Montag, Oktober 7

Energieminister Albert Rösti kann einen ersten Etappensieg feiern. Doch er bleibt sich treu.

Alle haben auf diesen Tag gewartet. Als Albert Rösti Anfang 2023 das Energiedepartement übernahm, zweifelten weder Freund noch Feind auch nur eine Sekunde daran, dass er versuchen würde, den Bau neuer Atomkraftwerke (AKW) in der Schweiz wieder zu ermöglichen. Doch der Berner liess sich nicht drängen. Er kennt die Regeln des Politbetriebs gut genug, um zu wissen, dass er behutsam vorgehen muss, einen Schritt nach dem anderen.

Immer wieder wurde Rösti vor der Abstimmung über das Stromgesetz im Juni nach dem AKW-Verbot gefragt – doch er vermied es tunlichst, klare Antworten zu geben. Damals ging es um die Förderung erneuerbarer Energien. Rösti hat sich stark für die Vorlage engagiert, gegen erbitterten Widerstand seiner eigenen Partei. Er hat gewonnen. Jetzt ist Zeit für den nächsten Schritt, nunmehr im Einklang mit der SVP.

Am Mittwoch hat sich Albert Rösti im Bundesrat durchgesetzt: Mit Verweis auf die Versorgungssicherheit will die Landesregierung das bestehende AKW-Bauverbot nach sechs Jahren wieder aus dem Kernenergiegesetz entfernen. Damit wäre rein rechtlich nicht nur die Erstellung neuer AKW wieder erlaubt, auch die Möglichkeiten zum Weiterbetrieb bestehender Kraftwerke dürften sich verbessern. So liessen sich allenfalls die Laufzeiten der vier AKW verlängern, die heute am Netz sind und rund ein Drittel der gesamten Stromproduktion der Schweiz beisteuern.

Auf den Chef kommt es an

Der Weg bis zur Umsetzung ist weit und ungewiss, doch bereits dieser erste Entscheid des Bundesrats ist spektakulär. Zustande gekommen ist er erst im zweiten Anlauf, eine erste Diskussion Mitte August ist laut gut informierten Quellen ergebnislos verlaufen. Rösti und seine Fachleute mussten weitere Informationen und Antworten auf kritische Fragen nachliefern. Das scheint ihnen gelungen zu sein, wie der Entscheid vom Mittwoch zeigt.

Was der Bundesrat beschlossen hat, ist der Anfang vom Ausstieg aus dem Ausstieg. Der Entscheid verdeutlicht, dass es auch in einer Kollegialregierung à la Bundesrat im Einzelfall sehr wohl darauf ankommen kann, wer welches Departement übernimmt. Hätte nach den Bundesratswahlen im Dezember 2022 ein anderes Regierungsmitglied das Energiedossier übernommen – zum Beispiel Mitte-Frau Viola Amherd, die politische Erbin von Doris Leuthard, der «Mutter des Atomausstiegs» –, dann wäre dieser Beschluss heute schwierig vorstellbar.

Albert Rösti lanciert die Rehabilitierung der Atomkraft nicht aus heiterem Himmel, sondern in Form eines Gegenvorschlags zur Volksinitiative «Blackout stoppen». Diese verlangt kurz und knapp eine sichere Stromversorgung mit klaren Verantwortlichkeiten, zudem sollen alle klimaschonenden Arten der Stromerzeugung zulässig sein – also auch AKW. Weil der Gegenvorschlag gemäss Röstis Plan die Forderungen der Initiative weitgehend erfüllen würde, ist gut denkbar, dass diese zurückgezogen wird. Hinter ihr stehen insbesondere Vertreter von SVP und FDP sowie der Energie Club Schweiz.

Das Volk hat fast sicher das letzte Wort

Doch Rösti bleibt sich treu. Auch jetzt noch, nach dem ersten Etappensieg, ist er spürbar bemüht, den Ball flach zu halten. In einem am Mittwoch publizierten Faktenblatt betont sein Departement, die Aufhebung des Verbots bedeute nicht, dass der Bau neuer AKW in der Schweiz bereits beschlossene Sache sei. Vielmehr gehe es darum, durch «eine technologieoffene Haltung» Spielräume zu schaffen und ein Signal an junge Nachwuchskräfte zu senden. Denn, so das Departement Rösti: «Neue qualifizierte Fachkräfte wären nicht nur beim Neubau eines KKW sehr gefragt, sondern es braucht sie auch für die Sicherstellung des Langzeitbetriebs und den Rückbau der bestehenden KKW.»

Der Zeitplan indes ist ehrgeizig. Noch dieses Jahr will Rösti seinen Gegenvorschlag in die Vernehmlassung schicken, bereits ab Sommer 2025 könnte das Parlament darüber beraten. Falls die Initiative später zurückgezogen wird, fände nicht automatisch eine Volksabstimmung statt. Allerdings ist anzunehmen, dass die Linke das Referendum gegen die Aufhebung des Bauverbots ergreifen würde, womit das Volk das letzte Wort hätte.

Somit käme es dann zum energiepolitischen Showdown an der Urne: Ziemlich genau zehn Jahre nach der Abstimmung vom Mai 2017, in der das Volk mit der Zustimmung zur Energiestrategie das AKW-Bauverbot besiegelt hat, müsste es sich nun fragen, ob das damals wirklich eine gute Idee war.

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