Montag, September 30

Vor der Abstimmung am 22. September: Die beiden Umverkehr-Vorlagen im Überblick.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Stimmbevölkerung der Stadt Zürich entscheidet am 22. September über zwei Vorlagen, die beide auf den Verein Umverkehr zurückgehen. Sie haben den grossflächigen Umbau des Strassenraums zum Ziel.
  • Zur Abstimmung kommen aber nicht die Initiativen, sondern die Gegenvorschläge des rot-grün dominierten Stadtparlaments.
  • Befürworter sagen, ein grüner Umbau der Stadt sei angezeigt. Gegner warnen vor erheblich mehr Baustellen sowie einem Parkplatzabbau in den Quartieren.

Worum geht es?

Der Verein Umverkehr, der den motorisierten Individualverkehr seit Jahren bekämpft, will, dass der Zürcher Strassenraum umgestaltet wird. Zu diesem Zweck hat er zwei Initiativen eingereicht. In beiden Fällen soll innert zehn Jahren Strassenraum verschwinden. Einerseits zugunsten des Langsamverkehrs und des öV (Zukunfts-Initiative), andererseits zugunsten von Grünflächen und Flächen für Bäume (Gute-Luft-Initiative).

Für beide Initiativen hat das Stadtparlament Gegenvorschläge ausgearbeitet. Daraufhin hat der Verein Umverkehr seine Initiativen zurückgezogen. Beide Gegenvorschläge kommen nun gleichzeitig zur Abstimmung.

Wie unterscheiden sich die Gegenvorschläge von den Initiativen?

In den Gegenvorschlägen werden konkrete Flächenziele ausgegeben, die umgestaltet werden sollen. Dies entspricht dem Geist der Umverkehr-Initiativen. Abweichungen gibt es einzig bei den konkreten Zahlen.

So hatte der Verein Umverkehr mit der «Gute-Luft-Initiative» gefordert, dass ab dem Zeitpunkt der Annahme während zehn Jahren jedes Jahr mindestens ein halbes Prozent des Strassenraums in Abschnitte für Bäume und Grünflächen umgewandelt wird. Die «Zukunfts-Initiative» verlangte im selben Zeitraum zusätzlich einen Umbau in derselben Grössenordnung zu Flächen für den Fuss- und den Veloverkehr sowie für den öV.

Dies ergibt bei zwei Initiativen ein Prozent und entspricht insgesamt einer Fläche von 920 000 Quadratmetern oder fast 60 Mal der Grösse des Sechseläutenplatzes.

Der Stadtrat sprach in seinem Vorschlag von 200 000 Quadratmetern, die er für «zwar ambitioniert, aber machbar» hielt. Doch das Stadtparlament folgte ihm nicht. Es hat die Ziele wieder nach oben korrigiert.

Der Gegenvorschlag des Stadtparlaments geht von 607 000 Quadratmetern aus: 145 000 Quadratmeter für Grünanlagen und 462 000 Quadratmeter für Langsamverkehr und öV.

Wie soll die Flächenumwandlung konkret erfolgen?

Zu einem guten Teil rechnet der Gegenvorschlag Flächen mit ein, welche die Stadt ohnehin umgestalten will.

Die 462 000 Quadratmeter für den umweltfreundlichen Verkehr setzen sich wie folgt zusammen: 250 000 Quadratmeter Velovorzugsrouten, die sich bereits in der Umsetzung befinden, sowie weitere 100 000 Quadratmeter im Rahmen von anstehenden Strassenerneuerungen.

Die übrigen 112 000 Quadratmeter sollen zustande kommen, indem Parkplätze zu Velostreifen umgewandelt werden oder «Massnahmen zur Verkehrsberuhigung» zur Anwendung kommen. Unter Letzteres fallen beispielsweise Quartiere, die gemäss dem «Barcelona-Modell» umgestaltet werden: Mit Blumentrögen oder Sitzbänken soll der Autoverkehr aus Quartieren ferngehalten werden.

Bei den Grünanlagen sollen von den anvisierten 145 000 Quadratmetern rund ein Drittel durch Strassenbauprojekte verwirklicht werden. Der Rest, also gut 100 000 Quadratmeter, soll durch das Pflanzen neuer Bäume umgestaltet werden.

