Donnerstag, Februar 13

Auch der neue «Bridget Jones»-Film vermag den Eindruck nicht zu entkräften. Im Genre der Romcom kriselt es.

Kürzlich sorgte ein Ausschnitt aus dem spanischen Reality-TV-Format «La Isla de las Tentaciones» für Furore im Internet. Darin steht ein 30-jähriger Mann namens Montoya vor einem Bildschirm am Strand und muss mit ansehen, wie ihn seine Partnerin mit einem anderen Mann betrügt.

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Montoya verliert daraufhin völlig die Fassung, fällt auf die Knie und rennt schliesslich schreiend über den Strand zum Haus, in dem seine Freundin mit dem fremden Mann schläft. Die Moderatorin versucht ihn mit den inzwischen viral gegangenen Worten «Montoya, por favor» zu beruhigen, und er wird vor dem Haus gestoppt.

Die ethischen und qualitativen Abgründe solcher TV-Formate sind ohne Boden, und doch drückt sich in der zynischen Fremdschamlust am Leiden Montoyas ein gesellschaftliches Begehren nach Kitsch und Leidenschaft sowie der Lächerlichkeit der Liebe aus. Formate wie «Temptation Island» gibt es schliesslich nicht nur in Spanien.

«Crazy Rich Asians» brachte neuen Schwung

Herzschmerz und der Trost eines Happy Ends in der Liebe lassen sich auch in vermeintlich postromantischen Zeiten noch immer auswringen. Das finden auch Streamingdienste wie Netflix, die seit Jahren eine romantische Komödie nach der anderen auf den Markt schleudern. Diese Romcoms, wie das Genre abgekürzt genannt wird, erleben seit dem weltweiten Erfolg von «Crazy Rich Asians» aus dem Jahr 2018 eine Renaissance.

Nachdem in den neunziger und frühen nuller Jahren Filme wie «Bridget Jones’s Diary», «Notting Hill» oder «10 Things I Hate About You» den Markt dominiert hatten, setzten Studios spätestens nach den Erfolgen der Marvel-Filme, beginnend mit «Iron Man 2008», vermehrt auf Superhelden und grosse Produktionen. Der Romcom-Star starb aus.

Nach zwanzig Jahren Meg Ryan und Julia Roberts und Hugh Grant in Wohlfühlfilmen schienen die Geschichten auserzählt, aber «Crazy Rich Asians» fand eine Zauberformel, die dem Genre zumindest im Streaming-Bereich neuen Schwung verlieh: Diversität. Der Film folgt der Beziehung einer asiatisch-amerikanischen Frau mit einem Mann aus einer ultrareichen Familie aus Singapur.

In bestimmten Kreisen wurde der Film dafür gefeiert, dass nur asiatische Schauspieler zu sehen sind, auch wenn Darsteller aus den Ländern, in denen der Film spielt, lediglich in Statistenrollen zu sehen sind. Seither zeigen Romcoms jedenfalls vermehrt Beziehungen in nichtweissen Milieus sowie gleichgeschlechtliche und queere Romanzen.

Unter dem Deckmantel der Diversität

Beispiele hierfür sind Filme wie «Fire Island», der Jane Austen einen queeren Spin verleiht, oder «The Half of It», der «Cyrano de Bergerac» ins interkulturelle Milieu einer amerikanischen Highschool verfrachtet. Diese zwei Filme gehören noch zu den gelungeneren in einem Meer billiger Massenware, an dessen Ufer sich auch Montoya vergnügen würde.

Unter dem Deckmantel eines politisch motivierten Bemühens um Diversität werden letztlich nur neue Zielgruppen mit den alten Formeln abgegriffen. Auch Asiaten lieben sich im Kino in seelenlosen Hollywood-Klischees. Das ist vergleichbar mit Greenwashing in der Wirtschaft, aber auch nichts Neues im Kino.

