Von unten kommend, attackierte er die Bigotterie und Prinzipienlosigkeit der Privilegierten. Seine Gags gehören zum Kanon der Stand-up-Comedy. Aber in letzter Zeit schwächelte er.

Die Pleiten im Leben sind die Renditen der Kunst. Scham zum Beispiel ist eines der übleren Sozialgefühle, und auch wenn sie zivilisatorisch wertvoll ist, quält sie den Einzelnen bis ins Mark. Ricky Gervais, 63, hat die Scham und ihre Spielarten – vom Peinlichkeitsempfinden über die Beschämung bis zur Fremdscham – zur artistischen Ressource gemacht wie kein Komiker vor ihm. Es wird sich geschämt und beschämt in Gervais’ Filmen, Fernsehserien und Stand-up-Shows, dass sich die Balken biegen, wobei die Balken sowohl das soziale als auch das innere Gerüst darstellen, das dem modernen Menschen Halt und Orientierung gibt.

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Ricky Gervais anschauen ist deshalb immer auch Selbstverletzung. Man starrt in die Abgründe hinein, die der Comedian mit seinen Pointen und Performances aufreisst, und irgendwann erkennt man sich in den Blossstellungen dieses Humors selbst. Es soll Leute geben, die Gervais’ Serien «The Office» und «Extras» nicht lange anschauen können, gerade, weil sie sie so grossartig finden. Zu viel Scham, Fremdscham, Beschämung.

Dass sich Comedians selbst den Prozess machen mit ihrem Humor, war nicht neu, als Gervais 2001 mit «The Office» in ein öffentliches Bewusstsein krachte, das über Jahre von öden Sitcoms und noch öderen Filmkomödien betäubt gewesen war. Die nur zwei Staffeln umfassende Reihe über den Chef einer Papierherstellungsfirma war im Stil der Mockumentary gedreht, als fiktive Dokumentation eines Büroalltags, in der der Chef eitel, inkompetent und aufdringlich ist und der Rest der Belegschaft diesen hochnotpeinlichen Narzissmus mit Ignoranz pariert. Das In-die-Kamera-Extemporieren, das Kevin Spacey später in der Rolle des intriganten Strippenziehers in «House of Cards» in shakespearesche Höhen führen würde, ist hier schon darstellerisch vorformuliert. Gervais, ein Büronarr von Klassiker-Format.

Aufstieg aus der Arbeiterklasse

In «Extras» (2005 bis 2007) variierte Gervais die Idee, dass in der Blamage der Zündstoff für eine Komik liegt, die psychologischen Scharfsinn mit gesellschaftskritischer Verve verbindet. Die Serie war so ein Glücksfall, weil grosse Stars von Kate Winslet über Ian McKellen bis Ben Stiller sich selber spielten. Jede Folge erzählte von einem Filmdreh, und Gervais wohnte in der Rolle des so ehrgeizigen wie erfolglosen Statisten der charakterlichen Entgleisung seiner Idole bei. Stiller als rücksichtsloser Angeber, McKellen als eitler Kunstfatzke, Kate Winslet als lüsterne Diva ohne Taktgefühl.

Deutlicher noch als in «The Office» wurde hier Gervais’ gesellschaftspolitische Haltung klar. Er selbst war als Sohn eines Arbeiters und einer Hausfrau aufgewachsen, hatte als Erster in seiner Familie ein College besucht und den Klassensprung von der Unter- zur Mittelschicht geschafft. Sein Blick aber blieb geprägt von der Erfahrung des Underdogs, von dessen Skepsis gegenüber den etablierten Kreisen. Die kleinen Statisten und die grossen Stars: Das war die Konstellation, um Folge für Folge an der Idee des Ruhms als Selbstwert zu rütteln, und auch wenn sich Gervais in der Darstellung des Parvenüs nicht schonte, waren die moralischen Akzente klar gesetzt. Die Reichen und Berühmten waren nach oben depraviert – den Common Sense gab es unten, an der Basis.

Diese Frontstellung baute Gervais immer weiter aus; sie ist die dramaturgische Bastion, von der aus er seinen weltweiten Eroberungszug in allen Mediensparten – Film, Fernsehen, Stand-up-Comedy, Moderation – begann. Als Vertreter des sogenannten kleinen Mannes, dem die Marginalisierungsschübe der letzten zwei Jahrzehnte vor allem in England die Sinne für Schieflagen im sozialen Getriebe schärften, ging er auf das Justemilieu des Medien- und Kulturbetriebs los.