Was hat es mit den Umverkehr-Abstimmungen in anderen Städten auf sich?

In elf Schweizer Städten von Aarau bis Zürich hat Umverkehr Stadtklima-Initiativen eingereicht, die alle nach demselben Prinzip aufgebaut sind. Silas Hobi, Geschäftsleiter von Umverkehr, spricht von einer «nationalen Kampagne mit lokalem Fokus».

Dies, nachdem Umverkehr mit einem gesamtschweizerischen Ansatz im Jahr 2000 krachend gescheitert ist: Eine nationale Verkehrshalbierungs-Initiative wurde damals vom Schweizer Stimmvolk mit 78,7 Prozent Nein-Stimmen und allen Ständen verworfen.

Von den jetzigen lokalen Abstimmungen hat Umverkehr bisher ebenfalls keine direkt gewonnen. Doch in einigen Städten war der Verein insofern erfolgreich, als die lokalen Parlamente mit Gegenvorschlägen auf die Initiativen reagierten, worauf Umverkehr die Initiativen zurückzog und die Gegenvorschläge in Kraft traten.

In Winterthur entschieden sich die Stimmberechtigten im Juni gegen die Initiative und für den Gegenvorschlag des Stadtparlaments. In Basel-Stadt, wo die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung kam, erlitt das Volksbegehren Schiffbruch.

Was sagen die Befürworter?

Der Verein Umverkehr bekämpft den motorisierten Individualverkehr seit Jahren, nach dem Motto: Bäume statt Strassen. Es gelte, die Innenstädte umzugestalten. In jüngerer Zeit argumentiert der Verein in erster Linie mit dem Klimawandel: Ein Umbau der Städte sei angesichts der steigenden Anzahl Hitzetage angezeigt. Das Sterberisiko erhöhe sich während Hitzewellen markant. Rasch mehr Bäume zu pflanzen, sei die wirkungsvollste Massnahme, um die Bevölkerung zu schützen. Die rot-grünen Parteien der Stadt Zürich teilen diese Ansicht vollauf.

Was sagen die Gegner?

Der Umbau sei in dieser Grössenordnung völlig überdimensioniert, findet eine Mitte-rechts-Allianz. Auf Zürichs Strassen werde in den nächsten zehn Jahren ohnehin massiv gebaut – unter anderem wegen des Baus des Fernwärmenetzes. Nun müssten darüber hinaus zusätzliche Projekte in Angriff genommen werden. Dabei würde Strassenbelag unnötig vernichtet, der noch intakt sei.

Die Folgen seien zusätzlicher Lärm und Verkehrsstaus im grossen Stil. Zudem würden rund 1000 Strassenparkplätze verschwinden, ein Viertel der Strassenparkplätze in den Quartieren, mit negativen Folgen für Besucher, Anwohner und das Gewerbe.

Erst vergangene Woche wurde bekannt, dass die SVP gemeinsam mit dem Zürcher Gewerbeverband und dem TCS ein Volksbegehren plant, das gegensteuern soll: Die so genannte Parkplatzkompromiss-Initiative hat zum Ziel, die Zahl der Parkplätze in der Stadt Zürich auf dem Stand vom 1. Januar 2025 einzufrieren. Dies läuft den Zielen der aktuellen Vorlagen zuwider.

Die Haltung der Parteien

Die Position der NZZ

Die NZZ lehnt die Gegenvorschläge ab. Der Stadtrat kann punktuelle Begrünungsprojekte schon heute jederzeit in Angriff nehmen. Dies unter anderem gestützt auf mehrere politische Entscheide der Vergangenheit wie die Fachplanung Hitzeminderung, den Stadtgrün-Gegenvorschlag oder die kommunalen Richtpläne.

Ein Abwägen zwischen solchen Vorhaben und anderen Bedürfnissen ist allerdings zwingend. Der avisierte Kahlschlag beim motorisierten Individualverkehr sowie bei den Quartierparkplätzen ist unverhältnismässig und nicht im Interesse der Bevölkerung.

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