Man mag entgegnen, dass solche Weltfluchtformate nicht für ihre kommerzielle Stossrichtung kritisiert werden können; dass sie sich in eher seichten Gewässern aufhalten, ist auch Teil ihres popkulturellen Appeals. Aber in Zeiten, in denen Begriffe wie «comfort viewing» und der massenweise Konsum von stimmungsaufhellenden Videos im Internet besonders virulent sind, wäre es fatal, nicht genauer hinzusehen.

Denn die romantische Komödie ist und bleibt ein Gradmesser für das, was eine Gesellschaft sucht. Eine heile Welt in Zeiten des finanziellen Niedergangs, sexuelle Befreiung, Ambivalenz als Antwort auf eine politische Identitätskrise, Glauben an Zusammenhalt und Familie oder ultrakitschigen Eskapismus. Letztlich sind die erfolgreichsten Filme des Genres wie ein Kehrbild dessen, was die Menschen in einer bestimmten Zeit belastet, das kann man seit den 1930er Jahren beobachten.

Verlieben als politisches Statement

Heute ist das ungleich schwerer, denn viele Romcom-Plots verzetteln sich vornehmlich in Meta-Diskursen in all dem, was andere Romcoms angeblich bis dato falsch gemacht haben. Sie reagieren folglich nicht mehr auf die Wirklichkeit, sondern nur auf andere Bilder. Das Verlieben wird zum politischen Statement, statt dass komplexere Gefilde des Zwischenmenschlichen erforscht werden.

Die dem Genre eigene Mischung aus Realismus und Märchen wankt, wenn unter Realismus ein politisches Sendungsbewusstsein verstanden wird. Denn dann existiert das Märchen nur, um interpretiert zu werden. Ja, es ist gut, dass sich zwei Menschen unabhängig ihres Alters, ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung verlieben im Kino, aber was dann?

Egal ob Komödie oder Drama, gelungene Filme, die sich mit der Liebe befassen, haben diese stets als etwas verstanden, was immer anwesend ist, eine (Un-)Möglichkeit zwischen Menschen. In ihnen ist die Liebe weder ein zu erreichendes Ziel noch ein Politikum.

Es mag sein, dass eine Übergangsphase nötig ist, um Liebesgeschichten zeitgemässer zu erzählen, aber letztlich wirkt alles wie ein filmischer und auch ethischer Rückschritt. Viele der angeblich fortschrittlichen Erzählungen gab es überdies schon vor siebzig Jahren, sie haben sich nur nicht so wichtig genommen.

Sie waren nicht Teil einer Bewegung, wie das Jon M. Chu, der Regisseur von «Crazy Rich Asians», über seinen Film sagte. Was zeichnet diese Bewegung jenseits der Betonung von Diversität aus? Niedrige Gesellschaftsschichten verschwinden heute fast völlig aus Romcoms, alles ist wahrhaftig «crazy rich», der Verdacht kommt auf, dass nur reiche Menschen lieben dürfen.

Sieht aus wie Parfumwerbung

Da hat sich nicht so viel verändert seit Jane Austen, deren Schreiben allerdings deutlich vielschichtiger mit Fragen von Klasse umging als die Filme, die ihre Texte heute adaptieren. Bemühten sich die Romcom-Stars der achtziger oder neunziger Jahre zumindest noch um eine Idee von Normalität, scheint heute oft gerade das Unerreichbare zu faszinieren. Selbst jene, die laut Handlung kein Geld haben, trinken ihren Kaffee in den schicksten Läden.

Die Ästhetik des letztjährigen Überraschungshits «Anyone But You» erinnert mehr an Parfumwerbungen als an einen Film. Es ist ein plumpes Spektakel der Oberflächen, die möglichst prüde mit den Codes sexueller Anziehung spielen. Man sieht nackte Oberkörper und manchmal einen Penis im Bild, das gilt dann als subversiv.

