Donnerstag, November 28

Ohne Rieter liefe in den meisten Spinnereien nichts. Doch die Winterthurer Traditionsfirma macht seit Jahren zu wenig aus ihrer führenden Marktposition.

Der Textilmaschinenhersteller Rieter gehört zu den grossen Namen der Schweizer Industrie. Das Unternehmen mit Sitz in Winterthur hat es geschafft, auch nach fast 230-jähriger Existenz eine führende Marktposition zu halten – und dies erst noch in einer Branche, deren Kunden kaum noch in Europa, geschweige denn in der Schweiz aktiv sind.

Ähnlich gross wie Saurer

Rieter ist auf die Herstellung von Produktionsanlagen für Spinnereien spezialisiert, in denen aus Baumwolle oder aus künstlichen Materialien wie Viskose und Polyester Garne hergestellt werden. Laut eigenen Angaben verfügt der Konzern über einen Marktanteil von 30 Prozent. Als ähnlich gross gilt der Arboner Konkurrent Saurer, dessen Eigentümerschaft aber schon seit Jahren chinesisch ist.

Wie andere Schweizer Maschinenhersteller geniesst Rieter wegen seiner qualitativ und technologisch hochstehenden Produkte bei Kunden einen guten Ruf. «Wir können es uns leisten, nicht die billigsten Anbieter zu sein», sagt Thomas Oetterli, der das Unternehmen als neuer CEO seit eineinhalb Jahren führt. Er beziffert die Zahl der Spinnereien auf 5000 bis 6000 weltweit.

Über 80 Prozent sind in asiatischen Niedriglohnländern wie China, Indien, Pakistan, Bangladesh und Usbekistan tätig. Sie befinden sich meist in Familienhand und beschäftigen als Kleinbetriebe typischerweise nur wenige Dutzend Mitarbeiter in ihrer Produktion. Dennoch setzen auch sie auffallend oft auf die Hightech-Produkte von Rieter, sei es bei einzelnen Maschinenteilen oder ganzen Anlagen.

Probleme mit der Profitabilität

«Rund 3000 der Spinnereien weltweit sind Kunden von uns», sagt Oetterli. Doch während Rieter über eine beneidenswerte Marktstellung verfügt, ist es dem Unternehmen seit Jahren nicht mehr gelungen, nachhaltig erfolgreich zu wirtschaften.

Oliver Streuli, der als Finanzchef im August 2023 und damit nur kurz nach Oetterli zum Konzern stiess, war selbst über das dürftige Abschneiden erstaunt. «Rieter hat ein attraktives Geschäft. Die Preise, die das Unternehmen für seine Maschinen verlangen kann, sind gesund», sagte er vor einer Woche an einer Investorenkonferenz am Winterthurer Hauptsitz. «Aber Rieter hat es nicht geschafft, eine befriedigende Profitabilität zu erwirtschaften.»

Selbst in einem Spitzenjahr wie 2022, als der Umsatz dank vollen Auftragsbüchern auf rekordhohe 1,5 Milliarden Franken stieg, erreichte die operative Marge (auf Stufe Ebit) lediglich 2,1 Prozent. 2023 betrug sie immerhin 7 Prozent. Rieter hatte auch damals noch alle Hände voll zu tun. In Anbetracht dessen wäre aber noch mehr dringelegen, findet das neue Management. Es hat sich zum Ziel gesetzt, dass Rieter in gut laufenden Jahren künftig auf 8 bis 12 Prozent kommt.

Käuferstreik in Kleiderläden

Die gesamte Textilindustrie ist starken Zyklen ausgesetzt. In konjunkturell schwierigen Jahren schränken sich Konsumenten beim Kleidereinkauf gerne ein. «Wir haben alle volle Schränke und können zwei Jahre lang auch einmal nichts kaufen», sagt der Firmenchef Oetterli.

Stockt der Absatz von Bekleidungsstücken, sind Produktionsbetriebe entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von Spinnereien über Webereien bis hin zu Konfektionsfirmen, rasch unzureichend ausgelastet. Die Inhaber sparen, wo sie nur können. Erst recht haben sie kein Geld für Investitionen in teure neue Maschinen.

Im Moment befindet sich die Textilbranche inmitten eines solchen Abschwungs. Die Nachfrage nach Kleidern begann sich in Europa schon 2022 nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine deutlich abzuschwächen. Und noch immer ist keine Erholung in Sicht.

Maschinenherstellern wie Rieter, die im vergangenen Jahr noch ältere Aufträge abarbeiten konnten, fehlt es an neuen Bestellungen. Nach Einschätzung des Wertschriftenhauses Stifel dürfte sich die Flaute 2025 fortsetzen.

