Dienstag, Oktober 1

Wer die italienische Hauptstadt jetzt besucht, sieht vor allem eines: Gerüste und Abschrankungen. Die Stadt macht sich schön für das Heilige Jahr, doch die Einwohner sind in Sorge.

Restaurator müsste man sein. Jedenfalls in Rom. Kaum eine andere Berufsgattung ist in der Ewigen Stadt gegenwärtig so gefragt wie die der Frauen und Männer, die sich flink auf Baugerüsten bewegen, ausgerüstet mit Hammer, Sandstrahler, Kübel und Reinigungsmaterial, und sich daranmachen, die historischen Statuen und Monumente vom Schmutz zu befreien und vor Umwelteinflüssen zu schützen.

Mehr als 150 offene Baustellen gibt es derzeit in der Stadt, die meisten im historischen Zentrum und rund um den Vatikan. Knapp 2,2 Milliarden Euro werden dabei verbaut. Zum einen handelt es sich um riesige und komplexe Bauvorhaben. Die zwischen der Engelsburg und dem Vatikan gelegene Piazza Pia etwa wird von einem Verkehrsknotenpunkt zu einer Fussgängerzone umgebaut, gleichzeitig müssen – wie immer in Rom – wichtige archäologische Funde in Sicherheit gebracht werden.

Zum anderen werden unzählige mittlere und kleinere Sehenswürdigkeiten heruntergeputzt. Zahlreiche der meistfotografierten Sujets sind dick eingepackt: Statt Büsten aus Marmor und Travertin sind Abschrankungen aus Brettern und Kunststoff zu sehen. Auf Instagram und anderen Plattformen im Netz zirkulieren zahlreiche Bilder und Videos, die das neuartige Rom-Erlebnis thematisieren: Für Baustellenfans ein Eldorado, für Touristen eine Enttäuschung, für die Bewohner verkehrsmässig ein Albtraum.

Heiliges Jahr und europäisches Geld

«Wir sehen das Ende des Tunnels», beschwichtigt Roberto Gualtieri, seit 2021 Bürgermeister von Rom, «wir holen jetzt nach, was in den letzten zwanzig Jahren versäumt wurde.» Rom werde sich endlich aus der Verwahrlosung befreien.

Zwei Umstände helfen ihm dabei: die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds der EU und das Heilige Jahr. Während die europäischen Gelder für den nötigen finanziellen Spielraum sorgen, gibt das «Giubileo», wie sie hier das von Papst Franziskus für 2025 ausgerufene Heilige Jahr nennen, die zeitliche Frist vor. Nicht alle, aber die meisten der Baustellen sollten rechtzeitig zum Jahresbeginn beendet werden.

So auch auf der Piazza Navona, dem «salotto» der Römer und bezauberndsten Platz der Stadt. Man sei zuversichtlich, dass die drei derzeit wegen Restaurierungsarbeiten abgesperrten grossen Brunnen noch vor Weihnachten in neuem Glanz erstrahlen werden, sagen die Verantwortlichen bei einer Besichtigung der Baustelle.

Sie haben neben dem Beginn des Giubileo noch ein anderes Datum im Kopf, das den Römern heilig ist. Am Abend des 5. Januar wird auf der Piazza Navona jeweils die «Befana» begrüsst, die Hexe, die nach dem Volksglauben in der Nacht auf den 6. Januar auf der Suche nach dem Jesuskind von Haus zu Haus fliegt und Geschenke bringt (oder Strafen ausspricht). Es ist immer ein gewaltiger Volksauflauf, die Gerüste müssen bis dann unbedingt weg sein. Denn die Befana beansprucht für ihren Flug über die Piazza Navona jeweils einen riesigen Kran.

Noch ist der Januar weit weg. Die Restauratoren, die an der Fontana dei Quattro Fiumi, dem grossen zentralen Brunnen in der Mitte des Platzes, zu Werk gehen, schwitzen in der warmen Römer Septembersonne. Sie verrichten eine Sisyphusarbeit. Mit kleinen Hämmern befreien sie das Monument von Kalkrückständen, dunklen Krusten und anderen Ablagerungen. Auf diese erste grobe Reinigungsphase folgt eine zweite, gründlichere, mit winzigen Sandstrahlern und anderen Geräten. Schliesslich werde das Kunstwerk wo nötig mit bestimmten chemischen Wirkstoffen behandelt, um es zu schützen und abzudichten, erklärt Nicola Panico, der zuständige Projektleiter.

