Samstag, April 26

Der Traditionskonzern Rieter leidet unter der anhaltenden Schwäche des Textilmaschinenmarktes. Das belastet nicht nur den Geschäftsgang, sondern auch den Aktienkurs. Was die Zyklizität der Branche für den Investitionsentscheid bedeutet.

Bis Ende Mai gehörten die Aktien des Winterthurer Traditionskonzerns Rieter mit einem Kursplus von mehr als 50% zu den Überfliegern am Schweizer Aktienmarkt. Danach schmolzen die Kursgewinne dahin, sodass die Jahresperformance Mitte Dezember ein negatives Vorzeichen aufweist. Auch der Kapitalmarkttag Ende Oktober brachte keine Impulse.

Schuld daran ist die zyklische Erholung des Textilmarktes, die sich weniger rasch eingestellt hat, als die Investoren, aber auch das Unternehmen selbst es erwartet hatten. Rieter, seit der Abspaltung der Automobilsparte Autoneum im Jahr 2011 ein reiner Textilmaschinenhersteller, musste die Umsatzprognose für das Gesamtjahr mehrmals nach unten korrigieren.

Seit dem starken Zuwachs 2021 und 2022 geht der Umsatz zurück und dürfte 2024 regelrecht einbrechen. Immerhin soll das nach unten revidierte Jahresziel von rund 900 Mio. Fr. laut Rieter-CEO Thomas Oetterli dank guter Visibilität erreichbar sein.

Die hartnäckige Marktschwäche ist vor allem auf die verhaltene Nachfrage nach Textilien in Europa, teilweise aber auch in den USA zurückzuführen. Ist der Konsument durch Inflation und geopolitische Spannungen verunsichert, wird bei der Bekleidung gespart. In der Folge werden weniger Stoffe und Garne nachgefragt, was die Bereitschaft der Spinnereien zu Investitionen in neue Maschinen dämpft. Auch Verbrauchsmaterialien wie Auflöswalzen, Rotoren, Haltescheiben sowie Ring- und Kompaktspinnen werden aufgrund der geringen Kapazitätsauslastung weniger nachgefragt.

Ein typischer Zyklus auf dem Textilmaschinenmarkt dauert vier Jahre – auf zwei Aufschwung- folgen zwei Abschwungjahre.

Erholung am Horizont sichtbar

Nach zwei Jahren des Abschwungs, gemessen an der Umsatzentwicklung, hofft die Branche nun auf eine Trendwende. Davon gehen auch die Schätzungen der Analysten für 2025 aus, die für Rieter eine Erholung des Umsatzes um 29% auf 1,2 Mrd. Fr. prognostizieren. Rieter selbst wird mit dem Jahresabschluss 2024 am 13. März ihre Erwartungen an 2025 veröffentlichen.

In der Vergangenheit kam das Geschäft jeweils sehr schnell und innerhalb weniger Monate zurück – heute befindet sich der Markt in der längsten Flaute seit einem Jahrzehnt. Ursache ist das Ausreisserjahr 2021: Aufgrund des Coronalockdowns 2020 bestand ein enormer Nachholbedarf; die Spinnereien investierten geradezu euphorisch, und ihre Abnehmer bauten ihre Garnvorräte auf. Die Folge waren Überkapazitäten, was die zähe Erholung des Auftragseingangs erklärt.

Rieter-CEO Oetterli erwartet, dass sich der Bestellungseingang voraussichtlich im ersten Halbjahr 2025 verbessern und sich die Erholung im zweiten Halbjahr im Umsatz niederschlagen wird, wie er im Gespräch mit The Market betont.

Das Management der 1795 in Winterthur als Handelsfirma für Baumwoll- und Gewürzimporte gegründeten Gruppe beobachtet eine leichte, aber langsame Erholung im Spinnmaschinengeschäft. «Die Märkte in China und Indien erholen sich, weil der für die Textilindustrie wichtige Mittelstand wächst», sagt Oetterli. Auch wegen der Zinssenkungen habe sich dort das Investitionsklima verbessert. Selbst in Europa konnte zuletzt eine Spinnerei ausgerüstet werden.

ZKB-Analyst Walter Bamert, der für die Aktien einen fairen Wert bei 109 Fr. führt, rechnet im laufenden Jahr mit einem Auftragseingang von 885 Mio. Fr., einem Anstieg auf 1,2 Mrd. Fr. im Folgejahr und knapp 1,5 Mrd. Fr. im Jahr 2026.