Umsatzprognose nach unten korrigiert

Das Management von Rieter äusserte sich an der Investorenkonferenz nicht zu den Aussichten für das kommende Jahr. Es hatte sich aber nur wenige Tage zuvor, bei der Bekanntgabe der Geschäftszahlen für die ersten neun Monate dieses Jahres, gezwungen gesehen, die Umsatzprognose für 2024 auf rund 900 Millionen Franken zu korrigieren.

Immerhin beliess das Management die Schätzung für die Ebit-Marge bei 2 bis 4 Prozent. In früheren Krisenjahren hatte Rieter wiederholt rote Zahlen ausgewiesen, zuletzt 2020 sowie 2008 und 2009.

«Verluste zu erwirtschaften, ist für Rieter keine Option mehr», stellt Oetterli klar. Auf dem Tiefpunkt des Zyklus will Rieter künftig mindestens eine schwarze Null ausweisen. In einem mittelprächtigen Marktumfeld werden 4 bis 8 Prozent als Margenziel angepeilt.

Überkapazitäten in der Produktion

Wie das Management am Investorentag weiter darlegte, sollen die Produktionskapazitäten auf Zeiten ausgerichtet werden, bei denen die Nachfrage leicht unterdurchschnittlich ausfällt. Im Moment ist Rieter offenbar noch immer so aufgestellt, als gäbe es pausenlos eine hohe Nachfrage zu befriedigen. Weltweit betreibt das Unternehmen 17 Produktionsstätten.

Laut Oetterli ist Rieter zurzeit mit Überkapazitäten von 50 Prozent konfrontiert. Der Konzern dürfte vor diesem Hintergrund um eine Bereinigung seines Produktionsnetzes nicht herumkommen, wobei auch Werke in der Schweiz auf den Prüfstand geraten könnten. Die Maschinenproduktion in Winterthur wurde bereits 2018 stillgelegt, doch fertigt das Unternehmen hierzulande nach wie vor Komponenten an drei Standorten am Zürichsee. Diese sind nur wenige Kilometer voneinander entfernt.

Fortgesetzter Stellenabbau in der Schweiz

Seit Ende 2022 hat Rieter die Zahl der Festangestellten konzernweit bereits um 800 auf 4800 reduziert. Zudem wurden zahlreiche Verträge mit Temporärkräften nicht erneuert.

In der Schweiz gingen bis anhin 100 Arbeitsplätze verloren, die vor allem auf Tätigkeiten in Winterthur in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Verkauf sowie Verwaltung und Management entfielen. Wie vor zwei Wochen bekanntwurde, sollen hierzulande bis zu 70 weitere Stellen abgebaut werden. Das Konsultationsverfahren mit Arbeitnehmervertretern ist noch im Gang.

Oetterli schwebt vor, deutlich mehr Tätigkeiten in den Absatzmärkten, sprich vornehmlich in Asien, anzusiedeln. Bis anhin war es offenbar so, dass Rieter stark vom Hauptsitz aus gesteuert wurde.

Künftig sollen Mitarbeiter vor allem im Verkauf sowie in der Entwicklung deutlich näher zu den Kunden rücken. Der Konzernchef verspricht sich davon, wie er offen erklärte, auch Kostenvorteile dank niedrigeren Lohnaufwendungen als in der Schweiz.

Langes Warten auf Ersatzteile

Handlungsbedarf sieht Oetterli zudem im Ausbau des Kundenservice. Anders als die meisten anderen grossen Schweizer Maschinenhersteller versäumte es Rieter bis anhin, eine globale Serviceorganisation aufzubauen. Kunden blieb es oft selbst überlassen, ihre Anlagen zu warten.

Zugleich wurde die rasche Versorgung mit Ersatzteilen vernachlässigt. Es könne bis zu fünf Monate dauern, ehe ein Kunde beliefert werde, sagte Oetterli selbstkritisch.

So viel Zeit haben Betreiber von Spinnereien, die in einem tiefmargigen Geschäft tätig sind und sich kaum Produktionsunterbrüche erlauben können, in den seltensten Fällen. Eher würden sie, fügte der Firmenchef hinzu, Rieter den Rücken zukehren und das benötigte Teil von einem Produktpiraten beziehen.

Bei Rieter scheint vieles im Argen zu liegen. Die Versäumnisse in der Geschäftsführung sowie die markante Verschlechterung der Auftragslage haben auch den Aktienkurs des Unternehmens stark unter Druck gesetzt. Gegenüber dem letzten Höchststand, der im Sommer 2021 erreicht wurde, hat sich die Notierung mehr als halbiert.

Die Ausführungen des neuen Managements am Investorentag waren erfrischend offen. Doch Vertrauen haben sie nicht geweckt – im Gegenteil. Der Aktienkurs bröckelte in der vergangenen Woche weiter ab. Vor der Konzernführung liegt noch viel Arbeit.

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