Montag, Oktober 7

Die Ahmadiyya kommt drei Tage lang in Mendig zusammen. Die Bewegung legt Wert auf Bildung und gutes Benehmen, doch Vorwürfe wollen nicht verstummen. Ehen werden arrangiert, die Geschlechter getrennt – und der Kalif irritiert mit politischen Stellungnahmen.

Das Kalifat hat keinen guten Klang. Hunderte junge Männer forderten es jüngst in Hamburg und meinten damit eine strikte Auslegung der Scharia auf deutschem Boden. Im Kalifat der Islamisten gäbe es keine Gleichberechtigung der Geschlechter, keine Religions- und keine Meinungsfreiheit, keine Trennung von Glaube und Staat, kein Grundgesetz. Einen finsteren Fundamentalismus wünschen sich die bärtigen Demonstranten.

Von diesem Freitag an kommen rund 50 000 Muslime für drei Tage auf einem Flughafengelände in Rheinland-Pfalz zusammen, um sich ebenfalls zum Kalifat zu bekennen. Das aber, beharren sie, habe mit Islamismus nichts zu tun. Gemeint sei die geistige Anhängerschaft Mirza Masroor Ahmads, des fünften Kalifen der Ahmadiyya-Bewegung. Ein politisches Kalifat lehne man ab.

Jedes Jahr treffen sich die Gläubigen zu einer solchen «Friedenskonferenz», der Jalsa Salana, meistens in den Karlsruher Messehallen. Noch nie wurden so viele Teilnehmer erwartet wie nun am Rand der Kleinstadt Mendig in der Eifel. Am vorherigen Treffen in Stuttgart beteiligten sich rund 48 000 Personen.

Das Grundgesetz als Scharia

In Mendig dürfte nun die grösste europäische Versammlung von Muslimen überhaupt stattfinden. Über 200 Zelte wurden errichtet. Ein temporäres Kalifatsdorf entstand dort, wo bis vor 17 Jahren Flugzeuge der Bundeswehr stationiert waren. Es gibt gesonderte Frauenbereiche. Die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland (AMJ) betont die «Gleichwertigkeit von Mann und Frau» und hält zugleich an einer weitgehenden Trennung der Geschlechter fest. «Women-only-Spaces», heisst es, seien «förderlich für die persönliche und berufliche Entfaltung von Frauen». Die AMJ betreibt über 75 Moscheen und hat rund 55 000 Mitglieder. Ohne zahlreiche ausländische Teilnehmer wäre der avisierte Rekord nicht möglich.

Fester Bestandteil jeder Jalsa auf deutschem Boden ist das Hissen der deutschen Nationalflagge. Als Motto wird «Unsere Scharia ist das Grundgesetz» ausgegeben. Man hält sich zugute, den Koran «sinngemäss», nicht wörtlich zu interpretieren und weltliche Strafen bei Nichteinhaltung abzulehnen. Da man in theologischen Fragen «wertkonservativ» sei, habe man «bisher keine Mitglieder an Extremisten verloren».

Die Frauen tragen ein straff um das Kinn gebundenes Kopftuch wie die prominente Rundfunkrätin des Hessischen Rundfunks Khola Maryam Hübsch. Die islamische Aktivistin warb jüngst in der Talkshow «Hart, aber fair» für ihren Kalifen, ohne sich ausdrücklich von den Hamburger Demonstranten und deren extremistisch zugespitztem Kalifatsbegriff distanzieren zu wollen.

Für Aufsehen sorgte 2017 eine Wanderausstellung der AMJ, in deren Materialien Schleier und Kopftuch erklärt wurden als «Mittel der muslimischen Frau, ihre Würde zu verteidigen». Hübsch schreibt in einem Aufsatz: Wenn muslimische Frauen sich entschlössen, «durch ihre Kleidung zu einer Neutralisierung des öffentlichen Raums beizutragen, kann dies auch ein Akt der Emanzipation sein». Dass in weiten Teilen der islamischen Welt Frauen ungefragt ein Kopftuch tragen müssen, kommt in dieser Perspektive nicht vor.

Die Zutaten einer harmonischen Ehe

In Mendig wird es neben vielen Gebeten Vorträge geben über «Gerechtigkeit in einer ungerechten Welt» und die «Zutaten einer harmonischen Ehe – Frieden, Liebe & Zärtlichkeit». Einem Mann sind laut der offiziellen englischen Website der Ahmadiyya unter bestimmten Umständen vier Ehefrauen erlaubt.

Weit verbreitet ist die arrangierte Ehe, die Mirza Masroor Ahmad so rechtfertigt: «Viele sind der Meinung, Ehen sollten nicht arrangiert werden. Dennoch sind 65 Prozent der Trennungen von Ehen auf Liebesheiraten zurückzuführen, während arrangierte Ehen eine geringere Trennungsrate aufweisen.» Bei arrangierten Ehen suchten Eltern oder Freunde einen passenden Partner aus, «unter Berücksichtigung der gemeinsamen Interessen».

Der mittlerweile 73-jährige Mirza Masroor Ahmad, ein gebürtiger Pakistaner, wird für seine Rede aus London, dem Sitz des Kalifats, zugeschaltet sein. In Pakistan, auf dessen heutigem Staatsgebiet die Ahmadiyya-Bewegung 1889 entstand, gelten deren Anhänger nicht als Muslime. Der Gründer Mirza Ghulan Ahmad erklärte sich zum von den Muslimen erwarteten Mahdi, dem «rechtgeleiteten» Nachkommen Mohammeds, zum wiedergekehrten Jesus und zur Inkarnation des hinduistischen Gottes Krishna. Die erste Jalsa Salana fand 1891 im damaligen Indien statt. Der fünfte Kalif ist ein Urenkel des Gründers.

Die AMJ will als Anwalt des Friedens und der Völkerverständigung wahrgenommen werden. Das Oberhaupt beharrt, «dass die grausamen Taten von bestimmten muslimischen Gruppen und sogar Nationen dem Islam völlig widersprechen». Die Terroristen strebten «im Namen der Religion und durch Grausamkeit und Blutvergiessen weltliche Ziele an».

Angesprochen auf den Krieg in der Ukraine, sagte der Kalif im April der «Berliner Zeitung», da es die Sowjetunion nicht mehr gebe, habe es keinen Sinn, die Nato fortbestehen zu lassen. Die Europäer würden in diesem «direkten Konflikt zwischen Russland und Amerika» als Marionette benutzt. Im Gaza-Krieg wiederum gebe das Unrecht, das den Juden durch die Deutschen widerfahren sei, den Juden nicht «die Lizenz, dasselbe mit anderen Nationen zu tun». Auf Nachfrage erklärt die AMJ, «Kritik an der aktuellen ultrarechten israelischen Regierung» sei kein Antisemitismus. Dieser werde wie jede Menschenfeindlichkeit verurteilt.

Susanne Schröter, Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, bemängelt in der «Bild»-Zeitung, sie habe die an sich friedliche Ahmadiyya-Bewegung nach dem Überfall der Hamas als «sehr israelfeindlich bis antisemitisch erlebt». Gegenüber dem Fernsehsender Welt ergänzte Schröter, das Wort des Kalifen sei in dieser «sehr, sehr rigiden, orthodoxen muslimischen Gemeinschaft» Gesetz. Es habe schon mehrere sogenannte Ehrenmorde an jungen Frauen gegeben. Die jährlichen Treffen seien indes perfekt organisiert. Insofern handele es sich bei der Ahmadiyya um die Preussen unter den Muslimen.

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