Dienstag, November 26

Der Schattenmann strahlt trotz Verletzung: Rodri gewinnt den Ballon d’Or und widmet den Preis seinen Positionskollegen. Für Missstimmung an der Gala in Paris sorgt Real Madrid.

Der Weltfussballer kam auf Krücken. Rodrigo Hernandez Cascante hat sich im vergangenen Monat das Kreuzband gerissen – wenige Tage nachdem er einen Streik von Fussballern wegen Überbelastung in Aussicht gestellt hatte.

Doch die Auszeichnung mit dem Ballon d’Or würdigt ja die Vergangenheit, und in der Saison 2023/24 hatte Rodri 63 Mal auf dem Platz gestanden. Mit seinem Klub Manchester City gewann er das englische Championat und verpasste knapp den Champions-League-Final; mit Spanien gewann er die EM, nach der er zum besten Spieler des Turniers gekürt wurde.

Rodri ist ein untypischer Fussballer – in vielerlei Hinsicht

Dafür gab es nun also den Goldenen Ball, und auf der Bühne im Pariser Théâtre du Châtelet hätte Rodri kaum bewegter wirken können. Als Erstes dankte er seiner Freundin, dann definierte er sich als «einen Mann, der Fussball aus Liebe spielt» und später als «einen normalen Jungen, mit Werten, der studiert, der versucht, die Dinge richtig zu machen, der kein so grosses Augenmerk auf die Stereotype ausserhalb des Fussballs legt».

Bei Rodri ist das keine Koketterie: Am Anfang seiner Profikarriere bei Villarreal lebte er noch im Studentenwohnheim im nahen Castellón, spielte Tischtennis mit den Kommilitonen, kochte, wusch seine Wäsche wie jeder andere. Und selbst heute, da er ein Star des Weltfussballs ist, fährt er in Leihwagen zum Mannschaftstraining von Manchester City.

Die Auszeichnung für einen untypischen Spieler war in vielerlei Hinsicht aber gleichzeitig symbolisch. Rodri selbst gab ihr den Überbau, als er seine Würdigung auch einstigen Granden in seinem Mannschaftsteil wie Xavi, Iniesta oder Busquets widmete – also grossen spanischen Mittelfeldspielern, die nie mit dem Goldenen Ball ausgezeichnet worden waren. «Das ist ein Sieg des spanischen Fussballs und besonders des ‹mediocentro›», sagte Rodri. Der «mediocentro» ist, was man im deutschen Sprachgebrauch als «Sechser» bezeichnet: der Spieler vor der Abwehr, der Stratege, zuständig für das Gleichgewicht, Balleroberungen und den ersten Pass im Aufbauspiel, der zwar nur selten spektakulär, dafür aber umso wichtiger ist.

Rodri ist der zeitgenössische Maestro dieser Spezies. Im Vergleich zu Sergio Busquets, dem jahrelangen Ideal auf dieser Position und Rodris Vorgänger im Nationalteam, stellt er zugleich eine Weiterentwicklung dar, weil er robuster und torgefährlicher ist. Busquets war sein Vorbild, als Rodri in der Jugend von Atlético Madrid ausgebildet wurde und nach den Jahren bei Villarreal dorthin zurückkehrte.

Doch wie wenig der Job als Sechser damals noch geschätzt wurde, zeigt, dass es Busquets nie auch nur auf die Auswahlliste beim Ballon d’Or schaffte. Mit Rodri haben sich die Zeiten geändert. «Viele Freunde haben mir geschrieben, dass der Fussball gewonnen hat», sagte er auf dem Podium in Paris. «Wir ‹mediocentros› arbeiten sonst im Schatten. Aber heute kommen wir ans Licht.»

