Seit der norwegischen Missionar Hans Egede Grönland 1721 für die dänische Krone annektierte, waren die Grönländer Bürger zweiter Klasse.
In Grönland prägten forcierte Modernisierung, Entwurzelung und Danisierung des Schulwesens die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Von 1964 bis 1991 sorgte ein Gesetz dafür, dass Staatsangestellte mit dänischem Geburtsort besser bezahlt wurden als ihre grönländischen Kollegen. Die Grönländer fürchteten, ihre Sprache und Kultur zu verlieren, sie waren gezwungen, ihre Identität preiszugeben, ohne aber von den Dänen als gleichwertig anerkannt zu werden.
Das war die Geburtsstunde des grönländischen Rock. Das erste Album in grönländischer Sprache, betitelt «Wohin», war 1973 ein Riesenerfolg. Das Cover zeigt einen Holzschnitt von 1860: Ein Inuk hat soeben den letzten Wikinger niedergestreckt und ihm einen Arm abgehackt.
Nah an der Welt der Geister
Sume – so hiess die Band – revitalisierte die vom norwegischen Missionar Hans Egede bekämpfte schamanische Trommel. Egede hatte Grönland 1721 für die dänische Krone annektiert. Sumes Texte hatten gemäss einer Nuuker Hochschulschrift grosse Bedeutung für die «Wiederbelebung einer nuancierten und selbständigen grönländischen Sprache». Sume baute in die Songs Phrasen wie «Aajai ja aai aajaa aa» ein, die die Inuit beim Trommelgesang verwendet hatten. Sie wurden zu Lautsymbolen grönländischer Identität.
In Sumes Tradition steht heute der Rapper Tarrak. Als 15-jähriger Schüler erlebte er in Dänemark Rassismus und Stigmatisierung. «So wurde mir bewusst, dass ich Grönländer bin», sagte er kürzlich einer dänischen TV-Station. Sein Video «Tupilak» (2016) wurde 300 000 Mal angeklickt – das Fünffache der grönländischen Einwohnerzahl. «Die Dänen fühlen sich den Grönländern überlegen», sagt Tarrak, und er rappt: «In der Schule reüssieren wir nur, wenn wir eine Sprache sprechen, die nicht die unsere ist.»
Obwohl Grönländisch seit 2009 alleinige Amtssprache ist, wird an Gymnasien auf Dänisch unterrichtet, hat Dänisch in Wirtschaft und Verwaltung nach wie vor eine starke Position. «Unsere Geschichte wurde nicht von uns geschrieben», sagt Tarrak. Die Grönländer, ein Volk ohne Bücher, tradierten ihre Kultur mündlich. Viele seien mit dänischer Fernsehkost aufgewachsen, ihr Bild vom guten Leben sei dänisch. Das will Tarrak ändern. Er identifiziert sich mit Inuit-Werten. Inuit-Tattoos, die der Missionar Egede einst bekämpfte, schmücken seinen Körper. Die auf die Nase tätowierte Brücke signalisiert, dass er nah an der Welt der Geister ist.
Kampf um eine Statue
Auch mit seinen Landsleuten geht der Rapper ins Gericht. Die Dänen «labeln uns als Säufer und Nobodys». Tatsächlich, so Tarrak, gebärden sich manche Grönländer im Ausland als Säufer. «Sie lassen uns schlecht aussehen. / Wir kehren kaputt nach Hause zurück, / betrachten uns selbst als wertlos.» «Grönländer! Wacht auf! . . . Wir sind Tupilak.»
Tupilak war im alten Grönland ein Wesen mit magischen Kräften, das der Schamane zum Leben erweckte, um jemandem, etwa aus Rache oder Missgunst, gezielt zu schaden. Nicht ohne Risiko. Wenn das Opfer über einen starken Gegenzauber gebot, griff Tupilak seinen eigenen Schöpfer an.
Im Video rappt Tarrak vor Egedes Statue, die auf einem Hügel über der Stadt Nuuk thront. Sie wurde wiederholt mit Farbe übergossen, ja geköpft, der Bischofsstab durch eine Peitsche ersetzt. Vor dem 300. Jahrestag von Egedes grönländischer Landnahme 2021 forderte eine Unterschriftensammlung ihren Abriss: «Versenken wir sie im Meer!» Eine andere Unterschriftensammlung warb für «Grönlands Apostel», der der Insel das Christentum brachte. Schliesslich hätten Nuuker Bürger das Denkmal zu Egedes 200. Geburtstag errichtet.
Eine Volksabstimmung wurde angesetzt. Bei einer Stimmbeteiligung von 6,5 Prozent obsiegten mitten in den Sommerferien die Verteidiger des Standbilds mit 921 zu 600 Stimmen.