Dienstag, November 26

Die private Wirtschaftshochschule IMD listet Unternehmen nach ihrem Potenzial auf, in Zukunft noch relevant zu sein. Was ist von den Ergebnissen zu halten?

Die Lausanner Privathochschule IMD geht jedes Jahr der Frage nach, welche Firmen am besten für die Zukunft aufgestellt sind. Und welche ihre Strategie überdenken sollten. Dabei stellt die IMD teilweise gewagte Prognosen auf.

Im am Dienstag veröffentlichten «Future Readiness Indicator» der IMD sind auch Schweizer Unternehmen vertreten. Zwei davon stechen hervor: Das eine ist die Swatch Group, die mehrere Punkte verloren hat und nur noch den zweitletzten Platz unter den Modeunternehmen besetzt. Das andere und hierbei überraschendere ist der Basler Pharmakonzern Roche, der branchenweit auf Platz eins aufgestiegen ist.

Gefüllte Produktionspipeline

Dass Roche auf dem ersten Platz die Pharmaunternehmen noch vor Novo Nordisk und Eli Lilly anführt, kommt unerwartet. Denn die dänischen und die amerikanischen Konkurrenten von Roche dominieren derzeit den Markt mit ihren Abnehmspritzen. Roche hingegen enttäuschte in den vergangenen Monaten seine Anleger.

Der Kurs der Roche-Genussscheine sank Anfang Mai auf ein Tief und hat sich seither nur bedingt wieder erholt. Es gab Rückschläge auf der Produktseite – etwa scheiterte Roche vor zwei Jahren mit seinem Alzheimermedikament Gantenerumab, in das die Pharmabranche viel Hoffnung gesetzt hatte.

Laut dem für das Ranking verantwortlichen IMD-Professor Howard Yu schneidet Roche dennoch besser ab, weil das Unternehmen breiter aufgestellt sei als seine Mitbewerber. Finanziell habe es bei Roche in letzter Zeit zwar nicht so gut ausgesehen, sagt er. Die Produktepipeline sei jedoch gut gefüllt, das Unternehmen investiere viel in Forschung und Entwicklung, ohne das Budget überzustrapazieren.

Roche entwickelt Medikamente sowohl gegen Krebs als auch gegen Augenkrankheiten und hat neben dem Medikamentengeschäft auch eine Diagnostiksparte. Das Produktportfolio von Roche ist im Branchenvergleich relativ breit. Wie hoch die Erfolgsquote einzelner Medikamente ist, kann zurzeit jedoch noch nicht im Detail eingeschätzt werden.

Teenager im Wachstumsschub

Yu sagt, Pharmaunternehmen müssten sich in therapeutischen Bereichen diversifizieren. «Sich nur auf eine Technologie zu verlassen, nur einem ‹shiny object› hinterherzujagen, ist fatal.» Yu erwähnt in diesem Zusammenhang auch die mRNA-Technologie der Corona-Impfstoffe, von der sich Unternehmen wie Pfizer einen Durchbruch im Markt erhofften. Das erwies sich als Fehleinschätzung, der Hype blieb aus.

Des Risikos, sich zu sehr auf eine Technologie zu verlassen und den Rest des Geschäfts zu vernachlässigen, seien sich Novo Nordisk und Eli Lilly aber bewusst, sagt Yu. So arbeite etwa Novo Nordisk auch daran, in andere Behandlungsbereiche vorzustossen und GLP-1 nicht nur gegen Übergewicht, sondern auch gegen Herzkrankheiten einzusetzen. «Im Moment sieht es danach aus, als würden sie die richtigen Dinge tun», sagt Yu. Das könne sich aber schnell wieder ändern.

Yu vergleicht Novo Nordisk und Eli Lilly mit Teenagern im Wachstumsschub. Gerade gewännen sie durch den GLP-1-Boom rasant an Grösse, wirkten dabei aber etwas disproportional. Roche dagegen sei eine über lange Zeit gewachsene Firma, die Organisation sei reifer, erfahrener.

Man sollte nicht mit jedem Hype mitgehen

Der Schweizer Pharmakonzern Roche nimmt in diesem Szenario die Rolle des vernünftigen älteren Bruders ein. «Die Kunst eines Pharmaunternehmens ist es, überzeugende Wege zu finden, wie es Hypes mit den langfristigen unternehmerischen Ambitionen zusammenbringt», sagt Simon Grand. Er ist Professor für Innovations- sowie strategisches Management an der Universität St. Gallen.

«Wenn man mit jedem Hype mitgeht, verliert man die strategische Kontinuität», sagt Grand. Wissen werde über Jahre aufgebaut, Technologien würden entwickelt, ein Netzwerk zu anderen Pharmaunternehmen oder akademischen Institutionen werde etabliert. Das könne eine Firma nicht von heute auf morgen umstellen. Roche sei denn auch primär von langfristigen strategischen Entscheidungen geprägt und nicht von kurzfristigen Bewegungen des Aktienkurses.

Generell sei die Pharmaindustrie eine Branche, in welcher der Faktor Zeit eine grosse Rolle spiele, sagt Grand. Denn es dauert, bis sich aus der Grundlagenforschung ein Produkt herauskristallisiert, das sich kommerziell vertreiben lässt. An manchen Projekten wird jahrelang geforscht, nur um herauszufinden, dass sie sich nicht lohnen.

Eine Momentaufnahme

Für Roche und seine Anleger und Anlegerinnen ist das aktuelle Resultat erfreulich. Aus methodologischer Sicht sind solche Rankings jedoch mit Vorsicht und als Momentaufnahme zu betrachten. Denn Potenziale sind nicht messbar. Rankings wie dasjenige der IMD mit Punktezahlen und Listen sollten daher in erster Linie als Orientierungshilfe gesehen werden.

Die Methode des Rankings

Der «Future Readiness Indicator» der privaten Hochschule IMD erhebt Daten zu sieben Faktoren und mehreren zugrunde liegenden Variablen, etwa zu Finanzkennzahlen wie dem Börsenwert oder dem Gewinn, aber auch zur Zahl von Investitionen oder zur medialen Berichterstattung. Die IMD, die auf ein 1957 vom Nestlé-Konzern gegründetes Institut zurückgeht, verwendet von den Unternehmen selbst publizierte Dokumente wie Jahresberichte. Sie wertet aber auch Medienberichte danach aus, wie häufig die untersuchten Unternehmen im Zusammenhang mit einem bestimmten Thema erwähnt wurden – im Pharmasektor etwa Branchentrends wie personalisierte Medizin oder digitale Therapiemöglichkeiten.

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