Montag, September 30

Der Luxusgüterkonzern präsentiert solide Quartalszahlen und lässt damit die Konkurrenz schlecht aussehen, insbesondere Swatch Group. Ausserdem: Also-Aktien sind trotz KI-Hype nicht teuer.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Top of Europe, so nennt sich das Jungfraujoch für touristische Zwecke. An einen steilen Berggipfel erinnerte auch die Entwicklung an der Börse in den ersten fünf Monaten dieses Jahres: Der Aktienkurs der Jungfraubahnen kannte nur eine Richtung, nach oben – bis er bei fast 209 Fr. das Top erreicht zu haben schien.

Für Baader-Analyst Andreas von Arx ist die Reise damit aber noch lange nicht zu Ende: Er nimmt die die Abdeckung der Aktien mit einem Kursziel von 300 Fr. auf.

Vier Argumente bringen den Analysten zu diesem Schluss, und im Zentrum steht vor allem Argument Nummer 1: Das Jungfraujoch ist «One of a kind». Zu deutsch und etwas prosaischer: einzigartig. Eine einfache Bahnfahrt führt rund ums Jahr auf 3453 Meter über Meer, im Herzen der Alpen, noch liegt ewiger Schnee. Es fällt mir nicht schwer nachzuvollziehen, wieso jährlich mehr als eine Million Menschen, insbesondere aus Asien, diese Reise zum Top of Europe unternehmen. Und angesichts der Ströme von begeisterten Besucherinnen, wie ich sie im Frühsommer dieses Jahres auch auf dem kleinen Bruder Titlis erlebt habe, sehe ich das Potenzial dieser Touristendestination nur durch Kapazitätsengpässe, politische Massnahmen gegen den sogenannten Overtourism und die nächste Pandemie beschränkt.

Und da scheint auch der Preis von rund 190 Fr. pro Person für viele Besucher nicht übertrieben zu sein. Insbesondere dank der neuen V-Bahn ist die Jungfraubahn – wie von Arx festhält – kein simples Transportunternehmen (mehr). Sie ist eine Cashmaschine, rechnet der Analyst vor: Unter Annahme eines Cashflow to Equity zwischen 55 Mio. und 95 Mio. Fr. und basierend auf dem heutigen Kursniveau liegt die normalisierte Cashflowrendite bei rund 7%, auf dem Baader-Kursziel von 300 Fr. betrage sie noch immer 4,5% und sei damit vergleichbar mit anderen qualitativ hochwertigen Schweizer Unternehmen.

Wer also in den kommenden – hoffentlich sommerlich warmen – Wochen eine Reise ins Berner Oberland plant, kann sich überlegen, ob er oder sie die rund 200 Fr. für eine einmalige Fahrt auf das Jungfraujoch ausgeben oder sich mit demselben Betrag auf eine längere Reise begeben will, indem die Aktie ins Portfolio gelegt wird.

Um bei den alpinen Analogien zu bleiben: Es sind zig Höhenmeter, die Richemont von Swatch Group trennen – und nirgends zeigt sich das besser als an der Börse.

Mittlerweile hat Richemont aber nicht nur die Lokalrivalin abgehängt, sie liegt auch im europäischen Vergleich an der Spitze. Kering musste bereits im März wegen der schlechten Konsumstimmung in China eine Gewinnwarnung publizieren, Burberry warnte gestern eindringlich vor dem Einbruch der Luxusnachfrage als Folge der schlechten Konjunkturaussichten und setzte CEO Jonathan Akeroyd nach rund zwei Jahren mit sofortiger Wirkung ab. Heute folgte Hugo Boss: Die Deutschen kassierten die Prognose für das Gesamtjahr. Und selbst LVMH, das bisherige Nonplusultra der Luxusbranche, kämpft mit schwierigen Marktbedingungen. Nur Hermès kann seit Jahresbeginn mit Blick auf die Kursentwicklung in Franken gerechnet noch einigermassen mithalten.

Richemont ist in Höchstform und entzieht sich dem sich rasch eintrübenden Umfeld im Luxussegment bisher bemerkenswert gut. In den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres 2024/25 (per Ende Juni) konnte der Konzern den Umsatz entgegen dem Markttrend beinahe halten. Gegenüber dem sehr starken Vorjahresquartal resultierte ein Umsatzrückgang von lediglich 1%. Überraschend gut lief es in Japan, auch in den USA schnitt das Unternehmen etwas besser ab als erwartet.

Im Zentrum der sehr guten Entwicklung steht «Hard Luxury», also Uhren und Schmuck, und insbesondere Cartier. Das Maison ist die Schmuckmarke der Stunde – und dürfte der Grund sein, warum LVMH-Gründer und CEO Bernard Arnault eine Beteiligung an Richemont gekauft hat. Ein Trend, der sich schon 2023 abgezeichnet hatte: Laut dem Bloomberg Subdial Watch Index waren Cartier-Uhren vergangenes Jahr die einzigen, mit denen Händler auf dem Secondhandmarkt höhere Preise erzielen konnten als 2022. Die Nachfrage nach gebrauchten Tank- und quadratischen Santos-Modellen stieg, der Index von Rolex-Uhrenmodellen sank dagegen rund 6%.