«Es ist eine Gratwanderung», sagt Panico, «einerseits gilt es, den Brunnen zu reinigen und zu schützen, anderseits soll die Patina sichtbar bleiben. Wir wollen nicht die Spuren der Zeit beseitigen.»

Der Vierströmebrunnen gehört zu den wichtigsten Schätzen der Stadt und ist eine einzigartige Konstruktion. In der Wasserwanne steht ein Sockel aus Travertin, in der Form eines Felsens, auf welchem sich vier riesige Marmorfiguren befinden, die wiederum die vier Flüsse Ganges, Nil, Donau und Rio de la Plata darstellen.

Zuoberst ragt ein ägyptischer Obelisk in die Höhe, der vom Isis-Tempel des römischen Kaisers Domitian stammen soll. Er trägt eine Taube mit dem Ölzweig, das Wappensymbol der Pamphilij. Diesem römischen Adelsgeschlecht entstammte Papst Innozenz X., der das Bauwerk Mitte des 17. Jahrhunderts bei Gian Lorenzo Bernini in Auftrag gegeben hat. Es sollte – nach den bitteren Erfahrungen der Reformation – die Weltherrschaft der katholischen Kirche darstellen.

Der Finger der Donau

«Der Brunnen ist in seiner Einzigartigkeit bedeutender als der Trevi-Brunnen», sagt Francesca Bertozzi, die Kunsthistorikerin im Projektteam. Um den Vierströmebrunnen zu begreifen, müsse man ihn umrunden. Es reiche nicht, einfach davorzustehen und nur eine Seite zu bewundern. Die Bewegung sei von Bernini gewollt. Sie verkörpert zusammen mit den kühn sich windenden Gestalten das Leben und die vergehende Zeit.

Vor der Figur der Donau hält Bertozzi kurz inne. «Wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie es», sagt sie, «es fehlt ein Glied am Zeigefinger.» In der Tat, die Donau zeigt einen kleinen anatomischen Makel. Es ist unklar, wann und wie die Hand der Donaufigur zu Schaden gekommen ist. Was aber tun?, fragen sich die Fachleute. Das fehlende Teil nachbauen und ersetzen? Oder den Mangel akzeptieren? Bertozzi und ihr Kollege Panico haben eine klare Haltung: ersetzen, und zwar so, dass man sieht, dass es sich um eine Nachbildung handelt.

Entscheiden werde das aber die städtische Behörde für die Oberaufsicht über die Kulturgüter, sagt Bertozzi, und man malt sich unweigerlich die entsprechende Sitzung aus. Informierte Rom-Besucher werden spätestens an Weihnachten erkennen können, was das Gremium zum Thema Finger beschlossen hat.

Vielen Bewohnern der Ewigen Stadt dürften solche kunsthistorischen Finessen gleichgültig sein. Für sie bedeuten die Instandstellung der Monumente, das Heilige Jahr und die zu erwartenden 30 Millionen Pilger nicht nur Gutes. Profitieren werden in erster Linie Hotelbesitzer, Zimmervermieter, Gastronomen und all die fliegenden Händler, die schon jetzt gute Geschäfte mit den Touristen machen.

Doch den Bewohnern des Zentrums beschert das Giubileo mehr Abfall, mehr Chaos, mehr Lärm – und das Gefühl, im eigenen Quartier nicht mehr zu Hause zu sein. Und selbst weiter draussen, abseits der Touristenströme, wird man die negativen Auswirkungen spüren. Wie die Zeitung «Repubblica» kürzlich recherchiert hat, steht bei kleineren Wohnungen ein grösserer Teuerungsschub in Aussicht. Die Preise für Studentenwohnungen, schon heute Mangelware, dürften sich laut dem Bericht stark erhöhen. Wer jetzt aus seinem Mietvertrag aussteige oder diesen unterbreche, müsse damit rechnen, dass sich der Mietzins von 350 bis 500 auf 800 bis 1500 Euro pro Monat verteure, schreibt die Zeitung. Die Vermieter wittern das grosse Geschäft mit den Pilgern und schreiben die Studentenzimmer als Ferienwohnungen aus.

«La grande bellezza», die man Rom nachsagt, die Schönheit der Stadt und der ganze Aufwand, der jetzt betrieben wird, um sie noch schöner zu machen, haben eben auch eine Kehrseite. Und das Heilige Jahr bringt, nicht unerwartet, ganz profane Probleme.

Exit mobile version