Dienstag, November 26

Die Musiker von MC5 haben Heavy Metal und Punk vorweggenommen. Ein letztes Album erinnert an den nachhaltigen Einfluss der Rockpioniere aus der «Motor City».

Auf der Bühne schlugen MC5 über die Stränge wie nur wenige Rockbands. Es ging den Musikern aus Detroit nicht um den üblichen Teenage-Zorn, man wollte eine klangliche Revolution anzetteln: «Der brutale, gewalttätige RockʼnʼRoll peitscht die Zuhörer auf die Strassen, bis sie schreien, kreischen und alles niederreissen, was die Menschen zu Sklaven macht», so sah das jedenfalls John Sinclair, der Bandmanager.

Unter Sinclairs Ägide avancierten MC5 Mitte der 1960er Jahre zur linken Vorzeigeband. Als sie sich später aber nicht mehr vor den Karren revolutionärer Politik spannen lassen wollten, beeinflusste das ihr Schicksal prompt sehr negativ. Der Misserfolg führte Anfang der siebziger Jahre zur Bandauflösung, der später einige Reunions auf der Konzertbühne folgten. Nun aber bringt ein verspätetes MC5-Album die Geschichte der Band ins Gedächtnis zurück.

Rockmusiker mit Heldenstatus

Die beiden Proleten Fred Smith und Wayne Kramer kommen aus Lincoln Park, einem Vorort von Detroit, der sogenannten «Motor City». Als Teenager besuchen sie am Wochenende Dragster-Autorennen; in der übrigen Freizeit spielen sie Gitarre in konkurrierenden Garagen-Bands.

Mitte der sechziger Jahre sortieren Smith, der spätere Ehemann von Patti Smith, und Kramer die musikalischen Nichtskönner aus, um gemeinsame Sache zu machen. Rob Tyner stösst als Sänger dazu. Der belesene Beatnik mit Mikrofonfrisur und dicker Pauke sieht zwar nicht wie ein geborener Frontmann aus. Dafür hat er Soul in der Stimme. Angetrieben von aufgedrehten E-Gitarren, entwickelt er auf der Bühne ausserdem eine beachtliche Agilität.

Von Tyner stammt auch der Bandname, ein Akronym für «Motor City Five». «Rob fand, das höre sich an wie eine Seriennummer, es passte also hervorragend zum Leben zwischen Autofabriken. Immerhin kamen wir aus Detroit, und MC5 hörten sich an, als wären sie auf dem Fliessband entstanden», erzählt Wayne Kramer in «Please Kill Me», der berühmten Punk-Geschichte von Legs McNeil und Gillian McCain.

Heldenstatus erlangen die Musiker von MC5, als sie im August 1968 bei den Anti-Vietnam-Protesten in Chicago auftreten. Die Nachrichtensendungen zeigen Abend für Abend die verstörenden Aufnahmen von Polizisten, Soldaten und Nationalgardisten, die sich blutige Strassenschlachten mit den Demonstranten liefern. Wenige Tage zuvor sind sowjetische Truppen in der Tschechoslowakei einmarschiert, um Prag zu besetzen. Eine Koinzidenz, die man weidlich ausschlachtet.

Die linke Szene feiert die «Schlacht von Tschechago» als bestandene Bewährungsprobe für die anstehende Revolte. Und MC5 sind mittendrin und wagen sich trotz Gewaltausbrüchen auch tatsächlich auf die Bühne – im Unterschied zu anderen Musikern wie etwa Country Joe and The Fish oder Neil Young.

Verschwitzte Nächte

Nach Chicago gelten MC5 als «heissester Scheiss» der Rockmusik. Die begnadete Live-Band fällt den Entschluss, als Debütalbum einen Konzertmitschnitt zu veröffentlichen. Zwei verschwitzte Nächte Ende Oktober im Detroiter Grande Ballroom reichen, und «Kick Out the Jams» (1969) ist im Kasten – eines der Gründungsdokumente jenes Krachs, den die einen bald darauf als Heavy Metal, die andern als Punk bezeichnen werden.