Im Luxusgeschäft sind zwei Faktoren entscheidend: die Marktposition und vor allem eine starke Marke. In schlechten Zeiten, wenn Kundinnen erfahrungsgemäss eher weniger, dafür bessere Produkte kaufen, gilt das noch mehr. All das spricht derzeit für die Schweizer, die anders als die Konkurrenz kaum auf Accessoires und Mode setzen, und es macht Mut für die kommenden, angesichts der Konsumentenstimmung schwierigen Monate.

Aber auch Richemont ist nicht ganz gefeit: In der Grossregion China ist der Umsatz um 27% eingebrochen, und eine Erholung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil – Luxusgütern könnte dort auch längerfristig ein schärferer Wind entgegenwehen, warnte Jörg Wuttke, langjähriger früherer Präsident der EU-Handelskammer in China, kürzlich im Interview mit The Market: Die Nachfrage nach Luxusgütern leide auch darunter, dass die Reichen angehalten würden, ihren Reichtum nicht mehr so offen zur Schau zu stellen.

Wie üblich publiziert Richemont anlässlich des Geschäftsupdates zum ersten Quartal keinen Ausblick für das Gesamtjahr. Der Markt rechnet derzeit mit einer Umsatzsteigerung von 4,6% gegenüber 2023/24, angesichts der deutlich einfacheren Vergleichsbasis in den nächsten Quartalen halte ich das für realistisch. Für positive Überraschungen ist der Spielraum aber eng geworden, die Aktien preisen nahe dem Allzeithoch bei rund 150 Fr. aus meiner Sicht schon das volle Potenzial ein.

«This is the operator. You are not allowed in this call. You will be disconnected. Please do not dial in again.»

Diese Nachricht bekamen gestern Montag zahlreiche Fondsmanager und Aktionäre von Swatch Group zu hören. Der Uhrenkonzern führte nach seinem desaströsen Halbjahresabschluss eine Telefonkonferenz mit CEO Nick Hayek, Finanzchef Thierry Kenel und Chief Controlling Officer Peter Steiger durch – aber zu diesem Call waren explizit nur Sell-Side-Analysten zugelassen.

Die «Buy Side», also Fondsmanager und Aktionäre, waren nicht erwünscht, wie mir zugetragen wird. Wer sich unerlaubterweise eingewählt hatte, wurde entfernt.

Mir ist schleierhaft, was Swatch Group damit erreichen will. CEO Nick Hayek hat schon mehrmals gesagt, dass ihn die Aktionäre ausserhalb der Familien Hayek und Ammann nicht interessieren – wer mit seiner Unternehmensführung nicht einverstanden sei, könne die Aktien gerne verkaufen. Geht er jetzt noch eine Stufe weiter und will sich bei den Calls zu den Zwischenresultaten nicht einmal mehr kritischen Fragen seitens seiner Aktionäre aussetzen?

Diese selektive Informationspolitik ist einer an der Schweizer Börse kotierten Gesellschaft nicht würdig. Fondsmanager – notabene Aktionäre und damit Miteigentümer von Swatch Group – erhalten keinen Zugang mehr zum CEO des Unternehmens.

Die Familien Hayek und Ammann sollten sich daran erinnern, dass sie nur gut 25% des Kapitals von Swatch Group besitzen. 75% liegen in den Händen der restlichen Aktionäre. Von Personen wie Ernst Tanner, dem langjährigen VR-Präsidenten von Lindt & Sprüngli, oder Jean-Pierre Roth, dem früheren Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, erwarte ich, dass sie im Verwaltungsrat von Swatch Group die Interessen der Inhaberaktionäre wahrnehmen. Sonst ist ihre Mitgliedschaft im Gremium nutzlos.

Nun gilt Tanner nicht eben als Musterschüler in Sachen Corporate Governance, aber er hat immerhin einen Ruf zu verlieren. Tanner und Roth sollten Nick Hayek klarmachen, dass sein Verhalten und seine Informationspolitik gegenüber den Aktionären inakzeptabel ist.

Fragen in Sachen Management und Governance stellen sich auch bei Also, aber solche einer anderen Art. Der IT-Distributor hat eine grössere Personalrochade hinter sich. Der bisherige CEO Gustavo Möller-Hergt zieht sich auf die Rolle als Verwaltungsratspräsident zurück. Aus der neu achtköpfigen Geschäftsleitung wurde per 1. Mai Wolfgang Krainz zu seinem Nachfolger ernannt.

Der Name Möller-Hergt ist eng mit der bisherigen Erfolgsgeschichte von Also verknüpft: In den rund zwölf Jahren an der Unternehmensspitze hat er Also von einem Hardware- und Softwareverkäufer zu einem Serviceanbieter umgebaut, mit höherem Wachstums- und Margenpotenzial. Das spiegelt sich an der Börse: Der Aktienkurs hat sich seit dem Zwischentief im Frühjahr 2012 versiebenfacht, derzeit streben die Titel in Richtung ihres bisherigen Höchststandes von rund 300 Fr.

