Die europäischen Aktienmärkte profitieren von den Ankündigungen massiver Investitionen in die Armeen der EU-Länder. Doch Aufrüstung braucht viel länger, als die Börse glaubt.
Seit Donald Trump die USA regiert, ist die Welt an den Kapitalmärkten eine andere. Die Dominanz der amerikanischen Börsen ist gebrochen, die von Trumps Handelspolitik verunsicherten Anleger leiten ihr Geld nach Europa um. Die Börsen in Deutschland, Frankreich und auch in der Schweiz erleben eine Renaissance, während die amerikanischen Börsen stagnieren. Eine lange verachtete Anlagekategorie stützt die neue Stärke der europäischen Märkte: Aktien von Rüstungsunternehmen.
Mit diesen früher als «sin stocks» (Sünden-Aktien) verschrienen Papieren wollten viele Investoren vor dem Ukraine-Krieg nichts zu tun haben. Doch seit Kriegsbeginn Anfang 2022 haben sich Papiere von Waffenherstellern in den Anlage-Mainstream vorgearbeitet. Mittlerweile sind sie die erfolgreichsten Aktien Europas: Was für Amerika Apple, Nvidia und Amazon, sind für Europa Rheinmetall, Leonardo oder BAE Systems.
Von den zwanzig besten Aktien seit Jahresbeginn im Stoxx-Europe-600-Index sind zehn Konzerne, die Rüstung als Kerngeschäft haben, zudem Zulieferer wie die französische Thales (IT) oder die schwedische SSAB (Spezialstahl). Rüstungsaktien übertrumpfen – wie schon im vergangenen Jahr – den breiten Markt deutlich.
Rheinmetall: Europas Rüstungs-Champion
Der Aufschwung hält seit der russischen Invasion an. Die offizielle Abkehr der USA als militärischer Schirmherr Europas unter Donald Trump hat für zusätzlichen Schub gesorgt. Das Investoreninteresse beschränkt sich dabei auf relativ wenig Unternehmen. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich der europäische Rüstungssektor konsolidiert.
Wegen dieser hohen Konzentration profitiert die deutsche Rheinmetall derzeit besonders. Heute gilt die deutsche Industriegruppe als europäischer Rüstungs-Champion. In den Vorjahren hat Rheinmetall etliche Rüstungsfirmen gekauft, etwa den Schweizer Flugabwehr-Spezialisten Oerlikon Air Defence 2009. So weitete Rheinmetall das Angebot an Panzern, Fahrzeugen, Artillerie, Lenkwaffen und elektronischen Komponenten immer mehr aus.
Kein anderes Rüstungsunternehmen ist zudem so eng mit dem Ukraine-Krieg verbunden. Herkömmliche Waffen machen rund 30 Prozent des Geschäfts aus. Dabei profitiert Rheinmetall vor allem vom Verkauf von Kanonen und Artilleriemunition, dem profitabelsten Geschäftsbereich. Die Produktionskapazitäten werden derzeit stark ausgebaut. Gegenwärtig kann Rheinmetall jährlich 750 000 grosskalibrige 155-Millimeter-Granaten herstellen, das ist mehr, als die USA produzieren können.
Die Dominanz als «pure player» im Rüstungsbereich spiegelt sich im Aktienkurs. Seit Anfang Jahr haben die Aktien 114 Prozent zugelegt, während der Stoxx-Europe-600-Index rund 8 Prozent stieg. Rheinmetall, das italienische Konglomerat Leonardo oder die französischen Thales oder Dassault Aviation sind nicht die Einzigen, die von der Aufrüstung profitieren. Auch Aktien spezialisierter Anbieter wie Hensoldt (Sensorik) und Renk (Panzergetriebe) oder Konzerne wie Airbus, Rolls-Royce oder MTU Aero Engines (Flugzeugtriebwerke), für die Rüstung ein Nebengeschäft ist, gewinnen ebenfalls.
Doch ist der Rüstungs-Boom an den Börsen ein kurzfristiges Phänomen oder ein langfristiger Trend? Gemäss der Ökonomin Aneeka Gupta vom Vermögensverwalter Wisdom Tree tritt der europäische Verteidigungssektor «in eine neue Ära der Investitionen und der strategischen Autonomie ein». Die Anlageexperten von JP Morgan gehen von einem neuen Investitionszyklus von mindestens zehn Jahren aus. Europa müsse einen Rückstand von dreissig Jahren aufholen, in denen zu wenig investiert worden sei.
