Donnerstag, Oktober 10

Im «Ring»-Zyklus am Theater Basel dämmert es den Göttern. Benedikt von Peters überambitionierte Wagner-Regie ist dort am stärksten, wo sie klare Szenen schafft und auf alle Zusätze verzichtet.

«Zurück vom Ring!», ruft Wotan am Ende, nachdem er mit Alberich um den die Weltherrschaft verheissenden Reif gestritten hat. Eigentlich singt Hagen diese vier Töne – Wotan und Alberich treten am Schluss von Wagners «Götterdämmerung» nicht mehr auf. Aber diese Details sind für den Regisseur Benedikt von Peter nicht so wichtig. Was nicht passt, wird passend gemacht, auch wenn der logische Zusammenhang dabei mitunter auf der Strecke bleibt. Hier am Theater Basel sitzen die beiden alten weissen Männer mit Zottelhaaren am langen Tisch und schauen mit leerem Blick ins Publikum. Glücklich sehen Wotan und Alberich am Ende dieser «Götterdämmerung» nicht aus, eher erschöpft und deprimiert.

Auch der Ring ist so unwichtig geworden, dass ihn Wotan vom Finger streift. Seine von ihm verstossene Tochter Brünnhilde reitet nicht wie in Wagners Vorlage auf ihrem Pferd Grane ins selbst entzündete Feuer – sie hat keine Lust, sich zu opfern. Sie steckt nur gemeinsam mit dem Vater das Modellhäuschen der Götterburg Walhall in Brand. Und schreitet dann mit den anderen Protagonisten und dem Chor zu den verklärenden Schlussklängen, die das Sinfonieorchester Basel unter Jonathan Nott angemessen zelebriert, in den Zuschauerraum.

Ein Neuanfang ist möglich, erzählt dieses Schlussbild. Am Ende wird das Finale des Basler «Rings des Nibelungen» – der letzte am Haus liegt rund vierzig Jahre zurück – im nicht ausverkauften Theater vom Publikum mit Ovationen gefeiert. Und der Intendant Benedikt von Peter lächelt entspannt ins Zuschauerrund.

«Wach auf, Brünnhilde»

Wie einst der Komponist, der zunächst das Libretto der «Götterdämmerung» noch unter dem Namen «Siegfrieds Tod» verfasst hatte, denkt der Regisseur den vierteiligen «Ring» vom Ende her. Die intendierte Emanzipation Brünnhildes von ihrem patriarchalischen Göttervater Wotan lässt sie zur zentralen Figur seines Regiekonzepts werden (Co-Regie: Caterina Cianfarini). Anstatt im Feuerkreis zu schlafen und auf ihren Retter Siegfried zu warten, geistert Brünnhilde zu Beginn der Basler «Götterdämmerung» mit gerunzelter Stirn auf der dunklen Bühne herum. Dazu ruft eine Stimme aus dem Off: «Wach auf, Brünnhilde.»

Brünnhilde betrachtet ihre Familiengeschichte von aussen, ist aber zugleich Teil von ihr. Das sorgt immer wieder für logische Brüche, wenn sie zum Beispiel im ersten Aufzug schon als stumme Figur Siegfrieds Untreue im Liebeswerben um Gutrune schmerzvoll beobachtet, später aber trotzdem jubelt, sobald sie Siegfrieds Horn erschallen hört. Da helfen auch die eingesprochenen Texte nicht weiter.

Sie stören vielmehr, weil sie die musikalische Spannung brechen und mit Sätzen wie «Wo bist du, Siegfried?» und «Wo hat all das begonnen?» allzu küchenpsychologisch daherkommen. Trine Möller versteht es trotzdem, der Figur Dringlichkeit zu verleihen. In der Tiefe fehlt es ihrem schlanken, dennoch tragfähigen Sopran noch an Volumen, aber ihr Rollenbild zeigt viele Nuancen zwischen lyrisch und dramatisch, zwischen introvertiert und extrovertiert. Eine wehrhafte Frau mit einem reichen Innenleben.