Wer sich über die unrealistischen Körperbilder in den sozialen Netzwerken beschwert, wird auch im Kino mehr denn je fündig. Ohne Mascara schauen die Männer die Frauen nicht an, und ohne Sixpack bleiben die Männer Verlierer.

Dazu passt, dass die Darstellung von Milieus zugunsten touristischer Postkartenmotive ausgetauscht wurde. Man vergleiche nur einen Film wie «Moonstruck» mit Cher und Nicolas Cage mit «Irish Wish» mit Lindsay Lohan. Ein lebendiges, italienisch geprägtes New York oder Drohnenflüge über grüne Hügel in Irland.

Katharine Hepburn war viel forscher

Tendenziell scheint die moderne Romcom besonders schreihalsig Gefühle vermitteln zu wollen, statt sich auf subtilere, menschliche Regungen zu konzentrieren. Mit Grosstaten des Genres aus dem klassischen Hollywood, etwa «Bringing Up Baby» mit Katharine Hepburn und Cary Grant, möchte man das, was sich heute Romcom nennt, gar nicht vergleichen.

Trotzdem lohnt ein Blick, um zu verstehen, welchen Rückschritt das Kino beispielsweise in der Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter getan hat. Wer sieht, wie Sydney Sweeney in «Anyone But You» schmachtend und halbnackt mit der Kamera flirtet, wird erstaunt sein über die forsche Direktheit, mit der Hepburn Grant befiehlt, was er zu machen hat.

Es mag etwas bedeuten, dass im nun startenden Sequel «Bridget Jones: Mad About the Boy» die grosse Liebe der Protagonistin verstorben ist. Mr. Darcy, benannt nach dem romantischsten Helden der Literaturgeschichte aus Jane Austens «Pride and Prejudice», ist tot. Stattdessen interessiert sich Renée Zellweger für einen jüngeren Typen. «Montoya, por favor», so möchte man sich da beruhigen, es geht doch auch hier lediglich um ein bisschen Nostalgie und die Liebe und das Geld, das sich damit machen lässt.

Bridget Jones’ Tinder statt Tagebuch

zin. Der letzte Tagebucheintrag ist vier Jahre her. «Mark is dead», steht da nur. Der Menschenrechtsanwalt ist im Sudan gestorben. Hier steigt der Film «Mad About the Boy» ein. Es ist der vierte Teil der Romcom-Reihe über Bridget Jones (Renée Zellweger), in der man sich bisher mit der hochnotpeinlichen, liebenswerten englischen Vollchaotin fremdschämen durfte, die ihr Chardonnay-Glas regelmässig zum Überlaufen brachte und das Glück in den Armen von Mark Darcy fand. Nun ist sie Witwe, Anfang 50 und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Das Schema bleibt das bekannte: Zuerst hat Bridget keinen Mann. Dann schaut sie mit grossen Augen in die Welt, und auf einmal hat sie zwei. Ab da gilt abzuwarten, mit welchem sie ihr Happy End findet. Mit Roxster (Leo Woodall), Student, 29 Jahre alt, durchtrainiert. Oder mit Mr. Wallaker (Chiwetel Ejiofor), Lehrer an der Schule von Bridgets Sohn, durchtrainiert. Dass der Film dabei zwischen Komödie (sie fällt hin, flucht) und Tragödie (sie trauert um Mark) oszilliert, zeigt: An der alterslosen Hauptfigur ist die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen. Doch der Regisseur Michael Morris bringt Trauer und Dating, Karriere und Kinder nicht unter einen Hut. Die vielen neu eingeführten Protagonisten bleiben flach, ihre Entscheidungen und Handlungen sind teilweise nicht nachvollziehbar. Der Zuschauer stolpert während zweier Stunden von einem Schauplatz zum nächsten. Bridget Jones selbst wirkt dagegen fast aufgeräumt.

Bridget Jones: Mad About the Boy | Official Trailer

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