Für das Branchenmagazin Swiss IT Reseller ist der Wechsel an der operativen Spitze «eine Zäsur». Ganz so dramatisch würde ich das wohl nicht formulieren, und doch gehe ich mit dem Autor oder der Autorin einig, dass eine Ära zu Ende geht. Und es stellen sich Fragen: Was bedeutet das für das Unternehmen und die Aktien? Wohin geht die Reise für Also in der nächsten Ära?

So sehr Möller-Hergt das Unternehmen in den vergangenen Jahren geprägt hat, für die Zukunft mache mir keine Sorgen. Das hat verschiedene Gründe.

Erstens ist das Geschäftsmodell klar – und die Aussichten sind auch dank Investitionen in den Bereich der künstlichen Intelligenz sehr gut. Das Schlagwort KI hat den Aktienkurs denn wohl auch in den vergangenen Monaten beflügelt. Tatsächlich optimiert das Unternehmen mithilfe von maschinellem Lernen zum einen bereits heute interne Abläufe, zum anderen können alle Geschäftsbereiche davon profitieren: Also liefert nicht nur Hardware (Supply, 60,5% des Umsatzes), sondern auch IT-Lösungen etwa im Bereich der Cybersicherheit (Solutions, 30%) und «as-a-Service»-Bestandteile für den digitalen Arbeitsplatz (Services, 9,5%), und in allen Segmenten verändern sich die Kundenbedürfnisse durch die Verbreitung von KI rasant, die Erneuerungszyklen werden kürzer.

Die erhöhte Nachfrage im Zuge von KI zeigt sich insbesondere im schnellen Wachstum des attraktiven Cloud-Geschäfts. Also erwartet, dass die Verbreitung von KI einen Investitionsbedarf in IT-Hardware und Software von rund 800 € pro digitalem Arbeitsplatz respektive Unique User im Jahr zur Folge haben werde. Besonderes Augenmerk gilt der Plattform Cloud Marketplace (ACMP), mit der Also ihren Kunden verspricht, «Tausende von Cloud-basierten IT-Services direkt anbieten zu können, mit Bestellung, Bereitstellung, Abrechnung und Verwaltung auf einer einzigen Plattform». Sie dürfte von zusätzlichen Verkäufen von Software-as-a-Service-Produkten wie Microsoft Copilot oder Adobe Firefly profitieren.

Die Helvetische Bank rechnet anhand der vom Unternehmen publizierten Zahlen vor: Bei mittlerweile 4,4 Mio. Unique User von Also ergäbe sich mittelfristig ein zusätzliches Umsatzpotenzial von rund 3,5 Mrd. € – allein im Zusammenhang mit KI. Insgesamt sind damit gerade in den Bereichen Solutions und Services die mittelfristigen Wachstums- und Margenaussichten besonders gut. Die in diesem Bereich verkauften Ökosysteme erhöhen ausserdem die Kundenbindung.

Zweitens ist um die Aktien trotz KI noch kein Hype entstanden. Noch immer fallen im Zusammenhang mit Also Worte wie «unterschätzt», «kaum beachtet» und «missverstanden». Diese Einschätzungen sind zwar nicht mehr vollständig gerechtfertigt: Gleich mehrere der von uns vierteljährlich befragten Fondsmanager setzen auf den IT-Distributor. Per Ende Juni waren die Titel unter den grössten zehn Positionen bei Martin Lehmanns 3V Invest Swiss Small & Mid Cap, Philipp Murers Reichmuth Pilatus und Marc Possas SaraSelect-Fonds. Nichtsdestotrotz sind sie auch nach dem Kursanstieg seit Anfang Jahr noch nicht übermässig hoch bewertet.

Drittens waren die Wechsel im Management von langer Hand geplant, Möller-Hergt hatte wiederholt von einer Verjüngung gesprochen und über die vergangenen Jahre zentrale Positionen neu besetzt. Im Sommer 2023 kündigte er seinen Rückzug aus der operativen Leitung für das kommende Jahr an, Anfang 2024 stellte er dann die acht möglichen Nachfolger vor. Das Team um CEO Wolfgang Krainz hat bei Investoren am Kapitalmarkttag zudem einen guten ersten Eindruck hinterlassen. Krainz selbst ist bereits seit acht Jahren im Unternehmen, der starke Mann bei Also bleibt aber wohl der ehemalige Chef.

Damit dürfte Also den Erfolg der vergangenen Jahre in der neuen Ära fortschreiben: Seit 2012 ist der Umsatz um mehr als die Hälfte auf rund 10 Mrd. € im Jahr 2023 gestiegen. Der operative Gewinn auf Stufe Ebitda hat sich in derselben Zeit verdreifacht auf zuletzt fast 250 Mio. €. Mit einer Ebitda-Marge von 2,2% wird Also nie hochprofitabel sein. Dank der geringen Kapitalintensität des Geschäfts gelingt es dem Unternehmen aber, die Kapitalkosten konstant klar zu übertreffen. Die Rendite auf dem eingesetzten Kapital (ROCE) soll künftig mehr als 25% betragen.

Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market

Gabriella Hunter

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