Auf der Bühne von Natascha von Steiger stehen ein offenes Einfamilienhaus und fünf kahle Bäume, die im Verlauf grossenteils der Kettensäge zum Opfer fallen. Gleich nach dem Vorspiel, in dem die drei Nornen in zerfledderten Glitzerkleidern in die Zukunft geschaut haben, fährt der Umzugswagen vor, kaum dass Siegfried (mit hellem, leuchtendem, etwas einfarbigem Tenor, der nur am Ende an Strahlkraft verliert: Rolf Romei) Brünnhilde auf ihrer Matratze vom Schlaf erlöst und sich danach einen Kaffee eingegossen hat. Die Gibichungen-Halle wird eingerichtet, es geht dort arg menschlich zu. Gunter schwingt den Putzwedel, Hagen (mit kräftigem, aber unausgeglichenem Bass: Patrick Zielke) imitiert auf dem Staubsaugerrohr Siegfrieds Hornruf. Die finsteren Mannen sind eine Partygemeinde, ihre Gewehre schiessen Luftschlangen.

Wie in den vorigen «Ring»-Teilen schaut gelegentlich Wotan grinsend vorbei. Auch die charakteristischen Riesenpuppen als Doubles der Protagonisten kehren zurück, es gibt sie ebenfalls in handlicher Grösse, aber sie sind so oder so redundant und lenken ab vom musikalischen Geschehen, das durch die Leitmotivik Wagners ohnehin unablässig Bezüge zur Vorgeschichte schafft. Auch die kindlichen Wiedergänger von Siegfried und Brünnhilde erscheinen entbehrlich.

Wenn allerdings Siegfried in Begleitung von Drache, Kröte (Alberich) und Wölfen (das Wälsungen-Paar Siegmund und Sieglinde) auf einem echten Pferd gen Rhein reitet, entfaltet das eine grosse theatralische Kraft. Am stärksten gelingen ohnehin die Szenen, die ganz auf Brechungen verzichten, wie Waltrautes Besuch (mit kräftigem, dunklem, weit tragendem Mezzo: Jasmin Etezadzadeh) bei Brünnhilde. Die anderen Walküren sind als stumme Figuren dabei und verstärken die Eindringlichkeit. Die enorme Wirkung entsteht in solchen Momenten nicht zuletzt durch die räumliche Nähe der Sänger zum Publikum.

Orchester aus der Grube

Diese Präsenz wird durch die Platzierung des Orchesters in einem erweiterten, bedeckten Raum unter der Bühne ermöglicht, die Spielfläche reicht dadurch bis zur ersten Zuschauerreihe. Durch ein Gitter im Bühnenboden gelangt der Klang aus der Tiefe in den Theaterraum. Entfernt erinnert das an den überdeckten Graben im Bayreuther Festspielhaus, denn auf diese Weise kommt die Musik, wie dort, direkt von der Bühne. Die Solisten bewegen sich mitten im oder genauer: auf dem Orchester. Das fasziniert, zumal die Balance dadurch sängerfreundlich ausfällt. Dass der Orchesterklang durch die Positionierung trotz leichter Verstärkung an Plastizität und Klangfarben verliert, ist die Kehrseite der Medaille – ein wohl bewusst in Kauf genommener Kompromiss.

Leider geht am Premierenabend in der besagten Orchester-Grube manches schief. Bereits der allererste Bläsereinsatz ist nicht synchron, es klappert. Auch die Koordination mit dem Chor wackelt, und die Horngruppe hat nicht ihren besten Tag. Hits wie «Siegfrieds Trauermarsch» fehlt es an rhythmischer Präzision. Aber dafür zaubern die Holzbläser und singen die Celli. Jonathan Nott versteht es, grosse Bögen zu entwickeln und die melodischen Linien zum Fliessen zu bringen. Die beredte Dramatik und das Sprechende von Wagners Musikdrama stellen sich allerdings zu selten ein. Da helfen auch all die zusätzlichen Texte, stummen Figuren und Puppen nicht weiter. Zwei Aufführungen des kompletten Basler «Ring»-Zyklus sind für Mai und für Juni 2025 geplant.

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