Donnerstag, Juli 4

Der Brite hinterliess als Nationaltrainer bei den Viertelfinalisten Schweiz und England Spuren. Hierzulande geniesst der 76-Jährige Legendenstatus. Mit England erreichte er 2016 den Tiefpunkt als Nationalcoach.

Roy Hodgson sagt freundlich ab. Wenn er es umgehen könne, mische er sich nicht in die Fussball-Debatte ein, die hier «wüte», meldet er aus London. Die entschiedene Absage habe auch für Schweizer Medien Gültigkeit, fügt er an. Dabei bleibe es. Sorry.

Der Brite wird am 9. August 77-jährig und wäre vor dem EM-Viertelfinal zwischen der Schweiz und England ein Gesprächspartner, wie man ihn besser nicht erfinden könnte. Er diente zahlreichen Klubs und vor allem zwei Landesauswahlen: der Schweiz und England.

Hodgson bedauert seinen Abgang in der Schweiz

In der Schweiz hat er Legendenstatus, weil er jener Trainer ist, der die Nationalmannschaft 1994 an die WM in den USA führte und danach als Supplément für die EM-Endrunde in England qualifizierte. Zuvor hatten die Schweizer 1966 letztmals an einem grossen Turnier teilgenommen. Dass Hodgson der Verlockung Inter Mailand nicht widerstand und den Schweizerischen Fussballverband (SFV) vor der EM 1996 verliess, weil dieser ihm das Doppelmandat verwehrte, bedauert er heute noch.

Zwischen 2012 und 2016 erreichte er als Nationaltrainer in seiner Heimat «die Krone des Baumes», wie er dies 2023 rückblickend nennt. Doch die Bilanz ist durchzogen. England gewinnt an Endrunden mit Hodgson nur 3 von 11 Spielen. In Erinnerung bleiben deshalb nicht die teilweise schier perfekten Qualifikationsphasen, sondern zwei vermaledeite Spiele, die Hodgson zu den «schlimmsten Niederlagen» seiner jahrzehntelangen Karriere zählt.

An der WM 2014 verlor England in Brasilien im zweiten Gruppenspiel gegen Uruguay 1:2 und schied vorzeitig aus. Der Tiefpunkt folgte an der EM 2016, als den «Three Lions» gegen Island (1:2) das widerfuhr, was sie 2024 in Deutschland gegen die Slowakei (2:1) dank einem Last-Second-Tor Jude Bellinghams abzuwenden vermochten: den Absturz in den Achtelfinals gegen einen Aussenseiter.

Nur Sekunden fehlten, und der Trainer Gareth Southgate, der 2016 auf Hodgson folgte, hätte mit dem Stichwort «Slowakei» den Schrecken erlebt, den sein Vorgänger mit «Island» zu erdauern hatte. Abrechnungen in der Heimat, hochgedreht von Boulevardmedien, angestachelt von früheren Granden des englischen Fussballs. 2016 sprach der frühere Nationalspieler Alan Shearer in der BBC von der «schlimmsten Leistung» der Landesauswahl.

Hodgson ringt vor den Medien um sein Gleichgewicht

Und dies, nachdem die Engländer die Qualifikation für die EM-Endrunde 2016 mit 10 Spielen, 30 Punkten und 31:3 Toren abgeschlossen und auch die Schweiz zweimal diskussionslos bezwungen hatten. Hodgson trat nach dem Island-Schock zurück und rang am Tag danach vor den Medien um Contenance. Er erwähnte die heftige Kritik und den Schaden, den ein «besonders schlechtes Spiel» hinterlasse. Und sagte, an die Medien gewandt: «Ich gehe und lasse euch mit euren Geschichten zurück.»

Gareth Southgate schrammte acht Jahre später hauchdünn an einem ähnlichen Tribunal vorbei. Die Engländer, immerhin die Finalisten des letzten Turniers 2021, spielen an der EM nicht gut. Gegen die Slowakei waren sie miserabel, zerfahren, ängstlich – nach der fast einwandfreien Qualifikation ohne Niederlage. Gut möglich, dass Harry Kane und Kyle Walker die «Island-Schmerzen» durch den Kopf schossen. Beide waren 2016 dabei.

"I take full responsibility" - Roy Hodgson after England's Euro 2016 exit

Doch diesmal rettete sie in der Schwäche ein Momentum. Der Scherenschlag Bellinghams zum 1:1 in der 95. Minute, der sie gegen die Slowakei in die Verlängerung rettete. Das sei ein Zeichen des Spirits, der Geduld und der Zusammengehörigkeit gewesen, sagte Southgate. Schon während der Gruppenphase befand er nach dem bescheidenen 1:1 gegen Dänemark: «Wir sind enttäuscht. Die Erwartungen sind hoch, wir gehen durch eine schwierige Phase.»

