Donnerstag, Oktober 10

In der Slowakei fordern Zehntausende den Rücktritt der Kulturministerin. Martina Simkovicova ist ein Star der Verschwörungstheoretiker-Szene und eine Kämpferin gegen Wokeness, aber eine Entlassungswelle könnte ihr nun gefährlich werden.

Als «Rückkehr zur Normalität» bezeichnet die slowakische Kulturministerin Martina Simkovicova ihre umstrittene Politik gerne. Sie meint damit traditionelle Werte und Volkstümlichkeit sowie den Kampf gegen Wokeness und gegen eine angebliche LGBTQ-Ideologie. Während sie rabiat gegen die ihrer Ansicht nach progressive Kunstszene in Bratislava vorgeht, preist sie Anlässe wie das berühmte Folklorefestival Vychodna in der Zentralslowakei.

Mit ihrem Auftritt dort sorgte Simkovicova Anfang Juli allerdings für viel Spott. Die stets modisch gekleidete und sorgfältig geschminkte 52-Jährige hatte schon im Vorfeld angekündigt, dafür eine slowakische Tracht zu tragen. Traditionalisten rümpften aber die Nase über ihre Aufmachung: Das Kleid sei regional nicht zuordenbar, die Plateau-Sandale deplatziert, und statt offen trage eine Frau mit Kindern das Haar üblicherweise unter einer Haube. Eine «Disneylandisierung» von Folklore beklagte die Zeitung «SME» in einem Kommentar. Ihre vielen Kritiker sehen die Episode als Sinnbild für die Inkompetenz der Ministerin.

Simkovicova bekleidet kein Schlüsselressort und wurde als Vertreterin des Juniorpartners in die Koalitionsregierung von Robert Fico entsandt. Nur auf gut 5 Prozent der Stimmen kam die rechtspopulistische Slowakische Nationalpartei (SNS) bei der Wahl im vergangenen September. Und doch hat die Ministerin die Regierungsarbeit der letzten Monate geprägt. Diese Woche demonstrierten in Bratislava an zwei Abenden trotz Temperaturen von über 30 Grad Tausende für ihre Absetzung. Eine Petition mit der gleichen Forderung unterzeichneten in zehn Tagen über 180 000 Menschen.

Entlassungen ohne Gespräche und Begründung

Anlass für die Empörung sind die Absetzungen der Chefs der beiden wohl wichtigsten Kulturinstitutionen des Landes: Vergangene Woche wurde der Direktor des über die Landesgrenzen hinweg renommierten Slowakischen Nationaltheaters Matej Drlicka mit sofortiger Wirkung entlassen, am Tag darauf die Leiterin der Nationalgalerie Alexandra Kusa. Beide erhielten das entsprechende Dekret ohne vorherige Gespräche und ohne Begründung.

Simkovicova lieferte diese inzwischen nach. Sie warf den beiden Direktoren politischen Aktivismus vor, Missmanagement und die Bevorzugung ausländischer Künstler gegenüber slowakischen. Sie hätten so den Ruf ihrer Einrichtungen geschädigt.

Nicht nur die Kulturszene bezichtigt die Ministerin dagegen eines Anschlags auf die Kunstfreiheit, zumal die beiden Entlassungen nur die jüngsten in einer eigentlichen «Säuberungswelle» sind. Zuvor waren bereits der staatlich finanzierten Kunsthalle Bratislava die Gelder gestrichen und die Leiterinnen der Nationalbibliothek sowie des Kindermuseums Bibiana entlassen worden. Dort setzte Simkovicova ihre Nachbarin als neue Chefin ein, die vorher bei IBM und als Yogalehrerin gearbeitet hatte. Die Nationalgalerie leitet nun der frühere Manager einer Investmentgesellschaft, der beim ersten Zusammentreffen mit den Mitarbeitern erklärte, er verstehe nichts von Kunst.

Am meisten Aufsehen hatte Simkovicova indes mit der Auflösung des öffentlichrechtlichen Senders RTVS erregt. Wie alle Regierungen zuvor wollte auch diejenige Ficos die Berichterstattung des Medienhauses mit einem ihr loyalen Generaldirektor beeinflussen. Allerdings war der amtierende Chef erst 2022 für fünf Jahre bestellt worden, was eine Absetzung verunmöglichte. Die auch für Medien zuständige Kulturministerin stellte den Sender deshalb als STVR rechtlich neu auf. Damit endete zugleich die Amtszeit des Generaldirektors. Der neue Interimschef muss wöchentlich bei Simkovicova zum Rapport antreten.

STVR soll künftig ausgewogener berichten, und es sollen laut der Regierung auch «andere Sichtweisen» berücksichtigt werden – etwa diejenige, dass die Erde eine Scheibe ist. Das zumindest erklärte der Stabschef der Kulturministerin in einem Interview im Frühling. «Ist bewiesen, dass es nicht so ist?», fragte er.

Erstaunen kann das nicht. Simkovicova war selbst ein Star in der Szene der Verschwörungstheoretiker, bevor sie im Herbst ihr Amt antrat. Die frühere Fernsehmoderatorin arbeitete viele Jahre für den Privatsender TV Markiza, bis sie 2015 wegen rassistischer und homophober Facebook-Postings entlassen wurde. Seither betreibt sie auf Youtube ihren eigenen Desinformations-Kanal TV Slovan, der mit Kreml-Propaganda, Impfskepsis und Antiamerikanismus auffällt.

Eine rechte Influencerin und Überzeugungstäterin

Simkovicova wurde so eine rechte Influencerin, deren erste politische Schritte noch kläglich scheiterten. 2023 setzte sie der SNS-Chef Andrej Danko aber ebenso wie andere kontroverse Figuren auf seine Wahlliste in der Hoffnung, so den Wiedereinzug der Partei ins Parlament zu schaffen. Das gelang zwar nur knapp, doch dass Fico die SNS als Mehrheitsbeschafferin brauchte, verschafft ihr überproportionales Gewicht.

Seither versucht die Partei, ihre Ideologie durchzusetzen. Auch Fico fällt zwar mit brachialer Rhetorik auf, aber ihm geht es vor allem um Macht und weniger um Inhalte. Ganz anders Simkovicova, die eine Überzeugungstäterin und seine Frau fürs Grobe ist. Das Regierungsamt hält sie nicht von Anfeindungen gegen die Opposition, Journalisten, Migranten und sexuelle Minderheiten ab. So machte sie Anfang Juli die «LGBTQ-Ideologie» für den Niedergang Europas und das Aussterben der «weissen Rasse» verantwortlich. Die Aussage brachte ihr eine Anzeige ein.

Ob die gegenwärtige Protestbewegung Simkovicova gefährlich werden kann, ist offen. An ihrem Handeln dürfte sich Fico grundsätzlich nicht stören, aber es bringt die Bevölkerung gegen die Regierung auf in Bereichen, die dem Ministerpräsidenten nicht sonderlich wichtig sind. Geht sie dabei zu weit, könnte er sich zu Konsequenzen gezwungen sehen.

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