Hollywood ist der Feind

«The Office» und «Extras» waren nur das Vorspiel für Gervais’ atemberaubende Karriere als Stand-up-Comedian und Moderator gewesen; erst auf der Bühne erlangte er den intellektuellen Spielraum, um im grossen Stil mit jenen Gesinnungspolizisten abzurechnen, die je nach Couleur und Einfluss den Diskurs verengten. Es hagelte Pointen gegen die Kirche, gegen Politiker und Aktivisten und immer wieder gegen die Kollegen. Stars und vor allem der Hollywood-Betrieb waren der Feind, den es mit streckenweise brutalem Zynismus niederzukartätschen galt, und als Gervais 2010 das erste Mal die Golden Globes moderierte, weitete sich die humoristische Kampfzone in die globale Sphäre aus.

Die Moderation markiert nicht nur einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Gervais als Komiker – er wurde durch den Auftritt zu einem Weltphänomen, den von ihm verunglimpften Stars ebenbürtig –, sondern auch den Beginn eines Kulturwandels im Entertainment-Betrieb. Hollywood hatte bis dahin zwar als tendenziell toxisches, aber, was die ideologische Ausrichtung betrifft, korrektes Umfeld gegolten.

Bei allen Skandälchen und Skandalen waren Stars die Vertreter des richtigen Lebens im falschen; sie wählten links, unterstützten von Umweltschutz bis LGBTQ die gute Sache, protestierten für Gleichberechtigung und gegen Sexismus. Gervais riss diesen Privilegierten die Maske des Anstands vom Gesicht, attackierte ihre Bigotterie und Prinzipienlosigkeit. Die Gags seiner Eröffnungsmonologe bei den Globes gehören heute zum Kanon der Stand-up-Comedy, in Gänze ergeben sie eine Abrechnung mit dem Opportunismus eines Berufsstands, der sich ideologisch auf der sicheren Seite wähnt, auch wenn er sittlich zerrüttet ist.

«Ihr sagt, ihr seid woke, aber die Konzerne, für die ihr arbeitet, produzieren in China. Apple, Amazon, Disney. Wenn der IS einen Streaming-Dienst an den Start brächte, würdet ihr sofort euren Agenten anrufen.» Das war kein Witz mehr auf Kosten einzelner Stars und ihrer Déformation professionnelle. Dieser Humor zielte aufs moralische Zentrum der Branche und stellte dessen Leere bloss. «Ihr habt nicht das Recht, die Öffentlichkeit in irgendeiner Weise zu belehren», erklärte Gervais seinem sichtlich verstörten Publikum. «Ihr wisst nichts von der realen Welt. Die meisten von euch haben weniger Zeit in der Schule verbracht als Greta Thunberg.»

Gervais moderierte die Golden Globes noch vier weitere Male. Die Quoten waren einfach zu gut gewesen, und die Stars gewöhnten sich daran, dass man sie als Nutzniesser eines verkommenen Business verhöhnte. Aber die Schrammen im Lack Hollywoods sollten bleiben, und noch so viel Gesinnungseifer und hochmögende Dankesreden werden sie nicht retuschieren.

Schlechte Witze

Parallel tourte Gervais mit seinen Stand-up-Shows über die Kontinente, heimste Medienpreise ein – angeblich benutzt er seine Bafta-, Emmy- und Golden-Globe- Trophäen zu Hause als Türstopper –, veröffentlichte die zwischen Sentimentalität und Fatalismus schwankende Dramedy-Serie «After Life» und handelte sich wie die meisten exzellenten Comedians ein paar Shitstorms ein. Und es war auch nicht alles Comedy-Gold, was als Pointenidee glänzte.

Witze über todkranke Kinder – «euer letzter Wunsch ist, dass ich euch im Krankenhaus besuche? Warum wünscht ihr euch nicht, wieder gesund zu werden?» – unterboten das Humorniveau, das Gervais in seinen Shows, brillant und raffiniert, definiert hatte. Und auch das rituell gewordene Bashing der woken Bewegung setzte über die Zeit die Patina des Ressentiments an. «Altmodische Frauen, also solche mit einer Gebärmutter» – so einen Gag lässt man einem Stand-up-Novizen auf der Probebühne durchgehen, aber nicht einem Komiker von Weltrang.

Und das wird in Zukunft die Herausforderung sein: ob Gervais in seinen Shows auf die Dynamik des Zeitgeists reagieren und ihm mit Punchline-fähigen Analysen womöglich vorauseilen kann. Denn die kulturelle Lage hat sich verändert. Trumps Politik baut auch die Bewusstseinsindustrien um, und der Wokeismus erscheint heute, anders als vor fünf Jahren, als Gegner, der schon am Boden liegt. Ein grosser Comedian wird nicht nachtreten, sondern sich den nächsten mächtigen Rivalen suchen. Nichts anderes sollte man von Ricky Gervais erwarten.

Ricky Gervais tritt am Samstag mit seiner Show «Mortality» im Hallenstadion in Zürich auf.

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