Beinahe wäre sein Team durch den Fleischwolf gedreht worden. Beinahe hätten es die Schweizer im EM-Viertelfinal mit der Slowakei zu tun bekommen, beinahe wäre das Schweizer Portal in Richtung Halbfinal historisch weit offen gewesen. Doch nun treffen sie doch auf England. Die Gewissheit schwingt mit, dass die Engländer, von denen nicht wenige Spieler 100 Millionen und mehr kosten, eigentlich nur besser werden können als gegen die Slowakei.

Bellingham sagt ein Wort mehrmals: «Müll»

Nach dem Slowakei-Spiel fühlte sich Bellingham trotz seinem Kunstschuss auf der Anklagebank. Offenbar dringt allerhand von aussen in die Delegation ein. Bellingham sprach an der Medienkonferenz mehrfach vom «Müll» («rubbish»), der geäussert werde.

England in Schmerzen. Auf der Anklagebank. 2016, 2024. Manchmal entscheidet an Turnieren wenig über den weiteren Verlauf. Ein Pfostenschuss, ein Torschuss Bellinghams, eine Unachtsamkeit. «Kleine Dinge richten über Erfolg und Scheitern», wie Roy Hodgson kürzlich dem Fernsehsender Sky sagte, «ich habe beide Seiten der Münze erlebt.» Oder wie Southgate seine Verteidigung formuliert: «We’re still in.»

Als im langen Gespräch 2023 mit Hodgson das Thema Island aufkommt, wird der Brite wortkarg. Über die Kritik der englischen Medien sagt er: «Nach jedem verlorenen Spiel von England geht’s los, bleibt erbitterte Kritik nicht aus, vor allem an Endrunden. Bobby Robson, Sven-Göran Eriksson und Fabio Capello kennen das. Ich reihe mich in eine lange Liste ein.» Der Nächste in der Reihe ist Gareth Southgate, 2024, nach acht Jahren als Nationalcoach.

Als England glanzlos in die Achtelfinals vorstiess, warfen Fans Bierbecher in Richtung Southgate.

Der englische Nationaltrainer bezahlt einen hohen Preis

Nachfrage an Hodgson: «Wie gingen Sie mit dem harten Urteil der britischen Medien um?» Antwort: «Ich versuchte, das für mich ins richtige Licht zu rücken. Das ist der enorme Preis, den man als Nationaltrainer bezahlt.»

Nach 2016 erlebte Hodgson in seinem Heimatklub Crystal Palace gute Zeiten, nach der Rückkehr 2023 und gesundheitlichen Problemen trat er im Februar 2024 zurück – als 76-jähriger und ältester Coach, der in der Premier League je beschäftigt war.

Das Abstandnehmen hat ihm gutgetan. Er besucht im Juni die royalen Pferderennen in Ascot und redet dabei kurz mit Sky über sich und die (Fussball-)Welt. Auch jetzt meldet er per E-Mail, dass er «fine» sei und die freie Zeit geniesse. Am Samstag wird er in Wimbledon zu Gast sein, in der Royal Box, wie sich das ziemt.

Natürlich wird er den Viertelfinal «meiner zwei bevorzugten Fussballnationen» verfolgen. Er schreibt, dass ihn das Schweizer Team «extrem» beeindruckt habe – «gut organisiert und ausgeglichen, technisch gute Spieler, viel Energie, gepaart mit taktischem Verständnis». Man solle «Murat» doch die besten Wünsche ausrichten.

Yakin debütierte 1994 unter Hodgson im Nationalteam

Der heutige Schweizer Nationaltrainer debütierte 1994 als noch nicht 20-jähriger Fussballer unter Hodgson in der Auswahl gegen die Vereinigten Arabischen Emirate. Yakin wurde des Feldes verwiesen. Danach spielte er unter Hodgson in der Schweizer Nationalmannschaft allerdings keine Rolle mehr, mit Ausnahme des berauschenden 4:2-Erfolgs im EM-Qualifikationsspiel 1994 in Bern gegen Schweden.

Yakin macht als Nationaltrainer die Erfahrung, wie gross die Projektionsfläche sein kann, auf der sich das Nationalteam wiederfindet. 2023 im Schlechten, 2024 im Guten. Anzunehmen ist, dass Yakin mit Hodgson nie wird teilen können, wie das auf der Insel ist. Mit der Öffentlichkeit und einem Team, das (noch) keinen Boden unter den Füssen hat.

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