Auch die Mitglieder des Textilmaschinenverbands ITMF zeigen sich in der Novemberumfrage zuversichtlich hinsichtlich der wirtschaftlichen Erwartungen. Die derzeitige Geschäftslage wird zwar mehrheitlich negativ bewertet, jedoch besser als beim Tiefpunkt im November des Vorjahres. Der Textilmaschinenmarkt, der als eher intransparent gilt, soll gemäss verschiedenen Marktforschungsberichten bis 2029 jährlich um 3,3 bis 5,3% wachsen.

Automatisierungstrend für Rieter als Chance

Weltweit gibt es rund 6000 Spinnereien. Sie stehen mehrheitlich in Asien, weshalb der asiatische Markt rund 90% der weltweit installierten Basis von Rieter entspricht. In Europa sind weniger als 10% der globalen Spinnkapazitäten angesiedelt.

Die Hauptmärkte von Rieter sind China, Indien und die Türkei. Diese Märkte bestreiten zusammen rund die Hälfte des Umsatzes von Rieter und repräsentieren 63% der global installierten Basis.

Mit der Türkei steht ein besonders wichtiger Markt im Wandel. Mittlerweile sind rund 70% der durch das Erdbeben im Februar 2023 betroffenen Spinnereien repariert, doch viele Menschen sind weggezogen oder haben in der Bauindustrie neue Arbeit gefunden. Die dadurch gestiegenen Lohnkosten bieten laut Rieter-CEO Oetterli Chancen in der Automatisierung. Man verzeichne deutlich mehr Anfragen und erste Aufträge für Modernisierungen, sagt er.

Die arbeitsintensivste Tätigkeit ist das Beheben von Fadenbrüchen. In den vollautomatischen Systemen von Rieter übernimmt dies der Anspinnroboter Robospin.

Ausser der sinkenden Verfügbarkeit von Arbeitskräften treiben auch strukturelle Trends wie mehr Nachhaltigkeit sowie verstärktes Near- und Onshoring die weltweite Nachfrage nach Automatisierung an. «Wir beobachten eine verstärkte Investitionstätigkeit in Zentralamerika, um den US-Markt zu bedienen», sagt Oetterli. Gleiches gilt für Ägypten und das übrige Afrika mit Blick auf den europäischen Markt. China und Indien wiederum bedienen vermehrt den heimischen Markt.

Konsumentenstimmung und Zinsniveau verbessern sich

Die Erholung hängt auch von weiteren makroökonomischen und branchenspezifischen Faktoren ab: «Eine Verbesserung der Konsumentenstimmung – in den USA und Europa – deutet auf eine höhere Ausgabenbereitschaft der Konsumenten hin, was sich positiv auf die gesamte Wertschöpfungskette der Textilindustrie auswirken könnte», sagt Zana Mamelli, Analyst bei Baader Helvea, der die Aktien mit einem Kursziel von 116 Fr. zum Kauf empfiehlt. Zudem dürfte ein rückläufiges Zinsniveau Investitionen von Spinnereien erleichtern.

Gerade wenn Unternehmen wegen Unsicherheit Investitionen in neue Maschinen und Technologien verschoben hätten, komme es später laut Mamelli schon fast traditionell zu einem Investitionsschub. Ein wichtiges Indiz dafür ist der Anstieg der Verbrauchsmaterialien: Ein steigender Bedarf an Verschleiss- und Ersatzteilen ist ein frühes Zeichen für eine Belebung der Produktion.

«Noch ist das Geschäft mit Verschleiss- und Ersatzteilen verhalten, aber die Auslastung in den Spinnereien ist in den letzten zwölf Monaten über 70% gestiegen», sagt Oetterli. 80% und mehr seien ein gesundes Niveau. In Indien liegt sie bereits über 90%, was sich auch in den steigenden Maschinenofferten niederschlägt. In Indien und China ziehen die Bestellungen für Verschleiss- und Ersatzteile an.

Wie enorm wichtig die zyklische Komponente bei Rieter ist, zeigt die enge Korrelation zwischen Auftragseingang und Aktienkurs. Steigt die Investitionsbereitschaft der Kunden und damit der Auftragseingang, bewegt sich in der Regel auch der Aktienkurs nach oben, und umgekehrt.

Komponenten- und Servicegeschäft bieten Konstanz

Das Rieter-Management setzt sich zum Ziel, dass zyklische Auf- und Abschwünge in Zukunft dank einem besseren Geschäftsmix weniger ins Gewicht fallen. In Normal- und Boomzeiten sollen neben dem Neumaschinengeschäft die margenstarken Bereiche Komponenten und Services einen höheren Umsatzanteil beisteuern. Bei Letzterem ist dies mit einer kontinuierlichen Steigerung ab 2020 bereits annähernd gelungen.

