Ist das Ragù des Autors Richard Kägi das beste der Welt? Ja, findet er. Schliesslich setze er sich mit keinem Gericht intensiver auseinander.

Als Nasenmensch helfen mir Gerüche, Erinnerungen hellwach zu halten, sie bleiben dadurch immer abrufbar. Das früheste Ragù-bolognese-Andenken stammt aus der Kochschule, die ich damals mit meiner Primarschulklasse besuchte. Allerdings erinnere ich mich lieber an den Duft nach Heublumen-Shampoo (war damals das meistverkaufte) vom Kopf meiner Schulfreundin als an den des muffigen Kochtopfs mit der darin blubbernden Sauce.

Eine weitere unerfreuliche Erinnerung an das berühmte Rezept datiert aus den frühen neunziger Jahren und stammt von der anderen Seite der Welt. Ich war gerade für einen Studienaufenthalt in Brisbane angekommen. Meine Homestay-Familie (sie bestand aus einem ziemlich abgewrackten Typen mit drei halbwüchsigen Söhnen) holte mich am Flughafen ab, und unterwegs kauften wir im Supermarkt ein, für das Mittagessen. Ich versuchte anhand der allerlei schrecklichen Produkte, die im Korb landeten, herauszufinden, was die mir wohl vorsetzen wollten. Ich kam nicht darauf. Der Geruch aus der Küche später brachte mich schon halb ins Grab, und was dann vor mir im Teller landete, kippte ich in einem unbeobachteten Augenblick hinter mir zum Fenster hinaus. Die zwei alten Gäule, die hinter dem (ebenfalls abgewrackten) Haus herumstanden, rochen daran und galoppierten empört wiehernd davon.

Der Vater verriet mir dann, Bolognese sei das Einzige, was er kochen könne, und er koche sowieso auch erst, seit die Ehefrau ausgezogen sei. Von da weg übernahm ich für die restlichen sechs Monate das Zepter in der Küche.

Was ein Weltklasse-Ragù ausmacht

Nun, Australien ist auch weit weg vom gelobten Land, und erst in Italien selbst machte ich dann später Bekanntschaft mit dem Stoff, aus dem die (Ragù-)Träume sind. Das erste Mal in der Bologneser Trattoria da Me, einer einfachen Beiz. Die Tagliatelle al Ragù dort waren von einem anderen Stern, und das Restaurant ist – zusammen mit zwei, drei anderen Orten – für mich noch immer ein Massstab dafür, was mit wenigen Zutaten, dafür umso mehr Sorgfalt bei der Zubereitung möglich ist.

Der Koch, Beppe, ein eingewanderter Sizilianer, verriet mir sein Rezept natürlich nicht, er zählte nur auf, was er nicht darin verkochte. Nämlich Butter, Olivenöl, Wein, Milch, Kräuter, Knoblauch oder Bouillon, alles Zutaten, die immer wieder auch in renommierten Rezepten auftauchen. Natürlich experimentierte ich fortan auch ohne alle diese eigentlich typischen Zutaten, die Ergebnisse waren vielversprechend.

In den Monaten, die ich in der Küche der Trattoria Amerigo verbrachte, wurde mir klar, was ein Weltklasse-Ragù zu einem solchen macht: Zeit und Aufmerksamkeit. Sie sind wichtiger als Milch oder keine, Öl oder Butter oder beides oder gar kein Fett. Vom 3-Sterne-Koch Bottura lernte ich, dass es auch ohne Tomaten geht. Seine historische Interpretation eines Rezeptes, an dessen Entwicklung sich unzählige Generationen abarbeiteten, verzichtet auf sie, weil Tomaten erst im 16. Jahrhundert in Europa ankamen. Wer die geschmackliche Wucht seines aus Ochsenschwanz, Zunge, Brustfleisch und Backe der Kuh geschmorten Ragù bianco kennt, vermisst das bisschen Frucht und Farbe, das Tomaten beisteuern, keine Sekunde. Trotzdem, für mich gehören sie dazu, wenn auch in bescheidener Menge.

So wird das Ragù gekocht

Nun, mit meinem Rezept, das aus der Essenz nicht nur der oben beschriebenen Zubereitungen durch berühmte und weniger berühmte Köchinnen und Köche sowie gegessener Proben besteht, sondern auch Einflüsse von längst verstorbenen Buchautorinnen wie Hazan, Marchesi oder Kaltenbach enthält, komme ich der ursprünglichen Idee des Ragù bolognese so nahe wie kaum ein anderes Rezept. Nämlich das – wie in der Arme-Leute-Küche üblich – zu knappe Fleisch mit handwerklicher Findigkeit und Geduld sowie sorgfältig ausgewählten Zutaten in eine köstliche Sauce mit enorm gesteigertem Fleischgeschmack zu verwandeln, die umami schmeckt.

Die Basis ist Hackfleisch von durchwachsenen Stücken wie Brust, Schulter, Haxen, Nacken des Rindes. Ich dünste sehr klein geschnittene Pancetta an und im austretenden Fett Stangensellerie, Karotten, Zwiebeln, wenig Knollensellerie. Alles auf kleiner Hitze. Das dauert mindestens 15 Minuten. Auf einen Teller geben. Im selben Topf Butter schmelzen lassen, zerbröselte Salsicce und Gehacktes vom Schweinenacken (glücklich, wer die Hand an Schweinefleisch der Mora Romagnola, einer uralten, dunkelhäutigen Rasse, legen kann) andünsten. Danach erst das Rinderhack einrühren. Sobald es seine Farbe verloren hat, Tomatenmark ebenfalls mitbraten, bis es duftet.

Salzen, pfeffern und Gemüse wieder in den Topf geben. Passierte Tomaten dazurühren und etwa 30 Minuten zugedeckt köcheln lassen, erst dann Brühe dazu, umrühren und etwa 12 Stunden bei kleinster Hitze zugedeckt schmoren lassen. Dabei immer wieder umrühren, es soll nichts ansetzen. Bei Bedarf mehr Brühe zugeben. Zum Schluss etwas Milch dazu und noch einmal zwei Stunden ohne Deckel köcheln lassen. Erst jetzt bildet sich dieses fast pastöse Konzentrat aus Fett, Gemüse und Fleisch, das sich perfekt um die hoffentlich selbstgemachten Tagliatelle schmiegt.

Und bevor ich jetzt zur Zielscheibe all derer mutiere, die ihren Weg in den Ragù-Himmel für den einzig wahren halten: Probiert es aus.

Richard Kägi ist Autor und Foodscout, schreibt Kochbücher und Kolumnen. Seine Rezepte veröffentlicht er auf homemade.ch und richardkaegi.ch.

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