offizieller Botschafter der Wettkampfserie. In Indien wird er dank seinen Erfolgen gefeiert wie ein Bollywood-Star, der Rummel ist so gross, dass er sich kaum noch frei bewegen kann und sich deshalb meist im Ausland aufhält.

Daniel Schenker begegnete Chopra nach dem Erfolg in Tokio, er stellte den Kontakt zu Schweiz Tourismus her, seit 2022 ist Chopra Markenbotschafter der Organisation. Und seit 2023 kümmert sich das Schweizer EP Management um Chopras globale Geschäfte, auch hier war Schenker Türöffner. Der Inder trainiert häufig in Magglingen, wo er seine Ruhe hat.

Andreas Cueni sagt, man habe zu Beginn versucht, die Organisatoren von Weltklasse Zürich ins Boot zu holen, die den Kids Cup in der Schweiz durchführen. Doch Weltklasse hatte kein Interesse an der Organisation von Veranstaltungen im Ausland. Also nahmen die Enthusiasten das selbst in die Hand.

Veranstalter des Athletics Kids Cup in Indien ist nun Schenkers Firma, drei Personen sind in der Schweiz dafür tätig. Als Hauptsponsor wurde die UBS Indien gewonnen, wo sich hundert Leute gemeldet haben, um an den Schulen Werbung für die Wettkämpfe zu machen. Das lokale Büro ist bei den Striders, einer Organisation aus der indischen Laufszene.

Bei den Test-Events im letzten Winter zeigte sich, dass es in Indien Anpassungen braucht. Nicht alle Schulen verfügen über Sportplätze, die für die Leichtathletik geeignet sind. Manchmal muss ein geteerter Parkplatz als Sportstätte genutzt werden, wo zwischen Schulbussen gerannt, gehüpft und geworfen wird. Es wird auch erwogen, in armen Gegenden kurzzeitig eine Strasse zu sperren, damit die Kinder mitmachen können.

Meist fehlen Dinge, die in der Schweiz völlig selbstverständlich sind. Deshalb bekommt jede Schule, die mitmacht, eine Sporttasche mit allem, was es braucht, um einen Wettkampf durchzuführen: zwei Stoppuhren, ein 30 Meter langes und ein 100 Meter langes Messband, 200 Gramm schwere Wurfbälle, eine Startklappe. Ausserdem wird in einer Anleitung erklärt, wie man einen solchen Anlass durchführt.

Die Wettkämpfe mussten zudem wegen der oft fehlenden Infrastruktur leicht angepasst werden. So gibt es an vielen Orten keine Sandgrube für den Weitsprung. Dort kann stattdessen ein Dreifach-Laufsprung durchgeführt werden. Die Kinder rennen und springen dann dreimal hintereinander; gemessen wird vom ersten Absprung bis zur letzten Landung.

Ein Sprung aus dem Stand wäre zwar einfacher durchzuführen, aber die Organisatoren wollten möglichst nahe an der Bewegung des Weitsprungs sein – denn es geht ihnen bei ihrem Projekt auch um die Bewegungslehre. Um zu schauen, ob der Laufsprung funktioniert, und um eine Punktetabelle zu erarbeiten, wurde in der Schweiz ein Test mit fünfzig Kindern durchgeführt.

In der nun angelaufenen ersten Saison des Athletics Kids Cup liegt der Fokus auf der Millionenmetropole Mumbai. 1000 Schulen sollen dort teilnehmen, was bereits rund 100 000 Kindern entspräche. Dazu gibt es je 20 Events in zwei weiteren Städten. Klappt alles, wird der Kids Cup 2025 auch dort im grossen Stil implementiert. Und dann sollen weitere Städte folgen.

In Indien müsse man langsam wachsen, sagt der Initiator Schenker. Das habe einerseits mit den Dimensionen des Landes zu tun, andererseits gehe es auch darum, Vertrauen zu schaffen. «Oft wird in Indien ein Event gross inszeniert, danach aber wieder fallengelassen. Es fehlt an Nachhaltigkeit.» Das Ziel der Schweizer ist es, den Kids Cup zehn Jahre lang durchzuführen und ihn als fixe Grösse im Sportangebot zu etablieren.

Wie in der Schweiz qualifizieren sich die besten Schülerinnen und Schüler für Regionalfinals. Fünf davon werden in dieser Saison ausgetragen. Damit dort alle Kinder einen richtigen Weitsprung absolvieren können, muss an einem Ort extra eine Sprunggrube ausgehoben und mit Sand gefüllt werden. Der grosse Final findet dann in einem richtigen Leichtathletikstadion in Mumbai statt.

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