Trump setzt die Ukraine unter Druck. Doch die USA waren schon immer vor allem an einem interessiert: ihre Interessen durchzusetzen.

Wer hat was gesagt? Wie war die Körpersprache? Wer ist schuld an der Eskalation? Selten ist eine Begegnung zwischen zwei Politikern so genau analysiert worden wie das denkwürdige Treffen von Trump und Selenski im Weissen Haus.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Genauso aussergewöhnlich ist, wie wenig wir über den Gegenstand des Streits tatsächlich wissen. Es ist nur bekannt, dass das Rohstoffabkommen keine militärischen Sicherheitsgarantien enthält und mehrmals zugunsten der Ukraine revidiert worden ist. Sonst tappen wir völlig im Dunkeln. Die Psychologie des Treffens interessiert viel mehr als die Ökonomie.

Prinzip des Helfens

Weil so wenig über das Abkommen bekannt ist, kann munter spekuliert werden. So glaubt zum Beispiel der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers, es handle sich um eine «Versailles-ähnliche» Vereinbarung. Damit meint er den Friedensvertrag von Versailles (1919), mit dem Frankreich und Grossbritannien das besiegte Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg bestraften – vor allem mit Gebietsverlust und hohen Reparationsforderungen.

Summers plädiert dafür, sich stattdessen am Marshall-Plan zu orientieren. Dort habe sich Amerika hauptsächlich am «Prinzip des Helfens» orientiert, indem es die vom Krieg geschädigten Länder grosszügig mit Krediten und Darlehen unterstützt habe.

Dass der Marshall-Plan bessere Ergebnisse brachte als der Versailler Vertrag, steht ausser Frage. Die harte Bestrafung nach dem Ersten Weltkrieg stärkte die rechtsextremen Parteien in Deutschland und trug zur grossen Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre bei.

Als Folge davon kam Hitler an die Macht und löste den Zweiten Weltkrieg aus. Der Marshall-Plan hingegen verstetigte das deutsche Wirtschaftswunder, förderte die Integration Westeuropas und legte so die Grundlage für eine lange Phase des Friedens und der Prosperität. Summers hat vollkommen recht, wenn er empfiehlt, den Marshall-Plan als Vorbild zu nehmen.

Eigeninteressen

Aber seine Behauptung, die USA hätten sich nach dem Zweiten Weltkrieg hauptsächlich am Prinzip des Helfens orientiert, ist zu einseitig. Washington hat nicht nur aus Nächstenliebe Geld nach Westeuropa geschickt, sondern auch aus geopolitischen und materiellen Interessen, die ähnlich gelagert waren wie diejenigen, die dem Rohstoffabkommen zwischen der Ukraine und den USA zugrunde liegen.

Damals wie heute geht es für Washington darum, eine finanzielle Entschädigung für seine Kriegsausgaben zu sichern, und in beiden Fällen geschieht dies über eine Öffnung des Marktes für amerikanische Investitionen. Der grosse Unterschied ist nur, dass Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg ein attraktiver Industriestandort war, während die heutige Ukraine als Rohstoffland Chancen bietet. Man investiert dort, wo es sich lohnt.

Kurzum: Dass ein Land eine gewisse Kompensation für seine Unterstützung fordert, entspricht der historischen Normalität und hat wenig mit dem berüchtigten Versailler Friedensvertrag zu tun.

Aus diesem Grund macht man sich auch in den europäischen Hauptstädten längst Gedanken darüber, wie sich die Ukraine in Zukunft finanziell beteiligen kann, zumal es bei den Europäern nicht nur um die Kriegsfinanzierung, sondern auch um wirtschaftliche Hilfe nach Kriegsende gehen wird.

Auch die Schweiz ist im Fokus

Nach einer neuen Schätzung der Uno, der EU-Kommission, der Weltbank und der ukrainischen Regierung soll der Wiederaufbau schon heute mehr als 500 Milliarden Dollar kosten. Wer soll das zahlen?

Auch die Schweiz steht vor hohen Forderungen. Aus Neutralitätsgründen hat sie sich nicht an der militärischen Unterstützung der Ukraine beteiligt, was die Erwartung schürt, dass sie sich besonders kräftig beim Wiederaufbau finanziell engagieren werde. Wie hoch werden die Forderungen sein? 5 Milliarden Franken? 10 Milliarden Franken?

Noch schwieriger ist es, sicherzustellen, dass die Gelder dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Die Ukraine ist nicht dafür bekannt, ein Land der transparenten Regierungsführung zu sein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA nur deshalb in der Lage, mit dem Marshall-Plan eine grosse Wirkung zu erzielen, weil sie Westdeutschland mit Truppen besetzt hielten, die oberste Regierungsgewalt ausübten und dadurch die Autorität hatten, die Kreditvergabe an strikte Bedingungen zu knüpfen.

Die Bundesrepublik Deutschland war bis Mitte der fünfziger Jahre nichts anderes als eine amerikanische Kolonie, ja ihre Souveränität war weit stärker eingeschränkt als nach dem Versailler Friedensvertrag. Es ist schwer vorstellbar, dass sich die Ukraine eine solche Bevormundung von den Europäern gefallen lassen würde. Der Rohstoff-Deal mit den USA ist dagegen geradezu harmlos. Der Streit im Weissen Haus wird bald vergessen sein.

Tobias Straumann ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich

Exit mobile version