Aufrüstung braucht Zeit
Die Ankündigungen, die von der EU und vielen EU-Ländern kommen, stützen eine solche Sicht. Gemäss dem Positionspapier «ReArm Europe», das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellt hat, sollen 800 Milliarden Euro bis 2030 bei den Mitgliedstaaten mobilisiert werden. Auch der fiskalische Spielraum soll um 650 Milliarden Euro vergrössert werden, damit mehr Mittel in die Verteidigung fliessen können. Allein Deutschland will aus Sondervermögen 200 Milliarden ins Militär stecken, 30 Nato-Länder wollen ihre Verteidigungsausgaben erhöhen.
Dass europäische Waffenkonzerne von diesem Geldsegen profitieren, ist naheliegend. Gemäss Gupta steht der Auftragsbestand europäischer Rüstungsfirmen auf nie gesehenen Niveaus und dürfte weiterwachsen. Dabei sollen gemäss Verteidigungsstrategie der EU (European Defence Industrial Strategy) bis 2030 mehr als die Hälfte der Beschaffungsbudgets in der EU ausgegeben werden. Derzeit bezieht Europa den Grossteil seiner Waffen aus den USA und ist auch für Training und Wartung weiterhin stark von US-Anbietern abhängig.
Doch die Börsen nehmen eine Aufrüstung vorweg, die noch gar nicht stattfindet. Gemäss Aliki Rouffiac, Portfoliomanagerin beim Vermögensverwalter Robeco, wird es einige Zeit dauern, bis die staatlichen Mittel zur Verfügung stehen; und noch länger, bis die europäische Rüstungsindustrie umgerüstet hat und mit der Qualität der heute auf dem Markt befindlichen Produkte mithalten kann.
Von der Ankündigung bis zur Investition könne viel Zeit verstreichen, es gebe viele Hürden, sagt Joseph Verbovszky, Militärforscher an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Er gibt zu bedenken, dass in Deutschland der Bundestag jedem Rüstungsprojekt über 25 Millionen Euro zustimmen müsse, was alles verzögern könne.
Auch kommt nicht jeder gesprochene Euro bei der Truppe an. So sei das 100-Milliarden-«Sondervermögen» von 2022 wegen Zinskosten und Inflation geringer ausgefallen als geplant. Das könne wieder passieren, wenn das beschlossene Geld nicht rechtzeitig ausgegeben werde. Schnell kann es gemäss Verbovszky hingehen gehen, wenn es um das Schliessen bekannter «Fähigkeitslücken» geht. Das sind bereits geplante Beschaffungen, die auf genehmigte Mittel warten mussten.
UBS: Waffen sind jetzt nachhaltig
Für den Militärexperten ist es aber ein positives Zeichen für die Branche, wenn Banken und private Investoren in Rüstungsunternehmen investieren oder Kredite für Rüstungskäufe vergeben. Bisher hätten Sorgen um zusätzliche Regeln etwa bei der Nachhaltigkeit, Exportrestriktionen und mögliche Reputationsschäden das Interesse der Finanzbranche eingeschränkt.
Doch es findet ein Umdenken statt. So bestätigt die UBS auf Anfrage, dass sie ihre Anlagerichtlinien in diesem Monat geändert hat. Neu werden Aktien von Unternehmen, die konventionelle Waffen herstellen, nicht mehr aus nachhaltigen Fonds ausgeschlossen. Von umstrittenen Waffen nimmt die Grossbank aber weiterhin Abstand, so investiert die UBS nicht in Unternehmen, die mit Streumunition, Antipersonenminen oder chemischen und biologischen Waffen zu tun haben.
Auch der niederländische Vermögensverwalter Robeco hält nachhaltiges Investieren hoch, hier wird aber nur noch in den «nachhaltigsten Anlagestrategien» auf Investitionen in Rüstungsgüter verzichtet. Die Portfoliomanagerin Rouffiac sagt, dass «ReArm Europe» massive neue Investitionen zur Gewährleistung der Sicherheit in der Region bedeute. Deshalb müsse man sich langfristig so positionieren, dass man «von den signifikanten Verschiebungen in der europäischen Politik zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben profitieren» könne.