Wegen der Krise beim Autobauer wurde John Elkann zum Prügelknaben der italienischen Politik. Nun kommt der Agnelli-Erbe aus der Deckung und stellt einen Neuanfang in Italien in Aussicht.
Am Ende war er nicht mehr zu halten: Carlos Tavares, der portugiesische Chef des Autoriesen Stellantis. Der Aktienkurs im Keller, die Firma in einer Krise, die mit jener von Volkswagen in Deutschland zu vergleichen ist, tiefere Margen als versprochen, dazu Unruhe im Management und zuletzt starker politischer Druck aus Frankreich und Italien, jenen Ländern, in denen besonders viele Stellantis-Autowerke stehen – am 1. Dezember schickte der Verwaltungsrat Tavares in die Wüste.
Doch während es um den geschassten CEO mittlerweile ruhiger geworden ist, steht einer umso mehr im Scheinwerferlicht, der sich dort besonders unwohl fühlt: John Elkann, Präsident von Stellantis, Enkel und Erbe des legendären Gianni Agnelli, Präsident des FC Juventus Turin und Haupteigentümer namhafter Medienhäuser, von der «Repubblica» bis zum «Economist». Bis der Verwaltungsrat einen Nachfolger von Tavares bestimmt hat, führt Elkann das Geschäft bei Stellantis.
Damit hatte er gleichzeitig die Rolle des Prügelknaben übernommen. Kaum ein Tag verging seither, da nicht mindestens ein namhafter Politiker seinen Namen nannte und diesen in direkte Verbindung brachte mit dem Niedergang der einst so stolzen Automobilindustrie Italiens. Sei es die Regierung von Giorgia Meloni, sei es die Opposition: Alle verlangten sie von Elkann Erklärungen und forderten ihn auf, im Parlament in Rom Rede und Antwort zu stehen und darzulegen, wie er sich die Zukunft seiner Firma in Italien vorstellt.
Besonders hart fiel das Urteil von Luca Cordero di Montezemolo aus, dem früheren Ferrari-Chef und «Grand old man» der italienischen Autoindustrie. Elkann habe sich kaum um Stellantis gekümmert und Tavares gewähren lassen. Und dieser habe es ihm gedankt, indem er vor allem für die Eigentümer gearbeitet habe. Er habe nur das ausgeführt, was für die Agnelli- und Elkann-Familie nützlich gewesen sei, aber sicherlich nicht für den Standort Italien.
Besuch bei Melonis Rivalen
Elkann seinerseits liess die Kritik an sich abprallen und ging auf Tauchstation. Die Aufforderung, sich im Palazzo Montecitorio, dem Sitz der Abgeordnetenkammer in Rom, den Fragen der Volksvertreter zu stellen, lehnte er mit der Begründung ab, Stellantis sei keine politische Partei – eine Wortwahl, mit welcher er die Politiker nur noch mehr gegen sich aufbrachte. Dass er am letzten Montag dann ausgerechnet den französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Élysée-Palast besucht hat, Melonis Lieblings-Rivalen, konnte man als zusätzlichen Nadelstich gegen Italiens Regierungschefin interpretieren.
Es war allerdings ein folgerichtiger Nadelstich. Denn im Unterschied zu Italien ist der französische Staat mit 6,4 Prozent an Stellantis beteiligt. Es ist das drittgrösste Paket nach demjenigen der Familie Peugeot mit 7,1 Prozent und der Exor-Gruppe der Agnelli-Erben, welche über 14,9 Prozent der Aktien verfügt.
Doch nun scheint Elkann auch in Italien die Kurve gekriegt zu haben. Am Dienstag hat Jean-Philippe Imparato, der Europa-Chef von Stellantis, in Rom einen ambitionierten Plan präsentiert. Nach diesem will das Unternehmen im kommenden Jahr zwei Milliarden Euro in Italien investieren und bei italienischen Zulieferern Einkäufe im Wert von sechs Milliarden Euro tätigen. Unter anderem soll ab Ende 2025 im historischen Mirafiori-Werk in Turin die Hybrid-Version des Fiat 500 produziert werden.
Es werde ein hartes Jahr werden für Stellantis, betonte Imparato. Aber alle Werke würden offen bleiben. Es sei nun der Zeitpunkt gekommen, um in die Offensive zu gehen. Offenbar will Stellantis in Brüssel auch den Kampf der italienischen Regierung für eine Lockerung der Strafzahlungen für Autohersteller unterstützen, die ihre Emissionsziele nicht erreichen.
Die italienische Regierung ihrerseits stellt für den Automobilsektor in den kommenden drei Jahren 1,6 Milliarden Euro bereit, wie Industrieminister Adolfo Urso am Dienstag betonte. Damit sollen unter anderem Innovationen gefördert werden. Nicht mehr die Rede ist von steuerlichen Anreizen beim Kauf neuer Fahrzeuge. In dieser Frage war es in der Vergangenheit zum Streit zwischen Stellantis und der Regierung in Rom gekommen. Der entlassene CEO Tavares hatte sich beklagt, Italien tue in dieser Hinsicht zu wenig.
Eine Zweckgemeinschaft, keine Liebe
Fürs Erste sind nun in Rom alle zufrieden. Allen voran die Regierung Meloni, weil sie eine politische Zeitbombe entschärft hat. Italiens Automobilsektor beschäftigt nach wie vor rund 250 000 Personen. Sein Anteil am Bruttoinlandprodukt wird auf fünf Prozent veranschlagt. Läuft es hier nicht rund, hat das sofort Auswirkungen auf die Politik in Rom. Die Gewerkschaften ihrerseits gaben sich vorsichtig optimistisch. Sie wollen nun erst einmal abwarten, ob den Worten auch Taten folgen werden.
Bleibt noch John Elkann. Auch für ihn war es wohl ein guter Tag. Jedenfalls hat er sich etwas aus der Schusslinie nehmen können. Die Zeitungen spekulieren jetzt schon, ob er seinen Auftritt im Parlament nun nachholen wird.
Doch die grosse Liebe wird es wohl nicht mehr werden. Elkann ist nicht der grosse Verführer wie sein Grossvater Gianni Agnelli. Der «Avvocato» war eine Ikone im Italien der Nachkriegsjahre. Wenn er etwas sagte, hatte es Gewicht. Und selbst die Art, wie er sich anzog – lässig-elegant – wurde beachtet und tausendfach kopiert. Die Agnellis galten als Inbegriff von Stil, Eleganz und Dynamik.
Der Enkel verfolgt andere Ziele. «Deagnellizzazione» nennen sie das hier, Entagnellisierung. Will heissen: Weg von der Fiat-Tradition, weg von Turin, weg vom alleinigen Fokus auf Italien. Aus dem früheren Automobilunternehmen des Grossvaters ist ein global tätiges Imperium geworden. Die Stellantis ist in den Niederlanden domiziliert.
John Elkann ist ein Kosmopolit. Für ihn zählen andere Werte als für seinen Grossvater, Werte, die der Regierungschefin in Rom, Giorgia Meloni, und ihren Mitstreitern fremd sind. Sie verdächtigen Elkann zudem, dass er über die linksliberale «Repubblica» quasi durch die Hintertüre Einfluss auf die Politik nimmt und aus der Ferne gegen die Politik der Exekutive intrigiert.
Immerhin: Wenn sich die Beziehungen jetzt etwas aufhellen, ist das womöglich der Anfang einer Zweckgemeinschaft. Elkann braucht Ruhe in seiner Heimbasis, und Meloni will vermeiden, dass sich die Krise der italienischen Autoindustrie zu einem Flächenbrand ausweitet.