Für das Fussballland Spanien ist Rodri der erste Ballon-d’Or-Gewinner seit Luis Suarez Miramontes im Jahr 1960. Die Würdigung Rodris verdeutlicht die kollektive Dominanz der Iberer: Zurzeit sind sie Europameister bei den Männern, Weltmeister bei den Frauen, Nations-League-Sieger bei beiden Geschlechtern. Und diese Überlegenheit der Spanier schlug sich auch in den individuellen Auszeichnungen nieder: Aitana Bonmati vom FC Barcelona gewann wie schon im Jahr zuvor den Hauptpreis bei den Frauen, nachdem in den zwei Jahren zuvor bereits ihre Klubkollegin Alexia Putellas triumphiert hatte. Der 17-jährige Barça-Spieler Lamine Yamal wurde zum besten Jungprofi gekürt, wie bereits 2022 und 2021 seine Klubkollegen Gavi und Pedri.

Real offenbart sich als kleingeistig

Und doch kamen auch die Verlierer der Fussball-Oscars aus Spanien. Es waren überraschende Verlierer, weil sie eigentlich keine waren. Doch sie stilisierten sich selbst zu Opfern: Der Champions-League-Sieger Real Madrid räumte zwar den Preis für das Team des Jahres ab – auch diesen Preis gibt es neuerdings; bei den Frauen siegte Barcelona – und sah seinen Trainer Carlo Ancelotti als Trainer des Jahres gewürdigt. Der Neuzugang Kylian Mbappé wurde ex aequo mit Harry Kane zum Goalgetter des Jahres und seine Profis Vinicius Junior, Jude Bellingham und Dani Carvajal auf die Plätze zwei bis vier beim Goldenen Ball gewählt. Doch niemand vom Verein kam, um die Preise entgegenzunehmen. Mbappé durfte nicht in seine Heimat reisen, Ancelotti nicht seine bisher grösste internationale Auszeichnung feiern. Real boykottierte die Veranstaltung schlichtweg.

Dabei stand ein königliches Charterflugzeug für fünfzig Personen schon auf dem Rollfeld des Madrider Flughafens bereit – als sich am Mittag die Gerüchte erhärteten, wonach der Goldene Ball an Rodri gehen würde und nicht wie von Real seit Tagen angenommen an Vinicius. Und so stornierte der Verein kurzerhand den Trip. «Der Ballon d’Or existiert für uns nicht mehr», sagten Klubvertreter, die Veranstalter France Football und Uefa hätten Real «nicht respektiert», weshalb ihnen nun auch kein Respekt entgegengebracht werde. Glaube keiner Wahl, die du nicht selbst gewinnst – Reals merkwürdiger Akt von Fussball-Trumpismus stiess auf viel Irritation. Real Madrid offenbarte sich vor der Fussballwelt als kleingeistig – und Vinicius gerierte sich wie ein verzogenes Kind.

Im eigenen Land war das PR-Desaster angesichts der spanischen Erfolge noch grösser. «Des grössten Klubs der Welt unwürdig», zürnte die Real-nahe «Marca». Eine «Mourinhoisierung» stellte das Konkurrenzblatt «As» fest und erinnerte damit an die dunklen Künste des früheren Real-Trainers José Mourinho aus Portugal. Womöglich lagen in Madrid aber auch einfach die Nerven blank nach dem 0:4-Debakel am Samstag im Clásico gegen den Erzrivalen Barcelona.

Worin sich Real verschaukelt fühlen könnte, blieb jedenfalls schleierhaft. Nach einer Reform des Abstimmungsmodus wählten diesmal 100 Journalisten aus den ersten 100 Ländern der Fifa-Weltrangliste. Ähnlich wie beim Eurovision Song Contest konnten sie aus der Liste von 30 Kandidaten zwischen 1 und 15 Punkten verteilen.

Es gab gute Gründe, Vinicius an erste Stelle zu setzen – er spielte eine exzellente Champions-League-Saison. Aber auch solche, es nicht zu tun – er absolvierte eine miserable Copa América. Wenn es überhaupt einen Affront gegeben hat, dann am ehesten jenen, dass Toni Kroos nur auf Rang neun landete. Wie wichtig der Deutsche für das Erfolgsjahr von Real war, zeigt der spielerische Verfall seit seinem Rücktritt. Aber Kroos wurde ja wenigstens mittelbar geehrt: Seine Funktion auf dem Platz ähnelte der von Rodri.

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