Wayne Kramers Leadgitarren-Kakofonie kann man mit etwas Phantasie allerdings auch als Free-Jazz-Anverwandlungen durchgehen lassen. Umso mehr noch, als MC5 mit grosser Lust an psychedelischen Geräuscheffekten eine Predigt des Jazzpropheten Sun Ra vertonen. Das Repertoire ist so prätentiös genug, damit die Intelligenzia nicht den Eindruck hat, sich unter ihrem Niveau zu amüsieren. Gleichzeitig müssen sich auch die Plebejer nicht über Gebühr langweilen.

Die Musikpresse reagiert zwar mit jenem Unverständnis, das immer herrscht, wenn etwas so ungewohnt ist, dass einem die Bewertungskriterien fehlen. Dank den Fans aber erreicht das Album Platz 30 in den Billboard-Charts und kann sich dort 23 Wochen lang halten. Das ist weit mehr als ein Achtungserfolg für eine musikalische Herausforderung dieser Art.

Unterdessen hat der MC5-Mentor John Sinclair die White Panther Party gegründet; sein politisches Umfeld wird radikaler. Zusammen mit der lokalen Fraktion der Black Panthers machen Sinclairs Aktivisten in einem verlassenen Waldstück Schiessübungen, um sich auf kommende Auseinandersetzungen mit den sogenannten «Pigs» – den weissen Reaktionären – vorzubereiten. Irgendwann wird das Rekrutierungsbüro der CIA an der Universität von Michigan in die Luft gesprengt. Ein loser Haufen Blumenkinder mutiert zur militanten Stadtguerilla.

MC5 aber wollen da nicht mitmachen, sie lösen sich von Sinclair und vollziehen einen Imagewechsel. Die aufrührerischen Kommentare werden auf ein moderates Mass gedimmt. Auf dem zweiten Album «Back in the USA» (1970) aber klingen MC5 wie andere laute Rockbands.

Prompt ist den Linken das neue Album nicht revolutionär, den Musikfans nicht kreativ genug. Das wirkt sich negativ auf die Verkaufszahlen aus. Erst in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, als die Punk-Generation sich dem ursprünglichen RockʼnʼRoll zuwendet, wird «Back in the USA» ästimiert. MC5 aber haben sich unterdessen aufgelöst, nachdem auch ihr drittes Album, «High Time» (1971) spektakulär gescheitert war. Wayne Kramer und der Bassist Michael Davis verdienen ihr Geld mittlerweile als Drogenhändler und landen dann für Jahre im Knast.

Vom Knast zurück auf die Bühne

Nun aber beginnt die Mythenbildung, und die Musiker profitieren davon. Sie fangen sich alle und machen in verschiedenen Konstellationen weiter Musik. Hin und wieder sogar recht erfolgreich – wie die Solokarriere Wayne Kramers belegt.

Kramer schwingt sich auch zum MC5-Nachlassverwalter auf und koordiniert die diversen Wiederbelebungsversuche seit Anfang des Jahrtausends. Fred Smith ist 1993 an einem Herzversagen gestorben. Die Reunion der überlebenden Urmitglieder – Kramer, Davis und der Schlagzeuger Thompson – bringt es nun nochmals auf 200 Konzerte. Ein viertes Album soll folgen, aber im Studio bekommen die Musikerkumpels nicht mehr viel zustande.

Das uneingelöste Versprechen eines vierten Albums nagt noch lange an Kramer, und so entwickelt er zusammen mit dem Rock-Produzenten Bob Ezrin eine besondere Idee: «We are all MC5». Freunde der Band und Kinder im Geiste sollen MC5 zu einem letzten Triumph verhelfen. Dafür klemmt sich auch Dennis Thompson noch einmal für zwei Songs hinter sein Drum-Set. Tragischerweise wird das Projekt von der Covid-Pandemie durchkreuzt. Die Albumveröffentlichung verzögert sich, bis auch die letzten verbliebenen Bandmitglieder Kramer und Thompson sowie der Zampano John Sinclair verstorben sind.

Wenn jetzt dennoch das Album «Heavy Lifting» erscheint, so wirkt es eigentlich weniger wie ein MC5-Album als wie ein Solowerk Wayne Kramers. Der Gitarrist hat dabei von der Unterstützung durch bekannte Musiker wie Tom Morello, Vernon Reid, Slash oder William DuVall profitieren können. Es gibt also kein echtes neues MC5-Album – aber wenigstens hält «Heavy Lifting» die Erinnerung an die legendäre Band wach. Das immerhin ist Wayne Kramer gelungen.

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