Mittwoch, Oktober 30

Vor zwei Jahren publizierten Astronomen ein Bild, das weltweit geteilt wurde. Jetzt behaupten japanische Forscher: Das Schwarze Loch in unserer Heimatgalaxie sieht ganz anders aus.

Es ist ein Bild für die Geschichtsbücher. Im Jahr 2022 veröffentlichte eine internationale Arbeitsgruppe die erste Aufnahme des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstrasse. Das Bild zeigt einen gleissend hellen Ring mit einem schwarzen Schatten in der Mitte. Damit bestätigte sich, was bereits frühere Beobachtungen nahegelegt hatten. Im Zentrum unserer Milchstrasse ballt sich auf engstem Raum die Masse von rund vier Millionen Sonnen zusammen. In unmittelbarer Umgebung dieser Massenkonzentration ist die Gravitation so stark, dass nicht einmal Licht entweichen kann.

Jetzt haben drei japanische Astronomen Zweifel an dem ikonischen Bild angemeldet. In der Fachzeitschrift «Monthly Notices of the Royal Astronomical Society» erheben sie den Vorwurf, das Bild sei falsch und zeige nicht die wirklichen Verhältnisse. Die ringförmige Struktur sei ein Artefakt der Datenauswertung, schreiben sie. Eine unabhängige Auswertung der Daten liefere eine längliche Struktur, die auf der einen Seite etwas heller sei als auf der anderen.

Damit bezweifeln Makoto Miyoshi und seine Co-Autoren zwar nicht die Existenz des Schwarzen Lochs im Herzen der Milchstrasse. Ihre Analyse der Daten suggeriert jedoch, dass die Materiescheibe, die das Schwarze Loch umgibt, sehr schnell rotiert. Dadurch erscheint jener Teil der Scheibe, der sich auf den Beobachter zubewegt, heller.

In einer offiziellen Stellungnahme weist die internationale Arbeitsgruppe die Kritik zurück. Das im Jahr 2022 veröffentlichte Bild sei das Ergebnis mehrerer Analysen, in die jeweils unabhängige Annahmen eingeflossen seien. Diese Methoden seien durch Simulationen mit im Detail nachgeahmten Rohdaten umfassend überprüft worden. Die EHT-Arbeitsgruppe – EHT steht für Ereignishorizont-Teleskop – stehe deshalb zu ihren Ergebnissen.

Wie aus Rohdaten Bilder werden

Um die Kontroverse zu verstehen, muss man etwas ausholen. Bilder von astronomischen Objekten sind immer ein ungenaues Abbild der Realität. Die mit Teleskopen gewonnenen Rohdaten werden in der Regel bearbeitet, damit sie ein ansprechendes Bild liefern. Das kann je nach Teleskop mehr oder weniger aufwendig sein. So fängt das James-Webb-Teleskop infrarotes Licht auf, das wir mit unseren Augen nicht sehen können. Damit wir uns ein Bild von einer Galaxie, einer Supernovaexplosion oder einer Stern-Entstehungs-Region machen können, müssen die infraroten Wellenlängen in Farben des sichtbaren Lichts übersetzt werden. Dabei gibt es gewisse künstlerische Freiheiten.

Beim Ereignishorizont-Teleskop, mit dem das Bild vom Schwarzen Loch gemacht wurde, sind die Verhältnisse noch komplizierter. Zum einen fängt dieses Teleskop Radiowellen auf, deren Wellenlängen sehr viel grösser sind als die des sichtbaren Lichts. Zum anderen ist das EHT ein Zusammenschluss von acht Teleskopen, die über den gesamten Erdball verteilt sind. Führt man die Rohdaten dieser Teleskope zusammen und korreliert sie anschliessend (man nennt das auch Very Long Baseline Interferometry), lassen sich Details erkennen, die ein einzelnes Teleskop nie auflösen könnte.

Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass die acht Teleskope des EHT jeweils nur Streifen des gesamten Bildes liefern. Die Daten seien lückenhaft, erklärt Torsten Ensslin vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, der nicht zur EHT-Arbeitsgruppe gehört. «Was gemessen wird, ist weniger als das, was nicht gemessen wird. Der Rest muss erschlossen werden.» Deshalb seien die Bilder des Ereignishorizont-Teleskops nicht eindeutig.

Dieses «Erraten» der fehlenden Daten ist eine Wissenschaft für sich. Forscher verwenden dazu verschiedene Algorithmen, in die mehr oder weniger plausible Annahmen einfliessen. Die Gefahr ist, dass man bei der Auswertung der Daten Strukturen findet, die zuvor in die Analyse hineingesteckt wurden.

Erschwerend kommt hinzu, dass das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstrasse ein variables Gebilde ist. An den beiden Beobachtungstagen im April 2017 veränderte die um das Schwarze Loch kreisende Materie immer wieder ihre Helligkeit. Um ein Bild zu erstellen, mussten also nicht nur die fehlenden Informationen ergänzt werden; es mussten auch neue Algorithmen entwickelt werden, um über die verwackelten Aufnahmen zu mitteln. Das erklärt, warum es fast fünf Jahre dauerte, bis im Jahr 2022 das inzwischen berühmte Bild veröffentlicht wurde.

Experten streiten über die richtige Auswertung der Daten

Die Kritik der japanischen Forscher richtet sich gegen die von der EHT-Arbeitsgruppe entwickelten Methoden der Datenauswertung. Verwende man etablierte Methoden, ergebe sich ein anderes Bild des Schwarzen Lochs. Diese Kritik wird von der EHT-Arbeitsgruppe zurückgewiesen. Die EHT-Forscher kehren den Spiess um und monieren zum Beispiel, dass die japanischen Forscher der Variabilität des Schwarzen Lochs keine Rechnung trügen. Ausserdem weisen sie auf fehlerhafte Behauptungen in der Arbeit der japanischen Forscher hin.

Ensslin hat sich die Arbeit der japanischen Forscher noch nicht im Detail angeschaut. Deshalb will er kein abschliessendes Urteil fällen. Allerdings habe seine Arbeitsgruppe die EHT-Daten ebenfalls unabhängig ausgewertet. Das Resultat decke sich mit dem Ergebnis der EHT-Arbeitsgruppe. Im Detail gebe es zwar kleine Abweichungen. Das zeitlich variierende Bild zeige aber stets eine ringförmige Struktur. «Meines Erachtens ist die Ringstruktur damit verifiziert», so Ensslin. Dass die Kritik der japanischen Forscher nun mediale Aufmerksamkeit erhalte, sei nicht gerechtfertigt.

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