Im Geschäftsbereich Services, wo Rieter ihre Kunden über den gesamten Lebenszyklus mit Originalersatzteilen und Modernisierungslösungen betreut, sind die Verfügbarkeit und die Lieferzeit von Ersatzteilen und damit die dezentrale Organisation entscheidend. Fällt ein kritisches Teil aus, steht eine ganze Linie still. «Wir wollen einen Webshop, der den Prozess vereinfacht und beschleunigt», sagt Oetterli.

Am Ende soll der Umsatzanteil des Neumaschinengeschäfts stets bei 50% liegen, derjenige des Komponenten- und des Servicegeschäfts ebenfalls bei 50%.

Die grosse installierte Basis bildet die Grundlage für das robuste und profitable Ersatzgeschäft im Bereich Services. Die strategisch wichtigen Komponenten werden trotz der hohen Preise auch von Mitbewerbern eingesetzt. Rieter ist bei den Produktionsprozessen, die aus Fasern Garne machen, nicht nur mit einem Marktanteil von rund 30% doppelt so gross wie der nächste Konkurrent, sondern sieht sich auch als Technologieführer.

Kostenstruktur soll verbessert werden

In den vergangenen zehn Jahren wurden 63% des Umsatzes im zyklischen Neumaschinengeschäft mit einem kumulierten Ebit-Verlust von 112 Mio. Fr. erzielt. Die profitableren Geschäftsbereiche Komponenten und Services kamen im Durchschnitt auf eine Ebit-Marge von 10,2 beziehungsweise 14,8%. Bamert von der ZKB sieht Rieter nun auf dem richtigen Weg.

Der aussergewöhnliche Margeneinbruch 2020 auf –14,7% soll sich dank der Verbesserung der Kostenstruktur nicht wiederholen: Durch eine konzernweite Organisation sollen Einsparungen bei den Materialkosten und im betrieblichen Bereich realisiert werden. Zudem werden Arbeitsplätze in Hochlohnländern abgebaut und in den Ländern aufgebaut, in denen auch die meisten Maschinen verkauft werden. Ohne diese Massnahmen, sagt Oetterli, wäre 2024 ein noch schwierigeres Jahr geworden.

Die Kapazität im Neumaschinengeschäft wird künftig bewusst kleiner gehalten, weil niemand für Überkapazität bezahlt. Dadurch soll über den Zyklus eine höhere Ebit-Marge erzielt werden. Laut Oetterli soll sie für das laufende Jahr 2 bis 4% betragen.

Baader Helvea rechnet mit einer Ebit-Marge von 2% für das laufende Jahr, 5,3% für 2025 und 8,5% für 2026, sollte der Umsatz bis dahin auf rund 1,3 Mrd. beziehungsweise 1,6 Mrd. Fr. steigen. Die Analysten gehen davon aus, dass das Unternehmen nicht mehr in die roten Zahlen rutscht, auch wenn der Textilmarkt in der Krise steht.

Zyklische Wette mit Rieter

Das Engagement des Ankeraktionärs Peter Spuhler bei Rieter (33,1%) ist ein Stabilitätsfaktor. Das Management kann so die geplanten Massnahmen konsequent umsetzen, um den gewünschten Erfolg zu erzielen. Dies gilt auch für die mittelfristigen finanziellen Ambitionen: Rieter strebt eine Ausschüttungsquote von mindestens 40% (2023: 18%) an und will die Eigenkapitalquote auf mehr als 35% (2023: 29%) steigern, nachdem sie zwischen 2019 und 2022 hauptsächlich wegen der tiefen Rentabilität und der Erstarkung des Frankens gelitten hat.

Auch wenn sich das Margen- und Umsatzprofil mittel- bis langfristig verbessern wird und Spuhler als Ankeraktionär dem Management den nötigen langen Atem verleiht: Rieter ist keine Langfristinvestition, sondern vielmehr eine klassische zyklische Wette. Die Aktien eignen sich zum Kauf, wenn die Textilbranche in die Erholungsphase eintritt. Ein Kauf könnte deshalb in der derzeitigen Schwächephase interessant sein. Trotz tiefer Eigenkapitalquote ist die Bilanz gemessen am Nettoverschuldungsgrad (2023: 1,2) gesund.

Ähnlich dürfte das Management gedacht haben, als es im November in vier Transaktionen Aktien im Wert von 500’000 Fr. erwarb. Auch die Bewertungskennziffern stehen einem Investment nicht entgegen: Das Unternehmenswert-Umsatz-Verhältnis auf Basis der Schätzungen für die nächsten zwölf Monate liegt mit 0,5 unter dem langfristigen Durchschnitt von 0,6. Ein ähnlich vorteilhaftes Bild bietet das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das knapp 1 beträgt.

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